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Keine Aussicht auf Einigung

Der Vorsitzende der dbb-Tarifunion, Frank Stöhr, hält den Schlichterspruch in den laufenden Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes für nicht akzeptabel. Er beinhalte in "Systematik und Struktur das Gleiche, was uns auch die Arbeitgeber angeboten haben". "Wenn der Staat einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst haben will, dann muss er auch die Beschäftigten entsprechend bezahlen", verlangte Stöhr.

Moderation; Jochen Spengler | 28.03.2008
    Jochen Spengler: Morgen wird wieder verhandelt im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes für 1,3 Millionen Beschäftigte bei Bundesbehörden und in Gemeinden. Die Gewerkschaften fordern acht Prozent mehr Einkommen, die Arbeitgeber bieten eine Gehaltssteigerung von fünf Prozent, aber über zwei Jahre bei längerer Arbeitszeit. Darüber hat man fünfmal ohne Fortschritte verhandelt. Gestern nun hat der Schlichter Lothar Späth seinen Vorschlag gemacht, sechs Prozent mehr über zwei Jahre plus zwei Einmalzahlungen, was einem Gesamtvolumen von acht Prozent entsprechen soll, wenn auch wie gesagt über zwei Jahre. Die öffentlichen Arbeitgeber wären damit einverstanden.

    Dennoch drohen ab dem 12. April flächendeckende Streiks, denn die größte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di lehnt den Schlichterspruch ab, auch weil eine halbe beziehungsweise eine Stunde pro Woche länger gearbeitet werden soll. Am Telefon ist nun Frank Stöhr, Vizechef des Beamtenbundes und Leiter der Tarifunion, die ebenfalls am Verhandlungstisch sitzt. Guten Morgen, Herr Stöhr!

    Frank Stöhr: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Stöhr, unterscheidet sich die Haltung der Tarifunion, des Beamtenbundes, von der Ihres übermächtigen Bündnispartners, oder legen Sie voll auf der ver.di-Linie?

    Stöhr: Erstmal ist es nicht unser übermächtiger Partner, sondern wir haben eine Kooperation für die Einkommensrunde abgeschlossen, und wir gehen Schulter an Schulter. Das ist erst mal die Feststellung, und zweitens mal liegen wir auf der gleichen Ebene, die ver.di in der Beurteilung auch dessen, was sowohl das Arbeitgeberangebot als der Späth-Vorschlag beinhaltet.

    Spengler: Sie lehnen den Schlichterspruch ab? Worüber verhandeln Sie dann morgen eigentlich?

    Stöhr: Zunächst mal müssen wir noch mal begründen, warum wir ihn ablehnen, um darüber auch klar zu machen, was wir morgen in den Verhandlungen erwarten. Erstmal ist dieser Vorschlag von Herrn Späth in der Systematik und Struktur das Gleiche, was uns auch die Arbeitgeber angeboten haben. Hier soll Einkommen erreicht werden dadurch, dass ein Tauschgeschäft gemacht wird zulasten der Arbeitszeit, sprich Arbeitszeitverlängerung, und das, dieses Tauschangebot, auch noch mal in der genauen Bewertung für die Jahre 2008 und für 2009, beinhaltet, dass wir sowohl im Jahre 2008 und 2009 keinen realen oder keinen richtigen Zuwachs haben. Während wir im Jahre 2008 noch für die Beschäftigten vielleicht die Preissteigerungsrate auffangen können, ist das für das Jahr 2009 nicht möglich, wenn man auch die Arbeitszeit mit in die Berechnung einbezieht.

    Spengler: Herr Stöhr, darf ich da einhaken, damit wir das alle richtig verstehen. Also vier Prozent plus ist ja nun deutlich über der Inflationsrate, wenn man das dieses Jahr bekäme. Sie sagen, das reicht aber nicht, weil wir dafür ja länger arbeiten müssten?

