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Keine antike Raketenrampe

Nahe der Stadt Nasca in Peru haben Menschen vor Jahrtausenden Bilder von gigantischen Ausmaßen in den Wüstenboden gekratzt. Wer diese Figurenbilder in der Wüste geschaffen hat, war lange Zeit ein Rätsel - bis Markus Reindel die zündende Idee kam.

Von Barbara Weber | 10.09.2009
    "Ich glaube das ist - da muss ich mal gucken, also das sieht aus, als wären hier Maisblätter, das sollte man sich mal genauer angucken. Ich würde das mal mit meiner Mitarbeiterin besprechen."

    Pernil Alto, Rio Grande -Tal, Süd - Peru. Dr. Markus Reindel vom Deutschen Archäologischen Institut steht mit seinen Mitarbeitern auf der Grabung vor Siedlungsresten aus der sogenannten Initialzeit. Hier haben die Archäologen Funde gemacht aus der Zeit zwischen 3800 bis 600 vor Christus.

    Markus Reindel hält ein etwa Kartoffel-großes Bündel in der Hand. Es könnte rund 3000 Jahre alt sein.

    "Also das muss man sich im Labor angucken, das ist ganz interessant. Hier sind offenbar Blätter, die noch mal umwunden sind mit Pflanzenfasern, als hätte man ein Bündel machen wollen. Das müssen wir uns natürlich im Labor vorsichtig und genau angucken und dort auch die Pflanzen genauer bestimmen. Das werden wir heute Abend aufmachen, ja."

    Das Rio Grande – Tal, die Orte Nasca und Palpa sind vor allem durch eine Besonderheit weltberühmt: die sogenannten Nasca–Linien. Auf einer Fläche von rund 500 Quadratkilometern wurden Geoglyphen geschaffen: Tier- und Menschenfiguren, Linien und Trapeze. Ein Peruaner entdeckte die Bodenbilder zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Amerikaner Paul Kosok erkundete sie näher und glaubte, ein Bewässerungssystem entdeckt zu haben. Die deutsche Mathematikerin Maria Reiche war von den Beschreibungen Kosoks so fasziniert, dass sie sich 50 Jahre mit den Geoglyphen beschäftigte.
    Sie schrieb in ihrem Tagebuch über den Amerikaner:

    Er ist derjenige, der den Anfang gemacht hat mit dem Nasca-Studium. Er ist schon seit Jahren dabei, ein sehr interessantes Bild zu zeichnen für die geografische amerikanische Society über alte Bewässerungssysteme basierend auf eigenen Reisen. Auf einer dieser Reisen im Jahr 1941 machte man ihn aufmerksam auf die Nasca Zeichen. Er ging hin und fand die ersten Figuren, machte eine flüchtige Skizze davon und sah die Sonne untergehen über einer Linie. Es war gerade der 22. Juni. Danach wurden ihm einige Flüge gestattet in Verkehrsflugzeugen, wenn ein Platz frei war.

    Maria Reiche war fasziniert. Sie gab ihren Beruf als Hauslehrerin in Lima auf und widmete sich fortan ganz den Geoglyphen. Legendär ist ihr Flug, bei dem sie sich an die Kufen eines Flugzeugs binden ließ und fotografierte. Immer wieder maß sie die mysteriösen Figuren im Boden ab, mit Maßband und selbstgebastelten Papierstreifen. Ihr Schluss nach 50 Jahren Arbeit: Bei den mysteriösen Zeichen im Boden konnte es sich nur um astronomische Figuren handeln.

    Während Maria Reiche noch vor Ort versuchte, die Linien mit ihrer Theorie in Einklang zu bringen, driftete die Hypothese eines Schweizers völlig in das Reich der Fantasie und Science Fiction: Die Zeichen müssten Landebahnen für Außerirdische sein, so behauptete Erich von Däneken. Däneken bezweifelt in seinen Büchern, dass die damaligen Menschen ohne Hilfen von außen überhaupt in der Lage gewesen wären, die Geoglyphen zu schaffen. Allerdings blieb er jeden nur annähernd wissenschaftlich geführten Beleg dafür schuldig.


