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Kein Kino, keine Klassenfahrt, kein Kindergeburtstag

"Ich bin vom Jobcenter abhängig, durch die Kindererziehung, und so muss ich auskommen mit einem ganz geringen Betrag. Auf den Pfennig nicht ganz genau, es sind im Moment sind 736 Euro. Davon bezahle ich die Miete und die gesamten Lebenskosten."

Von Barbara Leitner | 01.09.2007
    Doreen ist allein erziehende Mutter und arm, seit sie ihren Sohn gebar. Zärtlich streicht sie dem Einjährigen über den Kopf, um ihn in den Schlaf zu wiegen. Sie selbst fühlt sich von Existenzängsten getrieben:

    "Ich führe hier schon Haushaltsbücher. Ich kann Ihnen die mal zeigen. Ich schreibe jeden Pfennig auf, um wirklich zu Rande zu kommen. Ich habe jetzt ein Haushaltbuch. Das ist wirklich fast peinlich. Ich schreibe alles auf und dann gucke ich, ob ich damit zu Rande komme. Es ist wirklich plus minus Null dann, wenn man vernünftig haushaltet."
    Die Mutter lebt mit ihrem Kind in einer sehr kleinen, hübsch eingerichteten Neubauwohnung mit Blick ins Grüne - einer Einraumwohnung mit Küchenecke und Schlafnische, keine 30 qm. Im November erwartet die 31-Jährige ihr zweites Kind und wird - nachdem ihr Freund sie verlassen hat - für die beiden allein sorgen müssen. Dringend müsste sie umziehen. Doch wovon? Eine passende Wohnung, für die das Jobcenter auch die Kosten übernimmt, findet sie nicht. Dabei lebt die junge Frau nicht auf großem Fuß.

    "Man muss auch gucken. Ich kauf dann viel im Secondhand für den Kleinen. Kinderbekleidung, Kinderschuhe sind sehr sehr teuer. Jetzt ein paar Lauflernschuhe für dich. 35 Euro. Das sind dann Sachen, die kann man sich dann einfach nicht mehr leisten. Als Berufstätiger würde ich darüber nicht nachdenken. Ich habe darüber nicht nachdenken müssen. Aber es geht nicht."
    Doreen hat Versicherungskauffrau gelernt und einige Jahre in einem gut bezahlten Job gearbeitet. Den gab sie vor drei Jahren auf, um ein Studium zu beginnen. In einem Jahr könnte sie ihr Diplom ablegen. Wenn, ja wenn die Kinder von jemand anderem betreut würden.

    "Ich kann nicht weiter studieren, weil mir das Urlaubssemester den Luxus in Anführungsstrichen bietet, vom Jobcenter Geld zu beziehen, um einigermaßen um die Runden zu kommen. Würde ich jetzt weiter studieren, müsste ich von dem Bafög den Lebensunterhalt bestreiten. Das geht absolut gar nicht."

    Dabei ist sich Doreen bewusst: Noch geht es ihr gut. Noch knapp ein Jahr bekommt sie Erziehungsgeld für ihren ersten Sohn. Für ihr zweites Kind wird sie das neu eingeführte Elterngeld erhalten. Gut verdienende Eltern können davon mit bis zu 1800 Euro unterstützt werden, 14 Monate lang, wenn beide Partner sich die Zeit für das Kind teilen. Doreen aber als Alleinerziehende hat nur zwölf Monate lang den Anspruch, den Mindestsatz zu bekommen - 300 Euro.
    1,9 Millionen Mädchen und Jungen unter 15 Jahren in unserem Land leben nach einem Bericht des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe vom Sozialgeld - beinahe jedes fünfte Kind in Deutschland. Fast jedes zweite Kind in Armut wird von nur einem Elternteil erzogen. Jeden Monat müssen die Mütter oder Väter mit nur 208 Euro für ihr Kind sorgen - Kindergeld kommt nicht dazu.
    "Armut heißt dann, dass die einzige Jeans, die man hat, nachts auf die Heizung kommt, dass man sie am nächsten Tag wieder anziehen kann. Oder dass man nicht zum Geburtstag des Klassenkameraden geht, weil man sich schämt, ohne Geschenk zu kommen. Oder dass man drei Tage vor der Klassenfahrt krank wird, obwohl der Förderverein die Kosten übernommen hat, weil man genau weiß, dass man kein Taschengeld hat."
    Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Sein Verband rechnet die Zahlen des Bremer Institutes für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren hoch. Danach müssen mindestens 2,6 Millionen Kinder in Deutschland als arm bezeichnet werden. Die Familien haben weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung.

