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Kein Privileg der "Bessergestellten"

Eine erfolgreiche Bildungskarriere ist in Deutschland vor allem eine Frage der Herkunftsfamilie. Kinder aus nicht akademischen Familien finden vergleichsweise selten den Weg zur Uni, obwohl sie ein Abi in der Tasche haben. Das ist inzwischen durch zahlreiche Studien belegt. Doktorandinnen der Uni Gießen wollen dagegen jetzt etwas tun.

Moderation: Lothar Guckeisen | 05.05.2008
    Lothar Guckeisen: Katja Urbatsch, Sie haben das Portal Arbeiterkind.de mit gegründet, haben Sie schon mal nachgezählt, wie oft die Seite bislang angeklickt wurde?

    Katja Urbatsch: Leider können wir das erst immer am nächsten Tag sehen, deswegen konnten wir erst sehen, wie viel Leute es gestern angeklickt haben, aber die Seite ist ja erst seit gestern Abend online, das heißt, es waren dann so 200, 300 Klicks. Aber ich denke, wenn wir morgen nachsehen, dann werden wir mit großer Überraschung oder auch mit großem Glück feststellen, dass die sicherlich ein paar Tausend Mal angeklickt wurde.

    Guckeisen: Ja, ich wünsche es Ihnen. Das Thema ist brisant. Sie sagen, 3000 Mal angeklickt, das wäre vielleicht eine tolle Sache. Was bekommt man denn geboten, wenn man es tatsächlich tut?

    Urbatsch: Zum einen viel Ermutigung, das ist uns ganz wichtig, dass wir wirklich Schüler ermutigen zu studieren. Man sieht zum Beispiel Oliver Bierhoff, der uns erzählt, warum es sich lohnt zu studieren. Und wir erzählen zum Beispiel insgesamt, warum es sich lohnt zu studieren, was sind die Gründe, wie kann man Eltern überzeugen, wie kann man ein Studium finanzieren, wie kann ich ein Studium bewältigen, zum Beispiel wissenschaftliches Arbeiten ist ja auch ein sehr wichtiges Thema, wo viele nicht wissen, wo sie anfangen sollen.

    Guckeisen: Also man bekommt jede Menge Informationen zum Thema. Sie sagten gerade, Oliver Bierhoff. Wie haben Sie den denn an Land gezogen?

    Urbatsch: Ja, das war eigentlich ganz einfach. Wir hatten einfach die Idee, Fußball verbindet, und haben überlegt, wen können wir da ansprechen. Wir wussten, dass Oliver Bierhoff BWL studiert hat an der Fernuniversität Hagen und haben ihn einfach angeschrieben, und er hat sich gemeldet.

    Guckeisen: Und gleich Unterstützung zugesagt?

    Urbatsch: Genau.

    Guckeisen: Ist das denn von anderen auch so? Man hört ja oft in der Politik und der Wirtschaft, dass die sagen, wir brauchen mehr Akademiker, haben natürlich auch Kinder aus nicht akademischen Familien dabei im Blick. Bekommen Sie von dieser Seite aus Unterstützung, wie ist da die Reaktion auf Ihre Initiative?

    Urbatsch: Also momentan bekommen wir nur positive Reaktionen. Ich habe seit gestern eine riesige E-Mail-Flut bekommen, die ich nicht abarbeiten kann, und es sind nur positive Reaktionen, die uns unterstützen wollen, die uns Unterstützung anbieten und die ganz begeistert sind oder uns auch ihre eigene Lebensgeschichte erzählen.

    Guckeisen: Sie promovieren ja zurzeit am Internationalen Graduiertenzentrum der Uni Gießen, also Sie haben sicher viel zu tun. Was hat Sie denn bewogen, trotzdem hier sich bei dieser Initiative zu engagieren?

    Urbatsch: Das waren eine Reihe von Ereignissen und Erlebnissen, die ich in meinem eigenen Studium gemacht habe. Ich habe diese Idee schon seit Jahren, und jetzt habe ich es endlich mal geschafft, sie umzusetzen. Und zwar waren das so Erlebnisse wie, dass ich jemanden kennengelernt habe, der mir erzählt hat, ja, ich bin Stipendiat bei der Ebert-Stiftung. Und da habe ich gedacht, aha, und was ist das? Und der hat mir das dann erzählt. Und für mich war es dann leider schon zu spät.

    Guckeisen: Das heißt, Sie kommen also auch aus einem Haushalt, in dem Akademiker eben nicht so sich die Klinke in die Hand geben?

    Urbatsch: Nein, meine ganze Familie besteht auch Nichtakademiker-Kindern sozusagen, meine Eltern haben eine Banklehre gemacht, meine Tante ist zum Beispiel Friseurin, also das ist ganz bunt gemischt, aber es hat noch niemand studiert.