    "Ein heiß diskutiertes Thema, aber ich habe andererseits auch gesehen, dass in diesem Feld noch wenig wissenschaftliche Arbeit geleistet worden war und insbesondere war wenig von dem gemacht worden, was wir eigentlich in der deutschen archäologischen Forschung zu machen pflegen, nämlich Dokumentation und Datensammlung."

    Markus Reindel suchte Mitstreiter und fand sie unter anderem an der ETH in Zürich. Dort arbeitet Prof. Armin Grün und beschäftigt sich mit der Vermessung von Luftbildern. Das geschieht unter anderem mit einem kleinen Forschungshelikopter, den Markus Grün über die Flächen schickt. Der Helikopter fotografiert und die Wissenschaftler werten die Daten dann aus:

    "Wir konnten auf jeden Fall verschiedene Hypothesen falsifizieren. Die Geoglyphen zum Beispiel sind sicher keine Indikatoren für unterirdische Wasseradern. Die Geoglyphen deuten nicht auf bestimmte Sternbilder hin und somit kann man einige dieser Hypothesen falsifizieren. Also wir haben das untersucht. Wir haben für Hunderte von Geoglyphen die Richtungen aufgetragen und aus diesem sogenannten Richtungshistogramm ergeben sich zwei kardinale Richtungen, zwei Hauptrichtungen. Und diese Hauptrichtungen folgen ganz klar der Topografie, folgen also den Linien der Höhenzüge oder sind senkrecht darauf, verlaufen also in der Falllinie. Das hat mit Sternbildern überhaupt nichts zu tun."

    Wie erklärt sich Armin Grün die unterschiedlichen Ansätze?

    "Das Problem bisher in der Nasca-Forschung war das, dass jeder Forscher eigentlich mit einer Hypothese hierher kam. Und zur Bestätigung dieser Hypothese hat er sich nur die Geoglyphen angeschaut, es gibt eben eine ganz große Vielfalt hier, die seine oder ihre Hypothese unterstützten. Und unser Ziel war es, zum ersten Mal alle Geoglyphen hier sehr genau, dreidimensional zu kartierten, um dann die Möglichkeit zu haben, wirklich objektiv die diversen Hypothesen zu untersuchen."

    Die Dokumentation der Bilder erbrachte eine Vielzahl von Geoglyphen, die bislang nicht bekannt war. Der Archäologe Markus Reindel machte noch eine Entdeckung: Die Zeichnungen waren nicht nur aus der Luft erkennbar, sondern auch vom Boden:

    "Hier ist einer der wenigen Orte im Gebiet von Palpa, wo man eine größere Gruppe von Geoglyphen wirklich so überblicken kann, wie man sich das landläufig vorstellt, das heißt von oben. Man kann die Doppelspirale hier unter uns mit der Zickzacklinie und die vielen Linien, die den Hang herunterlaufen gut überblicken. Aber da stellt sich natürlich die Frage: Waren die Geoglyphen eigentlich als solche gedacht, das heißt als Bilder, die von oben gesehen werden sollten, sollten sie in ihrer Gesamtheit erfasst werden? Waren sie zum Anschauen da?"

    In der Tat ist es schwierig, die Geoglyphen von den Hochflächen aus überall zu erfassen.

    "Andererseits muss man sagen, es gibt überall Erhöhungen, wo man die Geoglyphen überschauen kann. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass auf den Geoglyphen etwas stattgefunden hat, wir glauben zum Beispiel, dass auf diesen Spirallinien Prozessionen stattgefunden haben, dann bietet sich ein ganz anderes Bild. Dann waren in der Tat diese Aktivitäten von weither sichtbar, und man konnte sogar über das ganze Tal schauen und dort die Aktivitäten beobachten, die dort auf den Geoglyphen stattfanden."