    "Das ist die höchste Zahl in der deutschen Geschichte bei gleichzeitig der niedrigsten Zahl an Kindern, die wir haben. Und es gibt ganze Stadtteile, wo 60-70 Prozent der Kinder auf Sozialhilfeniveau leben. Und die Situation ist bedrückend. Und die Gefahren, die davon ausgehen für die gesamte Gesellschaft der Zukunft sind auch enorm und da muss jetzt bei der Politik etwas klingeln, zumal wir jetzt am Höchststand der Konjunktur und bei sinkender Arbeitslosigkeit feststellen, dass die Kinderarmut trotzdem weiter steigt."
    In der Tat stand das Thema Kinderarmut in der vergangenen Woche auch auf der Agenda der Kabinettsklausur in Meseberg. Bis Ende November - so haben sich die Minister von CDU/CSU und SPD verständigt - soll ein Gesamtkonzept entwickelt werden: darüber, wie Erwerbstätige, die mit ihrem Arbeitseinkommen das Existenzminimum nicht erreichen, unterstützt werden könnten. Und welche Anpassungen bei Hartz IV an gestiegene Lebensmittelpreise vorgenommen werden müssten - auch um Kinderarmut zu verhindern.

    "Da sind zwei Dinge ganz entscheidend:"
    Familienministerin Ursula von der Leyen, CDU im Fernsehsender N 24.

    "Das erste eine gute Kinderbetreuung, damit Vater und Mutter verdienen können, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Und wenn es nicht reicht, wenn Vater und Mutter den Lebensunterhalt für sich verdienen können, aber es für die Kinder nicht reicht, so etwas wie den Kindergeldzuschlag in erweiterter Form, wie wir ihn vorschlagen."
    Seit 2005 bekommen bestimmte Eltern einen Kinderzuschlag. Er wird dann ausbezahlt, wenn die Eltern zwar ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen, nicht aber den für ihre minderjährigen Kinder. Der Zuschlag beträgt höchstens 140 Euro und wird für maximal drei Jahre gewährt. Allerdings räumt auch die Ministerin ein: Der Kinderzuschlag ist bürokratisch und verlangt wahre Rechenkünste zwischen Mindest- und Höchsteinkommen und wird mitunter wegen einer Differenz von nur 5 Euro auch solchen Familien vorenthalten, die dringend der Hilfe bedürfen. Hinzu kommt, dass er Alleinerziehenden oft gar nichts nützt, weil bei ihnen der Unterhalt abgezogen wird. Deshalb sollen bis zum Beginn des neuen Jahres die Bestimmungen korrigiert werden. Das sei auch dringend nötig, meint Heinz Hilgers:

