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"Kein Sieg für den Datenschutz"

Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung habe die Freiheit Schaden genommen, betont der Linken-Politiker Wolfgang Neskovic. Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses kritisierte, dass künftig die Speicherung ohne Anlass möglich werde.

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Gerd Breker | 03.03.2010
    Jürgen Liminski: Ist das Urteil aus Karlsruhe tatsächlich ein Sieg für den Datenschutz? Mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend den stellvertretenden Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses und Mitglied des Fraktionsvorstandes der Partei Die Linke, Wolfgang Neskovic, danach gefragt und ob das Urteil nicht auch eine schallende Ohrfeige für den schwarz-roten Gesetzgeber sei, der eine Richtlinie der EU so schlampig umgesetzt habe.

    Wolfgang Neskovic: Also es ist in jedem Fall eine Ohrfeige für den Gesetzgeber. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren viele der Einwände vorgebracht, die jetzt das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat. Man kann schon davon reden, dass hier die Regierungskoalition, die damalige, einfach an einer verfassungsrechtlichen Gewissenlosigkeit leidet, denn es ist ja nicht nur dieses Gesetz, sondern in vielfältigen anderen Gesetzen haben wir immer Bedenken, die einschlägigen Bedenken vorgetragen. Sie sind schlichtweg einfach ignoriert worden und diese verfassungsrechtliche Ignoranz des Parlaments, die ist jetzt erneut wieder vom Bundesverfassungsgericht heftig kritisiert worden.

    Dennoch ist es kein Sieg für den Datenschutz. Es ist im Ergebnis langfristig eine Niederlage, weil das Bundesverfassungsgericht einen Richtungswechsel vorgenommen hat, einen ganz entscheidenden Richtungswechsel. Es ist nämlich die Speicherung ohne Anlass, ohne Verdacht zukünftig zulässig, es wird nur der staatliche Zugriff auf die gespeicherten Daten eingeschränkt. Das ist mit dem Verständnis und der Geschichte der Grundrechte nicht vereinbar. Sie sind nämlich Abwehrrechte gegen den Staat. Sie stellen institutionalisiertes Misstrauen dar gegen den Staat, und hier wird das Misstrauen gegen die Bürger institutionalisiert, weil ein Generalverdacht gegen alle Bürger jetzt vorgenommen wird.

    Gerd Breker: Nun erkennt die Bundeskanzlerin Merkel ein Vakuum, das durch das Urteil entstanden sei, und Innenminister de Maizère meint, so nicht, aber anders geht es, und fügt hinzu, anders muss es auch gehen. Also müssen wir damit rechnen, bald folgt der zweite Versuch?

    Neskovic: Genau so ist es und das ist genau das, wo das Bundesverfassungsgericht, wie ich finde, einen entscheidenden Fehler begangen hat. Es hat nämlich die Tür geöffnet, die bisher geschlossen war. Bisher war es einhellige Auffassung, der Staat kann nur dann in die Rechte von Bürgern eingreifen, in seine Grundrechte, wenn er dazu einen irgendwie gearteten Anlass hat, einen Verdacht. Irgendwie muss etwas geschehen sein, das seine Aufmerksamkeit auf die Bürgerinnen und Bürger lenkt. Genau das ist hier nicht so. Hier werden ohne Anlass, ohne einen irgendwie gearteten Verdacht dann alle Bürger flächendeckend in diesem Zusammenhang gespeichert, und das stellt einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar. Man könnte eigentlich mit dieser Idee sämtliche Briefe vorsorglich fotokopieren und verwahren, um später unter bestimmten Voraussetzungen Zugriff darauf nehmen zu können. Das ist eigentlich eine ungeheuerliche Vorstellung und das Bundesverfassungsgericht hat eben dieser Vorstellung den Weg geöffnet.

    Breker: Das heißt, Karlsruhe hat geholfen, dass die Sicherheit gegen die Freiheit gewinnt?

    Neskovic: Ganz genau! Der alte Widerstreit, im Zweifel für die Freiheit und nicht für die Sicherheit, hat hier endgültig Schaden genommen. Im Zweifel für die Sicherheit, das ist die neue Philosophie beim Bundesverfassungsgericht und das ist wirklich bestürzend.

