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Kein Weltphilosophentag im Iran

Am 18. November 2010 sollte der "Weltphilosophentag" in Teheran stattfinden. Doch die UNESCO verlegte ihn wegen der Einflussnahme der iranischen Regierung nach Paris. Otfried Höffe, Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen sagt: "Gelegentlich muss man den Mut zu Eklats haben."

Otfried Höffe im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 16.09.2010
    Burkhard Müller-Ullrich: Nachdem es bei all diesen prekären trans- und interkulturellen Begegnungen auf Höflichkeit und Diplomatie besonders ankommt, widmen wir uns zunächst einem ultraprekären Kulturdialog, nämlich dem sogenannten "Weltphilosophentag". Der wird seit acht Jahren von der UNESCO immer am dritten Donnerstag im November veranstaltet, diesmal also am 18. November. Bislang hat er in der Türkei, in Marokko, in Italien und in Russland stattgefunden, jetzt sollte die Islamische Republik Iran die Ehre haben. Am Telefon ist jetzt Otfried Höffe, Professor für Philosophie und Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie an der Universität Tübingen. Herr Höffe, Sie waren erst dafür, den philosophischen Weltkongress in Teheran abzuhalten, dann im Juli erklärten Sie sich dagegen. Warum?

    Otfried Höffe: Ich hatte meines Erachtens für beide Sachen gute Gründe. Zum einen: Man soll einen philosophischen Diskurs über Sprach- und Kulturgrenzen hinaus besonders pflegen, sofern er unter Bedingungen stattfindet, die den Minimalbedingungen eines Diskurses entsprechen. Dazu kommt in meinem Fall, dass ich bei dieser Akademie für Weltweisheit und Philosophie in Teheran der Einzige, ja das einzige Mitglied bin aus dem Ausland, und bei den damaligen Besuchen, die ich dort gemacht habe, zweimal, zu Kant-Tagungen und zu eigenen Kant-Veranstaltungen, hatte ich einen sehr guten Eindruck über die Qualität der dortigen Forschung, über die Offenheit, sodass ich zunächst einmal sagte, das schulde ich fast dieser Beziehung. Aber auf der anderen Seite, als ich mitbekommen habe, dass nicht mehr der fachlich und politisch integere Direktor, Herr Gholamreza Aavani, das leiten wird, sondern ein Vertrauter des jetzigen Präsidenten, nicht nur ein Vertrauter, sondern jemand, der in diese Verwicklungen, um es mal vorsichtig zu sagen, die die Opposition nicht nur verbal, sondern auch zum Teil mit Foltern unterdrückt, das, finde ich, konnte ich dann nicht mehr mittragen und habe deshalb abgesagt.

    Müller-Ullrich: Welche Bedeutung hat denn überhaupt so ein philosophischer Welttag?

    Höffe: Ich bin vor wenigen Jahren in Istanbul dabei gewesen, als es in türkischer Hand gelegen ist, damals geleitet von der Duajen der türkischen Philosophie, Ioanna Kucuradi, eine vehemente Vorkämpferin für die Menschenrechte, und es war eindrucksvoll, wie hier Philosophen einmal aus aller Welt zusammenkamen und wie viele Jugendliche, sozusagen Nachwuchskollegen, vor allem auch ein großer Anteil von Frauen sich dort versammelt hat und miteinander diskutiert hat. Gerade wegen dieses guten Eindruckes dachte ich, sollte man diese Chance auch der iranischen Intellektualität und Philosophengruppe gönnen, und war umso enttäuschter, dass man, man muss, es fast sagen, vonseiten der Regierung diese Chance selber zerstört hat.