    "Man sollte den Kindergeldzuschlag erhöhen auf 175 Euro. Für das dritte und weitere Kinder auf 225 Euro, und er muss so ausgestaltet werden, dass er dauerhaft gewährt wird, weil sie machen aus einer Frisörin, die 7.50 Euro verdient, nicht eine gut verdienende Ärztin innerhalb von drei Jahren. Die Befristung muss weg. Das ist Unsinn. Und dann denke ich, muss auch die anteilige Kürzung, wenn das Einkommen etwas über Hartz IV liegt von 50 auf 70 Prozent zurückgenommen werden. Es muss sich für die Menschen auch lohnen, zu arbeiten."
    Analysen der Deutschen Bundesbank zeigen: Seit den 90er Jahren sind die Leistungen für Familien um über 50 Prozent angewachsen - durch höheres Kindergeld, den Ausbau der Kinderbetreuung, die Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Rentenberechung beispielsweise. Dennoch decken diese staatlichen Leistungen schätzungsweise nur ein Drittel der Kosten für die Kinder. Die anderen zwei Drittel aufzubringen, gelingt Familien am Rande der Gesellschaft oft nicht. Eine gesunde Ernähung und angemessene Kleidung, das allgemeine Wohlergehen und eine sinnvolle Freizeitgestaltung: Viele kriegen das alles nicht mehr hin. Vor der Arbeitsmarktreform konnten sie noch zusätzlich zur Sozialhilfe Unterstützung für besondere Ausgaben beantragen: einen Schulranzen oder ein paar neue Schuhe zum Herbstanfang. Heute müssen sie sich solche Ausgaben von den knapp bemessenen Hilfen irgendwie zusammensparen.

    "Es war völlig daneben und ungerecht, dass man die einmaligen Beihilfen gestrichen hat, Bekleidung, Schuhe, Schulbedarf. So nach dem Motto, die sind ja nur 60 Prozent von einem Erwachsenen - den Regelsatz ein bisschen erhöht hat. Das ist völlig falsch. Kinder können nicht zwei Jahre mit demselben Kinderanorak gehen. Die pflegen zu wachsen und die brauchen auch mal öfter Schuhe, und die brauchen auch mehr Schreibbedarf als ein Erwachsener, weil sie in die Schule gehen. Für viele Kinder hat das bittere Folgen. Sie haben kaum Chancen im deutschen Bildungssystem. Ihre Gesundheitsvorsorge ist schlechter als bei anderen. Das heißt im Ergebnis, dass sie große Gefahr laufen, selber wieder Leistungsempfänger zu werden und nicht Leistungsträger."
    Langsam drängt sich in unserem Land die Frage auf: Werden diese Kinder ihres Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beraubt? Anders, als das für alle Bürger in der Verfassung verbrieft ist! Welche enorme Vergeudung sich die Bundesrepublik da offenbar mit ihrer wichtigsten Ressource erlaubt, ist spätestens seit PISA in der öffentlichen Diskussion. Jeder zehnte Schüler eines Jahrganges ist ohne Schulabschluss und ohne reale Chance, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. In einer alternden Gesellschaft, in der sich bereits jetzt ein Fachkräftemangel abzeichnet, ein teurer Zustand! Deshalb kommen Gegenprogramme auf den Markt.

    "Die CDU will diesen Teufelskreis durchbrechen. Chancen für alle ist unser Motto."
    Der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla.

    "Und wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, dass 95 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien ein Studium beginnen, dann muss man sehen, dass höchsten 17 Prozent aus Arbeiterfamilien ein akademisches Studium aufnehmen. Wir wollen Kinder aus der Sozialhilfe holen, und wir wollen allen Kindern einen optimalen Zugang zur Bildung ermöglichen."
    Die CDU hat im vergangenen Monat ein Maßnahmenpaket beschlossen, um Familien finanziell zu fördern und die Bildungschancen für Kinder zu verbessern. Neben einem vereinfachten und ausgeweiteten Kinderzuschlag wollen die Christdemokraten aber auch noch etwas anderes prüfen: ob für Kinder-Produkte des täglichen Bedarfs der Mehrwertsteuersatz gesenkt werden könnte, etwa für Babynahrung oder Kinderkleidung. Sie setzen sich für familiengerechte Arbeitsplätze ein, wollen die Kinderbetreuung für unter Dreijährige ausbauen und das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei anbieten. Außerdem schlägt die CDU vor, das fünfzig Jahre alte Ehegattensplitting in ein Familiensplitting umzuwandeln.
    Ein Familiensplitting würde bedürftige Familien nicht unterstützen, meint Barbara König vom Familienverband der Arbeiterwohlfahrt.