    Seine Schlussfolgerung:

    "Alles, was wir gefunden haben auf den Geoglyphen deutet darauf hin, dass tatsächlich ständig Aktivitäten stattfanden, die Geoglyphen genutzt wurden, verändert wurden, bestimmte Rituale dort stattfanden, Opfergaben niedergelegt wurden, usw. Das heißt, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Geoglyphen eher als Bühnen für Aktivitäten dienten, als als reine Bilder wie man landläufig glaubte."

    Soviel ist bei oberflächlicher Betrachtung zu erkennen: Die Linien wurden geschaffen, indem die Menschen schwarz-erodierte Steine an die Seite legten. Dadurch zeigten sich die darunter liegenden hellen Bodenschichten und sind nach rund zweitausend Jahren immer noch sichtbar.
    Wer hat die Geoglyphen hergestellt und sie dann zu Zeremoniezwecken genutzt?

    Bislang war bekannt: Sie stammen vom Volk der Nasca, die zwischen 200 vor bis 600 nach Christus in der Region lebten. Allerdings waren sie auch nicht die ersten: Das Volk der Paracas hat vor ihnen schon Zeichnungen mit ähnlichen Motiven in Felsen geritzt.

    Um mehr über die Nasca zu erfahren, begab sich Markus Reindel auf Spurensuche:

    "Ich würde mir fast zutrauen, hier trockenen Fußes ohne Schuhe ausziehen, durchzugehen. Sollen wir es versuchen oder gleich Schuhe ausziehen?"

    La Munia heißt der Ort, an dem ein Rätsel der Nasca gelöst werden kann. Der Weg führt durch den Rio Grande, der um diese Jahreszeit flach ist, wodurch einige Steine aus der Oberfläche herausragen.
    Auf der anderen Seite des Wassers, hinter dichtem Buschwerk und Bäumen, endet plötzlich die grüne Vegetation.

    "Im Grunde sind wir jetzt hier exakt am Übergang vom Talboden zur Wüste, hinter uns ein vollkommen fruchtbares Feld, dort werden im Moment Bohnen angebaut, und wenn wir jetzt zwei, drei Schritte tun, dann sind wir in der Vollwüste, also eine der trockensten Wüsten der Welt. Wir gehen jetzt um die Felsnase herum und da bietet sich gleich in Fülle ein typisches Gräberfeld der Nasca-Kultur, vollständig geplündert, sieht aus wie Bombentrichter und hier sind die Grabräuber wohl besonders fündig geworden. Das werden wir gleich sehen im oberen Bereich des Feldes, wo wir dann auch weitere Grabungen durchgeführt haben."

    Eine Fülle von Grabbeigaben fanden die Wissenschaftler: Die reich verzierten Keramiken sind noch so gut erhalten, als wären sie gestern gebrannt worden

    "Wir haben hier extrem feine Keramik der mittleren Nasca-Zeit gefunden, hervorragend, polychron dekoriert, zum Teil auch mit Vogelmotiven, Menschendarstellungen usw. Dann haben wir Goldfunde hier gemacht, die ersten Goldfunde der Nasca-Zeit überhaupt, die bei wissenschaftlichen Grabungen dokumentiert worden sind. Darüber hinaus Spondylus-Muscheln, eine ganz wichtige Sache im Kontext der Nasca-Kultur. Spondylus-Muscheln hatten etwa einen Wert wie Weihrauch in der Alten Welt und wurden von weit her hierher gebracht und dienten als Wasser- und Fruchtbarkeitssymbole. Kleine Reste von Textilien haben sich erhalten und kleine Schmuckgegenstände aus Muschelperlen etc."

    La Munia war zu der Zeit das Verwaltungszentrum der Nasca, der Rio Grande der einzige Fluss, der ganzjährig Wasser führte. Die Fürstengräber lassen darauf schließen, dass die Gesellschaft differenziert aufgebaut war.

