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Keine Angst vor indischen Langstreckenraketen

Dass die Reaktionen auf die Tests indischer Langstreckenraketen verhalten ausfallen liegt nach Ansicht von Carsten Rauch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung daran, dass Indien ein verlässlicher Partner des Westens sei. Da das Land den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet habe, gebe es auch keine rechtliche Handhabe gegen das Vorgehen.

Carsten Rauch im Gespräch mit Peter Kapern | 19.04.2012
    Peter Kapern: Agni-5, so heißt das Projektil, das gestern vom Wheeler Island aus, einer Insel vor der indischen Ostküste, in den Himmel gefeuert wurde. Agni, das heißt auf Deutsch Feuer, und genau das könnte Agni auch verbreiten, denn bei dem Geschoss handelt es sich um die erste Langstreckenrakete aus indischer Produktion, die Atomwaffen tragen könnte.
    Bei uns am Telefon ist jetzt Carsten Rauch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Guten Tag, Herr Rauch!

    Carsten Rauch: Guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Rauch, vor ein paar Tagen, da schoss Nordkorea eine Langstreckenrakete ab, die sich dann eher als Knallfrosch erwies, und trotzdem war die Welt tagelang in Aufregung. Der Iran, der hat überhaupt noch keine Atomwaffe und trotzdem bewegt sich die Welt am Rande des Krieges. Und nun zeigt sich: Indien hat beides, Atomwaffen und Langstreckenraketen, und trotzdem macht sich offenbar niemand Sorgen. Das müssen Sie uns erklären.

    Rauch: Nun, warum es da so unterschiedliche Reaktionen gibt auf die Tests oder die Vermutung, die man gegenüber Nordkorea und Iran hat, und Indien auf der anderen Seite, da gibt es zwei Themenkomplexe, würde ich sagen. Auf der einen Seite – das klang ja in Ihrem Beitrag schon an -, Indien ist eine Demokratie, ist ein Partner des Westens, wir haben gute Beziehungen. Es ist auch eine aufsteigende Weltmacht, der kann man nicht so leicht entgegentreten wie anderen Staaten vielleicht. Und was auch noch ganz wichtig ist: Von Nordkorea und Iran gibt es sehr oft aggressive und martialische Äußerungen gegenüber seinen Nachbarn – wir denken an Ahmadinedschad und Israel. So was kennt man von Indien eigentlich nicht. Das ist die eine Seite.

    Aber auf der anderen Seite gibt es auch handfeste rechtliche, völkerrechtliche Unterschiede. Wir haben ja auch in Ihrem Beitrag schon gehört: Indien hat den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet, hat sich also, so leid uns das tun kann, niemals verpflichtet, auf Atomwaffen zu verzichten. Insofern können wir es ihnen auch nicht vorschreiben, im Gegensatz zu Iran und Nordkorea. Und es gibt auch keinen Vertrag, der Indien oder einem anderen Land verbieten würde, Raketen zu testen. Da gibt es nur eine ganz konkrete Entscheidung des UN-Sicherheitsrats, die Nordkorea betraf, und Nordkorea hat sich eben entgegen dieses Beschlusses des UN-Sicherheitsrats dazu entschlossen, diesen Raketentest durchzuführen. So gibt es da also auch handfeste Unterschiede zwischen beiden Seiten.

    Kapern: Müsste denn nicht die Politik des Westens jetzt eher darin bestehen, Indien zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages zu bewegen, statt jetzt einfach an die Seite zu schauen?

    Rauch: Die Politik des Westens sollte durchaus darauf gerichtet sein, ist im Prinzip auch darauf gerichtet, nur die Frage ist, was kann der Westen da ausrichten oder ein einzelnes Land. Sie müssen bedenken, dass Indien sich seit den 70er-Jahren, also seit der Vertrag damals geschlossen wurde, weigert, ihn zu unterzeichnen. Das ist auch ein souveränes Recht des Landes, das wie gesagt kann man schlecht finden, ich finde das auch nicht besonders gut, aber die Gründe, die Indien immer auch schon genannt hat für seine Nichtunterzeichnung – und die passen auch sehr gut zu den Begründungen, die es jetzt wieder gab bei dem Raketentest -, sind, dass damit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft weltweit gegründet wurde, denn wir haben fünf Mächte, die Atomwaffen besitzen dürfen - die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - und die anderen müssen alle darauf verzichten. Und Indien pocht schon immer darauf, dass es diese Zwei-Klassen-Gesellschaft nicht geben dürfe, dass es eine komplette Abrüstung aller Nuklearwaffen geben müsste, damit sich Indien auch bereit erklären würde dazu. Und jetzt sah man ja auch bei den Begründungen – das hat man auch in Ihrem Beitrag gehört -, dass Indien sehr stolz ist, zu den anderen aufgeschlossen zu haben. Der Verteidigungsminister hat auch gesagt, "we have joined the elite club of nations". Also da ist auch ein ganz gehöriges Statusdenken hinter der Sache.