    "Das würde vor allem den wohlhabenden, gut verdienenden Familien zu Gute kommen. Wie gesagt, 30 Prozent aller Familien, ob verheiratet oder nicht, die keine Steuer zahlen, werden von einem Familiensplitting nicht profitieren und gehen leer aus."
    Diese Familien mit geringem Einkommen profitieren schon jetzt nicht von der steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten. Statt eines Familiensplittings plädiert der Verband für die individuelle Besteuerung aller Einkommen. Er will jungen Familien helfen, Beruf und Kinder zu verbinden, ohne dabei in Armut abzurutschen.

    "Das ist eine Forderung: Mindestlohn, Existenz sichernde Löhne, weil wir sagen als Zukunftsforum Familie, man kann Kinder nicht unabhängig von ihren Eltern aus der Armut holen. Das wird nicht funktionieren. Das heißt man wird immer die Armut der Eltern beseitigen müssen, und das geht am besten über Existenz sichernde Erwerbsarbeit."

    "Wir brauchen eine Politik, die alle Kinder fördert." So lautet der Titel eines Appells, mit dem sich das Zukunftsforum Familie der Arbeiterwohlfahrt gemeinsam mit fünfzehn anderen Verbänden an die Bundesregierung wendet. Ihre Forderung: Das familienpolitische Durcheinander müsse beendet werden. Notwendig sei ein abgestimmtes Konzept, um Familien Geld, Zeit und die entsprechende Infrastruktur zu geben, um nach dem Vorbild der europäischen Nachbarn Armut zu bekämpfen.
    Bisher würden Leistungen für Familien in der Bundesrepublik eher nach dem Gießkannenprinzip ausgegeben, kritisiert auch die Robert Bosch Stiftung. Sie meint: Die Mittel werden nicht zielgerichtet verteilt. Das erkennt inzwischen auch das Familienministerium. Derzeit gibt es - wenn man Ausgaben für Kindergeld, Kinderbetreuung und Schulen, für Steuervergünstigungen und kostenfreie Krankenversicherungen zusammenzählt - 145 familienbezogene Leistungen. Der finanzielle Umfang: rund 184 Milliarden Euro. Doch gerade mal 42 Milliarden davon gehen direkt an Eltern und Kinder. Ein Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen im Ministerium überprüft deshalb, wie sich diese Mittel besser bündeln lassen. Vor allem Familien mit kleinen Kindern sowie Drei- und Mehrkinderfamilien sollen künftig besser gefördert werden. Genau die sind es auch, die sich heute alleingelassen fühlen.

    "Wenn man selber zuhause durchrechnet und merkt, dass man immer über der Mindestsatzgrenze, weil das ist immer 50 Euro, 70 Euro über Grenze, wo staatliche Förderung einsetzen würde, und deswegen kommen wir als Familie mit drei Kindern nicht in den Anspruch der staatlichen Förderung und Unterstützung."
    Fabian, 34 Jahre alt, Sozialarbeiter und Vater von drei Kindern, vier und zwei Jahre sowie drei Monate alt. Er möchte die Talente seiner Kinder fördern und weiß, in anderen Ländern passiert das in den Kindertageseinrichtungen durch sehr gut ausgebildete Pädagogen. Diese Qualität vermisst er hierzulande, auch wenn jetzt der quantitative Ausbau versprochen wird. Da sieht er sich als Vater gefordert:

    "Dass man weitere Angebote für die Kinder sich suchen muss. Die kosten aber mehr Geld, und das steht uns, in unserer momentanen finanziellen Situation nicht zur Verfügung, weil das Geld, was wir kriegen, reicht aus, um den momentanen Lebensstandard zu halten."
    Armut hat viele Gesichter. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat Uta Meier-Gräwe von der Justus-Liebig-Universität Gießen die Situation von Familien mit Kindern untersucht. Sie machte dabei vier verschiedene Typen aus: Die verwalteten Armen, bei denen Armut von Generation zu Generation vererbt wird. Die erschöpften Einzelkämpfer, die zwischen Beruf und Familie überproportional belastet sind. Sie bekommen keine Hilfe, weil sie auch mit letzter Kraft für ihre Kinder sorgen. Die "ambivalenten Jongleure", die sich überschulden, weil sie nicht weiter wissen und die vernetzten Aktiven, die auch Kommunalpolitiker einschalten, wenn sie die gängigen Hilfen nicht erhalten.

