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Kein Konzept

Vor knapp drei Wochen galt Fußball Marke Deutschland noch als Vorbild. Doch nach dem frühen Scheitern sowohl der deutschen U21- als auch der U19-Junioren bei den Europameisterschaften ist eine Debatte darüber entbrannt, wie gut die deutsche Nachwuchsarbeit wirklich ist.

Von Daniel Theweleit | 16.06.2013
    "Nach den Europapokalgeschichten, da haben wir vielleicht gedacht, wir sind insgesamt ein Stück vor, heute haben wir gesehen, dass die anderen Nationen also auch mit wirklich starken Leuten nachkommen, also das bleibt hoch interessant."

    So kommentierte Wolfgang Niersbach. Das Ausscheiden der der Deutschen U-21-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Israel. Der Präsident des deutschen Fußball-Bundes wirkte überrascht. Doch spätestens die Debatten, die auf die Enttäuschung von Israel und die jüngsten Qualifikationsrunden der U17 und U19-Junioren, die jeweils ihre Europameisterschaften verpassten, hat den Deutschen Fußball-Bund aufgerüttelt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht ein "Trauerspiel um den Nachwuchs", Die Welt befürchtet "Stillstand in Löws Talentebude" und die Süddeutsche Zeitung diagnostiziert eine "Rückkehr des Rumpelfußballs".

    Das klingt nach Hysterie. Die auch darin begründet liegt, dass wieder einmal deutlich wird, wie kompliziert es ist, den richtigen Weg durch die komplizierte Gemengelage unterschiedlicher Interessen im Umgang mit den Nachwuchsspielern zu finden. Ein Kernvorwurf lautet, dass es den Verantwortlichen DFB-Nachwuchsbereich, also den Sportdirektoren Matthias Sammer und dessen Nachfolger Robin Dutt nicht gelungen sei, eine durchgängige Spielphilosophie zu entwickeln. Diesen Mangel an Einheitlichkeit hat auch Spielanalyseexperte Daniel Memmert, der Leiter des Institutes für Kognitions- und Sportspielforschung an der Kölner Sporthochschule diagnostiziert.


    "Unsere Analysen haben gezeigt, wenn man die Spielweise der U 21 mit der Spielweise der A-Nationalmannschaft vergleicht, dass die nicht deckungsgleich sind, im Gegenteil. Wir erkennen da andere Mechanismen, die da verwirklicht werden wollen. Und natürlich muss man da die Frage stellen, ob alles verschriftet gibt, ob es wirklich eine Philosophie gibt, die definiert wird, von wem auch immer beispielsweise von Jogi Löw und den Trainern der A-National-Mannschaft, und die dann tatsächlich auch konsequent nach unten getragen wird, wie das bei anderen Ländern der Fall ist. Wenn man jetzt Spanien bei der Europameisterschaft anschaut, dann sieht man, dass die ein sehr ähnliches Spiel wie die A-Mannschaft zeigt. Man sieht alle Komponenten eines Pressings, eines spielerischen Befreiens und von allem natürlich das Umschaltspiel in beide Richtungen."

    So eine Grundphilosophie, die den Spielern in Fleisch und Blut übergegangen ist, deren Funktionieren die Mannschaft von unabhängig macht von der individuellen Fähigkeiten von Einzelspielern hätte den erfolglosen Juniorenteams sicher weiter geholfen, doch weder Matthias Sammer noch Robin Dutt haben diese Grundlagen in schriftlicher Form ausgearbeitet und umgesetzt.

    Diesen Wunsch flexibel zu bleiben, für den Fall, dass ein Bundestrainer mit anderen Vorstellungen kommt, oder um reagieren zu können, wenn irgendwann adäquate Gegenmittel gegen Spaniens Ballbesitzfußball, an dem sich Joachim Löw orientiert, gefunden ist, teilen aber nicht alle. Hansi Flick, der Assistent von Joachim Löw hat in Israel dennoch gefordert, dass auch der DFB die taktisch-strategischen Grundlagen im Jugendbereich vereinheitlichen müsse.

    Aber auch jetzt, wo Dutt und Sammer weg sind, gibt es auch andere Meinungen im Verband. Es gebe doch eine Philosophie, sagen Verbandsmitarbeiter, nämlich den von Matthias Sammer entwickelten Vorsatz, möglichst vielen der hoch ambitionierten Spielern Turniererlebnisse und wenn möglich auch die Erfahrung von Titelgewinnen zu verschaffen. Nach Sammers Wechsel nach München wurde entschieden, dass eigentlich noch bei den Junioren spielberechtigte Profis wie Mario Götze, Ilkay Gündogan, André Schürrle, Julian Draxler, Marc-André ter Stegen und Toni Kroos keine U-21-Partien mehr absolvieren werden. Weil sie bereits A-Nationalspieler sind. Das halten viele Leute im DFB für falsch, und auch U21-Kapitän Lewis Holtby klang nach dem EM-Aus als habe er Sammers Konsequenz vermisst.

    "Er ist ein sehr ehrgeiziger Mann, der an die Weltspitze möchte, und mit sehr harter Arbeit. Er hat uns Spielern immer vermittelt, dass das möglich ist, dass das mit harter Arbeit geht. Wenn er da war, wenn er im Raum war Autorität auch da. Das kann ich über Herrn Sammer sagen. Immer wenn ich mit ihm gesprochen habe, habe ich sehr hilfreiche Tipps bekommen, für meinen Fußball und für meinen Führungsstil. Als er auch da war haben wir viele Titel gewonnen, standen oft im Endspiel, ich glaube er hat dem DFB sehr gut getan."

    Und der Vorwurf, dass keine einheitliche Spielphilosophie entwickelt wurde, lässt sich auch schwer erheben. Selbst Löw arbeitet ja noch an den Details des Spiels seiner A-Nationalmannschaft, während Spanien und Holland, die der Fraktion um Bundestrainer Joachim Löw als Vorbild dienen sich seit Jahren an bestimmten Vereinsmannschaften orientiert, wie Taktikexperte Maric sagt.

    In Deutschland gibt es hingegen erst jetzt mit Borussia Dortmund und mit dem FC Bayern Klubs, die wirklich als Vorbild taugen, die mit ihrer Mischung aus technisch Anspruchsvollem Spiel, beeindruckender Körperlichkeit und maximaler Konsequenz im Defensivverhalten so etwas wie einen neuen deutschen Stil geprägt haben. Und auf dieser Ebene vielleicht sogar schon einen Schritt weiter sind als Joachim Löw mit seiner Nationalmannschaft.