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Keine anonyme Kommentarfunktion

Drei große Tageszeitungen in Schweden haben angekündigt, die Kommentarfunktion in Bezug auf ihre im Internet veröffentlichten Texte einzuschränken. Die Netzgemeinde empört sich über die Zensur.

Von Agnes Bührig | 10.09.2011
    In der Bibliothek des Kulturhauses im Zentrum von Stockholm sind alle öffentlichen Computer belegt. Statt die ausgelegten Zeitungen zu lesen, informieren sich viele Besucher mittlerweile digital über die Nachrichtenlage. Wer von einem der Computer aus einen anonymen Kommentar abgibt, kann nicht zurückverfolgt werden, der Rechner ist öffentlich. Roberto Fraigula, der einst vor der Unterdrückung in seinem Heimatland Uruguay nach Schweden flüchtete, findet das gut:

    "Wenn du deinen richtigen Namen schreibst und deine Ansicht Menschen erreicht, die dir übel mitspielen wollen, riskierst du unter Umständen dein Leben. Und wenn ich Rassisten oder Glaubensgemeinschaften kritisiere, kann es sein, dass sie mir hinterher eine Bombe schicken."

    Nun ist Schweden ja nicht gerade ein Unterdrückungsstaat, doch nach den Terroranschlägen von Oslo und Utøya nahmen rassistische Kommentare hierzulande stark zu. Ende August entschied die überregionale Tageszeitung "Dagens Nyheter", die Funktion des Netzkommentars zu stoppen, die Boulevardblätter "Aftonbladet" und "Expressen" schränkten sie deutlich ein. "Das ist Zensur", war daraufhin in Netzbloggs zu lesen. Jan Helin, Chefredakteur bei der Boulevardzeitung "Aftonbladet", weist den Vorwurf entschieden zurück:

    "Zensur ist eine Prüfung im Vorhinein, die der Staat durchführt, damit nichts Ungesetzliches geäußert wird. Wir aber nehmen keinem das Recht, seine Meinung zu sagen. Wir beobachten aber, dass etwas sehr Unschönes mit Menschen passiert, wenn sie Zugang zur öffentlichen Arena bekommen, kombiniert mit der Möglichkeit, anonym zu sein."

    Mit den Lesern trotzdem in Kontakt zu bleiben, hält Helin für sehr wichtig. Nicht nur, weil im Schutz der Anonymität Informationen fließen, mit deren Hilfe Journalisten Skandale aufdecken können. Die Kommentarfunktion belebe auch den Dialog mit den Lesern. Dass man bei "Aftonbladet" jetzt seinen Namen nennen muss, um kommentieren zu können, verteidigt er aber. Es werde dazu führen, dass der Ton besser wird, meint Helin.

    Anna Troberg, Vorsitzende der schwedischen Piratenpartei, die sich gegen Zensur im Internet einsetzt, hält diese Entwicklung für bedenklich:

    "Ich halte es für gefährlich, die Menschen mundtot zu machen, die extreme Ansichten haben. Diese Meinungen verschwinden dadurch nicht, sie rumoren im Untergrund weiter. Natürlich war Anders Behring Breivik im Internet aktiv. Aber wer auf Texte wie seine stößt und das Gefühl hat, er wird mit seinem eigenen Kommentar dazu von der Gesellschaft nicht wahrgenommen, vernetzt sich dann vielleicht mit Gleichgesinnten. Besser ist es, extreme Ansichten wahrzunehmen und zu beantworten."

    Doch dafür bräuchten die Zeitungen mehr Redakteursstellen. Ob sich das mit mehr Klicks auf ihre Internetseiten wirtschaftlich rechnen würde, ist fraglich.

    Einen Mittelweg hat inzwischen die Morgenzeitung "Dagens Nyheter" eingeschlagen. Politikthemen dürfen wieder kommentiert werden - von Bloggern durch die Verlinkung auf deren eigene Seiten. Bei gewissen Regionalthemen kann sich jeder mit Namen äußern, auch Fantasienamen sind erlaubt, was einer Anonymisierung gleichkommt. Allerdings weist ein kleines Symbol neben jedem Kommentar jetzt daraufhin, dass man ihn anzeigen kann, wenn man seinen Inhalt für überzogen oder verletzend hält.