    Breker: Kann denn Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ja im Moment zögert, eine neue Gesetzesvorlage einzubringen, kann die mit ihrer Verzögerungstaktik wirklich verhindern, oder nur hinausschieben?

    Neskovic: Ich wünsche von ganzem Herzen, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger die Kraft hat, und dass auch die FDP die Kraft hat, einem entsprechenden Ansinnen der CDU entgegenzutreten. Die EU-Richtlinie gibt einen gewissen Zwang. Wenn die kippen sollte, besteht trotzdem die Möglichkeit, Gebrauch zu machen von den Möglichkeiten, die das Bundesverfassungsgericht eben eingeräumt hat, und es hängt jetzt an der FDP und an Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Bei ihr habe ich keine Zweifel, dass sie das zu verhindern wissen will. Ich habe allerdings Zweifel, ob die FDP in der Lage sein wird, gegen ihren Koalitionspartner sich durchzusetzen und zu sagen, nein, in diesem Bereich nicht, nur wenn ein Verdacht besteht, können solche Eingriffe vorgenommen werden, ohne Verdacht sagen wir grundsätzlich nein und da gibt es keine Ausnahme.

    Breker: Herr Neskovic, Sie haben die Richtlinie der Europäischen Union angesprochen. Müsste die nicht geändert werden, um dem Datenschutz wirklich zum Sieg zu verhelfen? Müsste da nicht eigentlich auch der Europäische Gerichtshof eingeschaltet werden?

    Neskovic: Auch das würde ich mir wünschen, aber das würde nichts ändern, weil das Bundesverfassungsgericht die Tür aufgestoßen hat und völlig unabhängig von der EU-Richtlinie kann natürlich der deutsche Gesetzgeber ein entsprechendes Gesetz nach Maßgabe der Vorstellungen, die das Bundesverfassungsgericht hier entwickelt hat, eben durchführen und erlassen. Deswegen kritisiere ich dieses Urteil auch so, weil völlig unabhängig von einem Zwang aus Brüssel jetzt diese Option besteht und man genau weiß, wie es gemacht wird, zwar keine uferlosen Datenrechtseingriffe, aber immerhin die Möglichkeit besteht, und ich sehe für diesen Bereich keine Veranlassung.

    Breker: Und was bedeutet das aus Ihrer Sicht, Herr Neskovic, für das Swift-Abkommen, den Zugriff auf Kontodaten durch die Vereinigten Staaten?

    Neskovic: Auch da ist es eben genau so. Das Europäische Parlament hat ja jetzt eine entsprechende Entscheidung getroffen und ich würde mir wünschen, dass man auch dabei bleibt. Diese Weitergabe von Daten hat auch in der Praxis wenig bis gar keinen Erfolg gehabt und ich stehe strikt auf dem Standpunkt, der Rechtsstaat ist eine Risikoveranstaltung und wir müssen Risiken eingehen. Wenn wir alle Risiken ausschließen wollen, verlieren wir auch unsere Freiheit.

    Breker: Ein schwarzer Tag für die Freiheit heute?

    Neskovic: Ganz so weit will ich nicht gehen, aber es ist ein entscheidender Tag. Es ist wirklich ein Umbruch. Die rote Linie ist überschritten und das Bundesverfassungsgericht hat sich ansonsten sehr viel Mühe gegeben, sich in die Problematik hineinzudenken, hat auch viele Grenzziehungen vorgenommen, die, wenn man diesen ersten Schritt tun will, sinnvoll und zweckmäßig sind. Sie hat also diesen Sicherheitsfanatikern durchaus eine schallende Ohrfeige verpasst, aber sie lässt es eben zu, dass grundsätzlich ohne Anlass, ohne Verdacht Daten erhoben werden können in diesem hoch sensiblen Bereich, und das könnte Vorbild für andere Bereiche sein. Ich bin schwer enttäuscht, ich bin richtig deprimiert.

    Liminski: Enttäuscht über das Urteil aus Karlsruhe, weil es die Speicherung nicht grundsätzlich verbietet, zeigt sich der stellvertretende Vorsitzende im Bundestags-Rechtsausschuss und Führungsmitglied bei den Linken, Wolfgang Neskovic, im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.