    Müller-Ullrich: Und die UNESCO hat damit natürlich ein großes Problem. Der Iran zunächst mal ist Mitglied, die UNESCO kann jetzt nicht ein Mitgliedsland einfach so verprellen und den Kongress mit Pauken und Trompeten absagen. Was hat sie getan? – Sie hat ihn klammheimlich eigentlich verlegt, nach Paris nämlich an die Zentrale, und in Teheran soll jetzt nur noch so eine kleine Nebenveranstaltung stattfinden. Finden Sie das einen gelungenen Schachzug?

    Höffe: Wenn man sagen kann, das ist ein Minimalschachzug und eigentlich nicht sehr gelungen. Man hätte dann schon den Mut haben sollen zu sagen, erstens, wir haben damals vielleicht nicht sorgfältig genug darauf geachtet, dass wir das nach Teheran nur vergeben, wenn das absolut sicher wird, ohne jede politische Einflussnahme und ohne jede politische Druckmittel, und zweitens, als sie gesehen haben, dass es eben so nicht läuft, hätten sie dann schon sagen müssen, ihr habt unsere Bedingungen verletzt, das lassen wir mit uns nicht machen, wir wollen diese ehrwürdige Tradition und Institution des Weltphilosophentages nicht aufs Spiel setzen und ziehen uns dann eigentlich unter Protest zurück.

    Müller-Ullrich: Das hätte aber einen großen politischen Eklat gegeben?

    Höffe: Das hätte einen Eklat gegeben, aber gelegentlich muss man auch den Mut zu Eklats haben.

    Müller-Ullrich: Wie ist denn das Verhältnis von Philosophie und Politik? Sie betreiben ja da die Forschungsstelle Politische Philosophie. Normalerweise stellt man sich dieses Verhältnis eigentlich, na ja, eigentlich gar nicht vor.

    Höffe: Ja. Ich meine, die Tradition darf man nicht vergessen. Die politische Philosophie beginnt seit der Antike und alle großen Philosophen, von Platon nach Aristoteles, die springen mal bis in die fast Gegenwart. Kant und dann später Roydt waren auch politische Philosophen.
    Politische Philosophen sind zunächst einmal so etwas wie Vordenker für die Grundprinzipien eines gelungenen, von Gerechtigkeit, auch von Solidarität bestimmten Gemeinwesens und Zusammenlebens. Die handeln also über Prinzipien, während die konkreten Entscheidungen können sie und sollen sie auch nicht fällen, sondern das macht die Politik. Und es bedarf dafür eines offenen Gespräches. Kant hat das ja in die Ironie gebracht, dass er in seiner Schrift zum ewigen Frieden einen Geheimartikel eingebracht hat, und der Inhalt des Geheimartikels war eben die Aufforderung zum öffentlichen Diskurs. Diesen Bedingungen müssen wir uns politischen Philosophen unterwerfen. Wir wollen einen Einfluss nehmen, aber zunächst einmal auf die politischen Prinzipien und die Politiker, aber auch die Bürgerschaft zum Nachdenken, zu Klarheit und auch, wenn es nötig ist, zur moralischen Aufklärung bewegen.

    Müller-Ullrich: Nun ist ein offenes Gespräch natürlich in einem Land, in dem Frauen gesteinigt werden, eigentlich von vornherein deplatziert.

    Höffe: Da haben Sie völlig Recht. Es war aber damals unter den Bedingungen, die ich kennengelernt habe, nicht der Fall und umso enttäuschter bin ich auch davon. Ich war damals ganz beeindruckt. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass das Persische zu unserer intereuropäischen Sprachfamilie gehört, und die Perser, auch die Iraner darauf stolz sind. Sie haben eine alte Tradition, die weit vor ihre muslimische Tradition zurückreicht, ins dritte, vierte, fünfte Jahrtausend vor Christus, an die sie auch selber anknüpfen.

    Müller-Ullrich: Und jetzt wird die UNESCO also die Sache in Paris stattfinden lassen. Das war der Tübinger Philosophieprofessor Otfried Höffe im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke Ihnen für die Auskünfte.

    Höffe: Ich danke Ihnen!