    "Und was wir in unserer Armutsstudie in Gießen eben herausgekriegt haben, dass die Hilfesysteme, die Jugendhilfe, allgemeiner sozialer Dienst, dass die eigentlich alle von ihren Konzeptionen her auf den ersten Typ fixiert sind. Also eine Rund-Hilfe zu geben, und sobald sie merken, es gibt auch eine andere Form von prekärer Armut oder Wohlstand, wo die Kinder nicht nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz auffällig werden, die kriegen keine angemessene Unterstützung. Und das ist aber genau die Gruppe, wo man sagen muss, da sind auch enorme Begabungs- und Bildungspotentiale der Kinder, die man durch ganz andere Formen der Alltagsunterstützung heben könnte."
    Mitunter würde es genügen, diesen Familien in den Ämtern bevorzugte Öffnungszeiten und eine gute Beratung zu bieten oder ihnen eine Kinderbetreuung zu ermöglichen, auch wenn nicht beide Eltern berufstätig sind - damit sie wieder Kraft schöpfen können.
    Gleichzeitig macht die Studie von Uta Meier-Gräwe deutlich: Ungleiche Lebenschancen von Kindern werden durch ihre jeweilige Einbindung in die Familie weitergegeben. Deshalb fehlen Konzepte, wie durch eine sensible Kinder- und Jugendarbeit vorgesorgt werden kann - gerade beim Ausbau der Kinderbetreuung. Diesen Anspruch stellt sich das Jugendamt Stuttgart und investiert jährlich eine Million Euro, um vor allem die Kindertagesstätten in den sozial benachteiligten Lagen zu Bildungs- und Familienzentren auszubauen.

    "Wo wir gesagt haben: wir können auf kein Kind verzichten. Jedes Kind ist wichtig. Die Kinder in diesen Gebieten müssen uns genau so wichtig sein wie in anderen Gebieten, und da die Eltern weniger Möglichkeiten haben, müssen wir da mehr investieren. Dieses Bewusstsein hat sehr stark zugenommen."
    Ulli Simon, Abteilungsleiter im Jugendamt. Kinderfragen sind in Stuttgart seit Jahren Chefsache. In der Stadt hat man verstanden: Ihr Wohlstand kann nur erhalten werden, wenn die Kinder von heute morgen als gut ausgebildeter Nachwuchs produktiv sind. 60 Prozent von ihnen wachsen mehrsprachig auf, oft bei Eltern mit großen sozialen Schwierigkeiten.

    "Viele haben dann zwei oder drei kleine Jobs, und die Kinder werden halt dann in den kleinen Wohnungen vor dem Fernseher ruhig gestellt, und man muss viel Zeit investieren in solche Beziehungen und dass man auf eine gute Art und Weise mit den Eltern ins Gespräch kommt und sagt: Wie können wir sie unterstützen, zum Beispiel dass ihr Kind im Winter nicht ohne Strümpfe in die Kita kommt oder mit kaputten Schuhwerk. Dass man auch so eine Art Lebenshilfe bieten kann, ohne dass sie diskriminierend oder stigmatisierend ist."
    Eine einfache Kita kann das nicht leisten. Sie braucht mehr Personal, Sozialarbeiter-Qualitäten und muss in der Kommune gut vernetzt sein. In diese Richtung entwickeln sich derzeit die Stuttgarter Kitas - und erste Erfolge zeigen sich bereits:

    "Mit dem entsprechenden Konzept, was sehr individuell zugeschnitten ist, kann man auch in diesen Gebieten die Übergangsquote von Kindern aus der Grundschule in die weiterführende Schule in Realschule oder Gymnasium stark erhöhen. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Bildungsbiografie dieser Kinder und daher lohnen sich diese Investitionen immer, und es ist eigentlich ein Wahnsinn, dass wir die 90er haben verstreichen lassen und wir da keinen Investitionsschwerpunkt darauf gesetzt haben."