    "Wir stehen jetzt am rechten Talhang des Rio-Grande-Tales an dem Fundort La Munia. Vor uns fällt der Hang ab und geht über in die fruchtbare Talaue. An der anderen Seite steigt der Hang wieder an, vollkommen wüstenhaft, da dort keine Bewässerung möglich ist, steigt an bis zu einem großen flachen Plateau, eines dieser vielen Plateaus, die als Pampas bezeichnet werden, und genau diese Pampas sind eigentlich die Flächen, wo die meisten Geoglyphen der Nasca-Zeit angebracht worden sind. Und wenn man von hier aus rüberschaut, kann man sich vorstellen, dass dort oben zwar die Geoglyphen selber nicht sichtbar waren, aber die Aktivitäten, die dort stattfanden. Und tatsächlich haben wir ja auch bei unseren Ausgrabungen auf den Geoglyphen, die wir übrigens erstmals in der Geschichte der peruanischen Archäologie durchführen durften, kleine Plattformen, Tempel gefunden, auf denen Opfergaben niedergelegt wurden, die im Zusammenhang mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten standen."

    Die Beobachtung der Archäologen deckt sich mit den Befunden, die die Geografen machen konnten:

    "Wir haben jetzt ein fünf Zentimeter langes Plastikrohr in den Boden gerammt, um eine Probe aus dem Rohr zu entnehmen."

    Dr. Bertil Mächtle, Geologe an der Universität Heidelberg und der Palynologe Karsten Schittek von der Universität Köln, also der Mann für die Pollenanalyse, stehen gebeugt über der Bohrmaschine:

    "Wir schrauben jetzt hier den Kopf der Sonde ab und entnehmen dann das Rohr, und jetzt haben wir einen Meter Kern gewonnen, der dann altersdatiert wird. Es werden die Sedimente untersucht, die Schichtung des Kerns und der Kollege Schittik aus Köln wird die Palynologie machen, also die Pollenanalytik."

    Die Kernanalyse bestätigt die Theorie der Archäologen:

    "Die Archäologen haben herausgefunden, dass die Geoglyphen letztendlich dazu gedient haben, um mehr Wasser zu bitten, und wir können es auch in unseren Umweltarchiven sehen, dass in der Zeit der Besiedlung während der Paracas- und der Nasca-Kultur sich die Umweltverhältnisse von relativ feuchten Verhältnissen in der Wüste immer mehr verschlechtert haben, für den Menschen verschlechtert hin zu trockeneren Verhältnissen. Die Flüsse haben weniger Wasser geliefert. Es konnten weniger Menschen ernährt werden, und entsprechende Hungerskatastrophen sind gut vorstellbar. Und es ist natürlich dann auch kein weiter Weg mehr, den Schluss zu ziehen aus der Verschlechterung der Umweltverhältnisse hin zu einem Kult nach Wasser, dem Bitten um Wasser, und das Wasser, der Niederschlag, ist ja auch für die damaligen Menschen sichtbar in den Hochlagen der Anden immer noch gefallen während der ganzen letzten Jahrtausende."

    Aber gilt das auch für die Höhen, wo die Menschen der Paracas- und Nasca-Kultur siedelten? Markus Reindel und sein Team fuhren in die Berge.

    Sie wurden fündig. Drei Stunden dauert die Fahrt. Zunächst durch fruchtbare grüne Natur. Dann folgen dornige Sträucher. In der Höhe schmiegt sich die schmale, kurvige Steppenpiste an die Fels- und Sandwand. Auf der anderen Seite fallen die Schluchten steil ab, manchmal im Tal unterbrochen durch etwas Grün. An den gegenüberliegenden Wänden wird eine Vielzahl von Terrassen sichtbar. Hier müssen früher fruchtbare Felder gelegen haben. Heute umsäumen die großen Granitbrocken flaches, karges Dornengestrüpp.
    Vor einem Hügel stoppt der Wagen:

    "Ja, wir befinden uns jetzt hier auf etwa 3300 Meter Höhe. Wir sind von Palpa aus eine lange, kurvenreiche und staubige Piste hochgefahren auf einen Pass auf etwa 3600 Meter und sind in dem Ort Laramate, das Zentrum dieser Hochlandregion und unmittelbar hinter Laramate erstrecken sich drei große Siedlungshügel, die vollkommen überzogen sind mit Terrassen, aus großen Granitsteinen, Granitblöcken gebaut und auf der Kuppe, oben auf diesen Hügeln finden sich unzählige Rundbauten, typische Steinbauten hier aus der Hochlandregion, während wir aus der Küste mehrheitlich rechteckige Bauten kennen, sind die Bauten hier immer rund."

