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Kein schneller Abschied vom gedruckten Wort

Mit der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an die Autorin Felicitas Hoppe endet die Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Dort wurde dieses Jahr die Frage diskutiert, welche Zukunft das Papier als literarisches Medium hat. Joachim Güntner berichtet.

Moderation: Kathrin Hondl | 27.10.2012
    Kathrin Hondl: Und jetzt geht es gleich wieder ins Theater, und zwar ins Staatstheater in Darmstadt. Dort wird gerade allerdings kein Drama aufgeführt, sondern einer der wichtigsten deutschen Literaturpreise beziehungsweise der wichtigste Literaturpreis wird da gerade vergeben: Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe bekommt den Georg-Büchner-Preis - oder hat ihn vielleicht schon bekommen?

    Wer uns das jetzt sagen kann ist Joachim Güntner, mit dem ich im Staatstheater Darmstadt verbunden bin. Ja, Herr Güntner, wie weit ist man denn in Darmstadt mit den Ehrungen? Neben der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe werden da heute Nachmittag ja auch der Germanist Heinz Schlaffer und der frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde geehrt - respektive mit dem "Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay" und dem "Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa". Wie weit sind die denn da mit den Ehrungen?

    Joachim Güntner: Die Herren Böckenförde und Schlaffer haben ihre Preise erhalten. Das heißt, wir haben auch schon vier Reden hören können, zwei Laudationes und zwei Danksagungen, dazu noch eine fünfte Rede, die Einführung des Akademiepräsidenten Heinrich Detering. Eben gerade hat Hubert Spiegel, der Literaturredakteur ist und Korrespondent im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", seine Laudatio auf Felicitas Hoppe begonnen, von der ich aber erst mal nur mitbekommen habe, dass er an Frau Hoppe rühmte die ihr eigene Mischung aus Scharfsinn, Kühnheit und Entschlusskraft, fein abgeschmeckt mit einer Priese Übermut. Bis dahin war er gekommen, dann musste ich aus dem Saal hinausspringen, um mich hinter der Bühne ins Arztzimmer des Staatstheaters zu begeben, wo ich jetzt sitze.

    Hondl: Was noch folgen wird, ist dann die Dankesrede der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe. Die wird übrigens morgen, am Sonntag, hier im Deutschlandfunk auch zu hören sein, um 17:05 Uhr in der Sendung "Kulturfragen". - Herr Güntner, nun ist die Preisverleihung heute ja der traditionelle Abschluss und Höhepunkt der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, und bei dieser Tagung stand ein zurzeit viel diskutiertes Thema im Mittelpunkt. Unter der Überschrift "Zwischen Pixel und Papier" ging es, grob gesagt, um die Literatur in unseren digitalen Internet-Zeiten. Laut Ankündigung sollte die Frage gestellt werden nach der Zukunft des Papiers als traditionelles Medium der Literatur. Zu welcher Antwort ist man denn da gekommen?

    Güntner: Für das Papier war Lothar Müller zuständig, Journalist und Literaturwissenschaftler, der bei der "Süddeutschen Zeitung" arbeitet und kürzlich ein Buch zur Kulturgeschichte des Papiers vorgelegt hat. Das Papier wird uns natürlich ganz sicher erhalten bleiben, und ob die Analogien, die gezogen werden zum elektronischen Papier, immer noch so stimmen, bleibt abzuwarten. Sie finden ja jetzt noch auf Ihrem Desktop des Computers ein Icon, also ein Zeichen, das die Papierseite symbolisiert, obwohl das Papier oder diese Seite im Computer längst endlos geworden ist. Aber Müller ist auf diese Übergangsphasen eingegangen, weil er sagt, das ist Mimicry ans Vergangene, irgendwann wird auch dieser Icon verschwinden, wenn wir mit den neuen Technologien richtig konfrontiert werden, oder uns an sie richtig gewöhnt haben. Das Papier selbst wird nicht verschwinden.