    Guckeisen: Sie haben gerade so ein bisschen aufgezählt, welche Probleme da auf einen zukommen, können Sie das mal fortsetzen, was sind so typische Probleme, wenn man eben jetzt nicht sich an Verwandte oder an Eltern wenden kann und sagen, wie ist das eigentlich an der Uni. Welche Probleme hat man denn an der Uni, wenn man dann studiert?

    Urbatsch: Das fängt an mit der Studienfinanzierung, dass man sich damit auseinandersetzen muss, also wie kann ich das Studium finanzieren, wie funktioniert das mit BAföG. Dann geht es natürlich weiter, wenn man anfängt zu studieren, dass man seine erste Hausarbeit schreiben muss, und man weiß nicht, wie das geht. Und es ist auch immer unterschiedlich, wie viel Unterstützung man da an den Universitäten bekommt. Und wenn man da Eltern hat, die einem schon mal so ein paar Tipps geben können, hilft das natürlich sehr weiter. Oder auch, wenn man sich um ein Stipendium bewerben möchte, da sind dann Motivationsschreiben gefragt, und da reicht es halt auch nicht zu schreiben, ja, ich bin Frau Müller und ich möchte ein Stipendium, sondern da muss man schon sehr kreativ sein, sich was einfallen lassen und auch bestimmte Regeln und Normen befolgen, um so ein Stipendium zu kriegen.

    Guckeisen: Das heißt, Sie haben sich durchbeißen müssen. Hatten Sie denn mal je das Gefühl während des Studiums, ich hätte mir schon gewünscht, mehr Unterstützung zu bekommen, einfach schon, weil ich es gewohnt bin aus der Familie heraus, und dass Sie denken, ich hätte es vielleicht auch schneller geschafft oder leichter?

    Urbatsch: Ja, ich glaube insbesondere in der Abschlussphase im Examen, da wäre es schon schneller gegangen, wenn man mehr Unterstützung gehabt hätte, also bei der Abschlussarbeit. Man muss sich da immer selber durchkämpfen und bekommt keine Tipps, muss alles selber rausfinden. Und jeder macht dann die gleichen Erfahrungen und verliert sehr viel Zeit bei den Behördengängen oder auch bei den Formalien.

    Guckeisen: arbeiterkinder.de, so lautet Ihre Internetseite, und Sie wollen eben gezielt solche Leute an die Uni bringen. Viele schaffen das nicht. Sie haben es geschafft. Was war denn so der entscheidende Kick, dass Sie gesagt haben, ich studiere trotzdem?

    Urbatsch: Ich glaube, das Entscheidende war die große Unterstützung meiner Eltern. Die haben immer gesagt, mach was aus deinem Leben, lerne, Bildung ist ganz wichtig. Und die haben mich immer gefördert und gesagt, na ja, klar, wenn du studieren willst, dann studierst du, und sie stehen immer hinter mir, und auch heute noch. Und ich denke, das war der wichtigste Faktor. Und Kinder oder Schüler, die aus einer Familie kommen, wo die Eltern nicht so überzeugt davon sind, dass ein Studium positiv ist und das nicht so unterstützen, die haben es sehr, sehr schwer. Weil häufig zweifeln sie selber auch an ihren Fähigkeiten, ob sie überhaupt studieren können, ob sie das Zeug dazu haben. Und wenn dann auch noch die Familie zweifelt, dann zieht man wohl doch eher zurück und sagt, na ja, vielleicht mach ich doch lieber eine Ausbildung.

    Guckeisen: Ihr neues Internetportal will ja einerseits Mut machen, eben auch Informationen geben, damit sie so wie Sie eben doch den Weg zur Uni finden. Wer steht denn sonst noch außer Ihnen hinter diesem Internetportal?

    Urbatsch: Ja, das sind zunächst, ja, ich übernehme die Projektleitung, dann arbeite ich zusammen mit zwei Doktorandinnen, die auch am Graduiertenzentrum sind. Außerdem konnten wir jetzt einen neuen Mitarbeiter gewinnen, der ist Stipendiat der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, und der wird in Osnabrück in Schulen gehen und für ein Studium werben. Und außerdem haben wir noch zwei Mitarbeiter in Berlin für die Bereiche Finanzen, Organisation und Webdesign.

    Guckeisen: Sie machen das alles ehrenamtlich?

    Urbatsch: Genau, das machen wir alles ehrenamtlich.

    Guckeisen: Ist da Unterstützung noch willkommen?

    Urbatsch: Auf jeden Fall. Also wir suchen auch gerade Mentoren, arbeiterkind.de-Mentoren an sämtlichen Universitäten Deutschlands, die bereit sind, sich dort für Nichtakademiker-Kinder zu engagieren und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen.

    Guckeisen: Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrer tollen Arbeit.

    Urbatsch: Vielen Dank.

    Guckeisen: In "Campus & Karriere" Katja Urbatsch, Mitgründerin des neuen Internetportals Arbeiterkind.de.