    Die Archäologen vermuten, dass die Gebäude im Gegensatz zu denen im Tal spitze Dächer hatten, damit der Regen leichter abfließen konnte.

    "Früher muss diese Region, insbesondere diese Hügel, dicht besiedelt gewesen sein, viel dichter als heutzutage. Wir können das abschätzen an der Menge von Siedlungen, die wir hier finden, die vielen Bauten, die sicherlich Wohnbauten waren, aber auch anhand der riesigen Terrassenanlagen, die sich hier durch die Landschaft ziehen, bis hoch in die Berggipfel, die heute überhaupt nicht mehr genutzt werden. Also ich würde mal sagen von dem gesamten Teil an terrassiertem Gelände, was insgesamt hier in der Region existiert, wird heute noch etwa ein Prozent genutzt."

    Auf die Einwohnerzahl gerechnet bedeutet das:

    "Wenn wir das einmal ganz grob hochrechnen, wenn wir sagen, dass war also hundert Mal mehr Wirtschaftsfläche, vielleicht fünfzig Mal mehr Siedler, dann könnte man sagen, dass in der Region hier vielleicht 50.000 bis 100.000 Menschen gelebt haben insgesamt. Das ist natürlich enorm viel mehr, als heute, wo wir nur noch vereinzelte größere Siedlungen hier haben."

    Einen weiteren Beleg für ihre These fanden die Wissenschaftler in der sogenannten "Blumensiedlung”. Das sind Siedlungsüberreste der Paracas aus der Zeit direkt vor der Nasca-Kultur 800 bis 200 vor Christus. Dort forscht die Archäologin Caroline Hohmann:

    "Es gibt einen Fundorttyp, den wir noch nicht anders als Blumensiedlung nennen. Der Name rührt daher, dass es sich dabei um große, vertiefte runde Plätze handelt, ungefähr zwanzig Meter im Durchmesser, die umgeben sind von d-förmigen kleineren Bauwerken, die wie Blütenblätter um das Zentrum eines Korbblütlers angeordnet sind."
    In der Paracas-Zeit haben die Menschen die großzügigen blumenförmigen Steinbauten errichtet. Was die Archäologen schon jetzt wissen: Die Blütenblätter dienten als Speicher für:

    "Das könnte sein Mais, das könnten Kartoffeln sein, das könnte Quinoa sein, was so ein Hochlandgetreide ist, verschiedene Feldfrüchte, die dort wachsen, aber vor allen Dingen Mais und Kartoffeln und andere Knollenfrüchte aus der Region."

    Markt in Laramate. Aus einem Lautsprecher scheppert Musik. Peruanerinnen aus dem Hochland sind gekommen. Indios in bunt gefärbten Tüchern mit lang geflochtenen Zöpfen bieten ihre Waren feil: Milch, die so lange mit Zucker gekocht wurde, bis sie karamellisiert. Honig. Joghurt. Rohmilchkäse. Früchte sucht man vergeblich. Die Erklärung ist einfach:

    "Das, was früher wirklich Ackerbaufläche war, ist heute mehr oder weniger Viehweide","

    hat die Archäologin Caroline Hohmann beobachtet:

    ""Wer heute in Laramate oder in den anderen Orten verdient, sind Leute mit Vieh, nicht mehr mit Ackerbau. Da, wo sie Ackerbau betreiben, bauen sie Alfa Alfa an, das ist das Gras, was das Vieh frisst. Das ist das Geschäft, was sie machen. Man sieht es auch in den Läden. Man kann eigentlich nichts kaufen, was da angebaut wird. Das wird alles aus Ica gebracht. Das heißt, heute ist die Region eine Viehwirtschaftsregion, und das hat sich auch geändert, zu früheren Zeiten."
    Eins ist gleich geblieben: Die Verbindung zur Küste. Während heute die Pan Americana die Küste entlang führt und suggeriert, die wichtigsten Orte lägen dort, haben viele Peruaner ihre Wurzeln traditionell im Hochland.
    Die Paracas und später die Nasca orientierten sich Richtung Hochland. Die Anden waren früher die Kornkammer für die Küste. Dann änderte sich langsam das Klima. Die Kornkammer versiegte und mit ihr die Lebensgrundlage der Völker.