    Für die Pixel wiederum war Kathrin Passig zuständig, Autorin, Journalistin, sie hat auch mal den Bachmann-Preis bekommen, und sie ist jemand, der schon seit 2005 Texte im Kollektiv schreibt, und zwar im Browser, im Internet. Jeder dieser Co-Autoren hat die gleiche Seite vor sich und sieht da, was der andere schreibt und was er selbst schreibt, und diese Art von Schriftstellerkommunismus im Internet, damit war sie natürlich ein absoluter Fremdkörper in diesem Gelehrtenkreis, und ich nehme an, deswegen hat man sie auch eingeladen.

    Hondl: Also Konsequenz für die Literatur konkret wäre dann das: kollektives Schreiben? Für Leser verändert sich ja eigentlich erst mal nur haptisch was - wenn man auf dem E-Book-Reader liest, fühlt sich das anders an als ein Buch. Das Schreiben verändert sich auch. Gab es da noch andere Stimmen als die von Kathrin Passig?

    Güntner: Bleiben wir vielleicht ruhig noch mal einen Moment bei Frau Passig, weil sie sagt, es wird zwar immer geguckt, wie ändern sich die Erzählformate, aber wichtiger wäre, erst mal zu gucken, wie sich die Rahmenbedingungen ändern, also was passiert eigentlich mit E-Book und Internet mit der Literatur, wie verändert sich nicht nur das Lesen, auch das Erzählen. Zum Beispiel wissen wir ja, gedruckte Bücher sind abgeschlossen, also da haben Sie einfach den Buchblock zwischen zwei Buchdeckeln, der Leser hat die Idee, der Autor hat seinen Gedanken bis zum Ende entwickelt. Oft wissen wir ja selber als Autoren, das ist gar nicht der Fall, hinterher fällt uns noch was ein.

    Jetzt im digitalen Zeitalter sind fortlaufende Änderungen am Text möglich. Bei Netzpublikationen sind sie tendenziell unendlich. Man kann sich natürlich fragen, ist das die Zukunft, will das auch der Leser, will er im Grunde ins offene Kunstwerk, ins unendlich offene Kunstwerk überhaupt geführt werden, wollen wir nicht so eine Sinnstiftung, wollen wir nicht einen Abschluss? Oder was das Kollektive angeht: Wollen wir nicht die individuelle Handschrift, den individuellen Stil, Originalität und Subjektivität, wollen wir da wirklich das Kollektiv? Das sind einfach offene Fragen.

    Hondl: Originalität, damit haben Sie jetzt noch ein Stichwort geliefert, weil man kann Texte verändern, man kann Dinge einfügen, auch Dinge, die man nicht selber geschrieben hat. Copy and Paste, das geht ja, wie man weiß, im Netz ganz leicht - wir kennen das von diversen Doktorarbeiten und andere Plagiat-Skandalen der letzten Zeit. Inwiefern hat denn diese viel diskutierte Frage auch eine Rolle gespielt bei dieser Tagung, das Urheberrecht?

    Güntner: Sie hat möglicherweise in einer internen Sitzung der Akademie, zu der wir Journalisten keinen Zutritt hatten, eine Rolle gespielt. Da gab es eine Sitzung. Gestern war noch eingeladen der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn, der ein Buch über Plagiate vorgelegt hat vor einiger Zeit. Der sprach auch gestern über literarisches Eigentum, aber nicht über das ebenso nötige wie leidige Urheberrecht, sondern Theisohn kam es darauf an zu betonen, dass Eigentum mit Aneignung zu tun hat, und er unterschied einen passiven Eigentumsbegriff, also einfach nur die Texte downloaden beispielsweise aus dem Internet, und dann sind sie da auf dem digitalen Friedhof auf Ihrem Computer, im Unterschied zum aktiven Eigentum, also Erwerb eines Textes, der nach wie vor halt Lesen voraussetzt, und er ist der Meinung, hierfür haben wir in der digitalen Welt noch keine Arbeitsethik ausgebildet und seien im Umgang noch viel zu sorglos.

    Hondl: Also bestimmt noch vieles, was weiter zu diskutieren wäre. Vielen Dank! - Joachim Güntner war das, von und über die Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, die gerade mit der Verleihung des Bücher-Preises an Felicitas Hoppe endet. Und wie gesagt: Die Dankesrede der Büchner-Preisträgerin wird morgen, am Sonntag, hier in den "Kulturfragen" zu hören sein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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