    Kapern: Sie haben eben ja völlig zurecht, Herr Rauch, darauf hingewiesen, dass sich Indien nicht so aggressiv gebärdet wie der Iran, wie Nordkorea. Aber das muss ja nicht für alle Zeiten so sein, denn an den indischen Grenzen gibt es Konflikte - den mit dem Erzfeind Pakistan, den kennen wir zur Genüge, und auch die Nachbarschaft zu China hat sich ja schon mal am Rande eines heißen Krieges bewegt. Wie sicher kann man also sein, dass da eine ganz friedliebende Nation im Besitz von Atomwaffen und Trägersystemen ist?

    Rauch: Sie haben sicher vollkommen Recht, dass Atomwaffen an sich gefährlich sind. Man kann nicht einfach darauf bauen, dass die indischen Atomraketen niemals fliegen werden. Genauso wenig können wir darauf bauen, dass die amerikanischen, die britischen oder die französischen Atomraketen niemals fliegen werden. Insofern ist eigentlich die Lösung, die man anstreben müsste und wo man Indien auch beim Wort nehmen könnte, weil das eine Politik ist, die sie seit 50 Jahren fordern, Schritte voranzubringen, die die weltweite nukleare Abrüstung im Sinne der derzeit ja auch sehr populären und von Präsident Obama in den USA auch unterstützten Global Zero Initiative weiter zu unterstützen. Also wenn man weltweite Abrüstungsanstrengungen voranbringt, dann könnte man wahrscheinlich auch Indien mit ins Boot holen, aber ich glaube nicht, dass, sei es der Westen oder wer auch immer, sehr große Einflussmöglichkeiten dazu hat, Indien isoliert dazu zu bringen, auf seine Waffen zu verzichten, während sowohl die Nachbarschaft als auch die Welt weiterhin auf diese Waffen und auf Abschreckung baut.

    Kapern: Nun sind ja diese indischen Atomraketen Richtung China gerichtet, das haben wir ja eben dem kleinen Beitrag von Kai Küstner entnehmen können. Ist die indische Skepsis, Vorsicht gegenüber China berechtigt?

    Rauch: Zuerst mal muss man sagen, die meisten Beobachter sind sich einig, dass die Atomraketen gegen China gerichtet sind. Indien hat erst mal in den offiziellen Verlautbarungen ganz deutlich gesagt, dass es keine länderspezifischen Raketen wären, sondern grundsätzlich die indische Abschreckung unterstützen soll, und ähnlich hat sich ja China auch sehr in den ersten Reaktionen zurückgehalten und gesagt, China und Indien wären Partner und sollten weiterhin für eine friedliche Region arbeiten. Insofern ist es ein Zeichen, das an China gesendet wird, vielleicht auch wegen der Muskelspiele, die China gerade im südchinesischen Meer treibt und wegen der innenpolitischen Unklarheiten in China im Zeichen der Neubesetzung des Politbüros. Aber im Großen und Ganzen denke ich, dass es da keine heißen Konflikte im Moment gibt, bei denen man sich Sorgen machen müsste.

    Kapern: Sie sehen auch nicht die Gefahr einer Rüstungsspirale in der Region?

    Rauch: Es ist nicht auszuschließen, dass Pakistan jetzt auch noch mal nachzieht. Das war ja auch – das hörte man auch in Ihrem Beitrag – bei den ursprünglichen Atomtests so. Ob es eine größere Rüstungsspirale gibt, ist zu früh, im Moment zu sagen, aber auch etwas, wo ich befürchte, dass wir von hieraus keinen großen Einfluss darauf nehmen werden können.

    Kapern: Carsten Rauch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Herr Rauch, danke fürs Gespräch und auf Wiederhören.

    Rauch: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.