    "Wir denken, dass die Geoglyphen eine ganz eminente Bedeutung hatten im Gesellschaftssystem und im Glaubenssystem der Nasca-Bevölkerung. Durch die Geoglyphen wurde im Grunde eine sterile Wüstenlandschaft in das Lebensumfeld, in die soziale Umwelt der Nasca-Leute eingebunden. Die Geoglyphen hatten eine Funktion von Freilichttempeln, also man ist auf die Geoglyphen gegangen, um den Göttern zu opfern. Im Zentrum des Kultes standen ganz offenbar Wasser und Fruchtbarkeit, leicht verständlich in dieser Region, wo Leben und Überleben abhängt von Wasser und der Verfügbarkeit von Wasser und wenn wir noch dazunehmen, dass es im Laufe der Zeit und insbesondere der Nasca-Zeit immer trockener wurde können wir besser verstehen, wie die Menschen durch diese rituellen Aktivitäten um Wasser flehten, durch den Bau von Geoglyphen, durch den Bau von kleinen Tempeln, durch das Niederlegen von Opfergaben, was aber offenbar am Ende der Nasca-Zeit nicht ausreichte. Das Wasser blieb aus. Die Nasca-Kultur ging zugrunde. Die Menschen wanderten ab."

    Das Rätsel der Nasca-Linien - so scheint es - ist gelöst: Sie dienten religiösen Ritualen. Markus Reindel forscht weiter. Ausgrabungen zeigen, dass die Region immerhin schon vor fast 6000 Jahren besiedelt war. Der Fund vom Morgen auf der aktuellen Grabung ist ein Mosaikstein in dem Puzzle:
    Zusammen mit seinen Kollegen begutachtet der Archäologe den grob geschnürten Beutel in seiner Hand, der an einem alten Mauerrest zutage kam. Er öffnet ihn vorsichtig. Sichtbar wird eine braune, undefinierbare Masse:

    "Wir haben alle Möglichkeiten durchdiskutiert, was das eigentlich sein könnte. Das geht also von der Achida, also der eigentlichen Frucht, die auch zu den Blättern gehört, die da gekocht worden ist oder gegart worden ist in dem Erdofen bis hin zu der Verpackung von irgendwelchen Samen oder sogar zu der durchaus seltsamen Praxis, die man in den Grabungen hier nachweisen kann, dass man menschliche Exkremente eingepackt hat, teilweise auch an sehr prominenten Stellen, wo dann Körbe sind, wo ein richtiger Exkrementhaufen, wiederum abgedeckt von einem anderen Korb, auch in zeremonialem Kontext der Nasca-Hauptstadt zum Beispiel. Also da sind viele Möglichkeiten, also wir müssen das jetzt tatsächlich mal angucken, öffnen, und dann von jemandem, der sich mit solchen Dingen auskennt, analysieren lassen. Solche unscheinbaren kleinen Dinge, die können uns sehr viel Informationen geben. Es müssen nicht immer die Goldfunde sein oder die schönen bunten Keramiken, sondern so was speziell bei den frühen Fundorten ist für uns Archäologen eigentlich viel interessanter."

    Literatur:

    Markus Reindel, Günther A.Wagner (Hrsg.), Natural Science in Archaeology, New Technologies for Archaeology, Multidisciplinary Investigations in Palpa and Nasca, Peru. Springer – Verlag Berlin Heidelberg 2009

    Weitere Informationen:

    dainst.org