    Stöhr: Genau. Diese vier Prozent werden ja nicht vom 1. Januar an gezahlt, sondern vom 1. April, so dass wir auf das Jahr bezogen drei Prozent darstellen. Und wenn man diese drei Prozent, wie Sie zu Recht sagen, dann auch noch bewertet mit einer Arbeitszeitverlängerung für ein halbes Jahr, aber für eine Stunde, mit einer Wertigkeit von 1,3 Prozent, dann sind wir auf 1,7 Prozent Einkommensverbesserung, was die Beschäftigten haben. Und das deckt, wie gerade gesagt, die Inflationsrate vielleicht ab. Für die unteren Einkommensgruppen gibt es halt noch mehr. Da wird ja durch die Einmalzahlung in der Größenordnung von zirka 1 Prozent noch mal ein Zuwachs erreicht, so dass die unteren Einkommen auf 2,8 Prozent liegen. Aber das ist für das Jahr 2008, wenn man die Rechnung aber fortführt für das Jahr 2009, wo zwei Prozent angeboten werden, und dann noch mal die Einmalzahlung mit 1 Prozent ja bewerten werden, liegen wir auf drei Prozent. Und wenn wir da aber dann die ganze Stunde Arbeitszeit abziehen, liegen wir gerade mal bei 0,5 Prozent Einkommensverbesserung. Und wenn man dann bewertet, dass der Vorschlag von Herrn Späth beinhaltet, dass die Krankenschwestern eine Zulage von 35 Euro pro Monat gestrichen bekommen, würde das wieder ins Minusgeschäft gehen von 1 Prozent, so dass also die Krankenschwester im Jahre 2009 praktisch ein Minusgeschäft hat.

    Spengler: Herr Stöhr, das heißt, acht Prozent, was Lothar Späth gesagt hat, als Gesamtvolumen, das akzeptieren so nicht, diese Rechnung?

    Stöhr: Nein. Hier werden unsere acht Prozent, die genannt worden sind, in Teile zerstückelt über zwei Jahre gestreckt und sollen mit einer einstündigen Arbeitszeitverlängerung selbst bezahlt werden.

    Spengler: Jetzt greifen wir einen Punkt raus mit der Arbeitszeitverlängerung. Statt 38,5 Stunden oder statt 39, nun 39,5 Stunden. Was ist denn jetzt an sechs bis zwölf Minuten Arbeit mehr pro Tag so dramatisch?

    Stöhr: Zunächst ist festzustellen, dass in den letzten Jahren in vielen Betrieben, auch in der Verwaltung, eine hohe Arbeitsverdichtung durch den enormen Stellenabbau eingetreten ist, der im öffentlichen Dienst zu verzeichnen ist, in den letzten sieben Jahren 160.000 Stellen. Wir haben zum Weiteren festgestellt, dass diese Arbeitsverdichtung durch den Stellenabbau natürlich dazu geführt hat, dass sich auch der Arbeitsmarkt dadurch sicherlich nicht unproblematischer dargestellt hat. Wir haben die Situation, wenn man über Arbeitsbelastung redet, dass eine Krankenschwester heute im Durchschnitt nur viereinhalb Jahre in ihrem Job bleibt und dann wieder rausgeht. Und wenn Sie in die Stationen gehen, Sie werden kaum mehr eine Krankenschwester finden, die über 50 Jahre alt ist. Und das Gleiche gilt bei den Busfahrern, so dass wir über die Arbeitsbelastung feststellen müssen, dass hier Grenzen erreicht sind. Und genau das ist der Punkt, dass wir sagen, wir brauchen keine Arbeitszeitverlängerung, wir wollen die Menschen im Beruf halten, und deshalb wollen wir hier eine Stopplinie ziehen.

    Spengler: Herr Stöhr, ist es nicht so, ich frage einfach mal nach, dass dadurch, dass immer weniger Stellen im öffentlichen Dienst sind, die deswegen sind, weil die einzelnen Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst auch tatsächlich immer weniger Wochenstunden arbeiten, dass deswegen halt gestrichen wird an Stellen, dass dadurch die Arbeitszeitverdichtung so groß geworden ist?

    Stöhr: Nein, die Stellenstreichungen resultieren daraus, dass aus, ich sage mal, finanziellen Problemen, die die Städte haben, hier Stellen abgebaut worden sind.

    Spengler: Ja, aber die finanziellen Probleme, die die Städte haben, und die haben wir ja alle als Steuerzahler sozusagen, das ist ja unser Geld, über das wir hier reden, die werden doch tatsächlich nicht geringer, je mehr Sie Löhne fordern, je höhere Löhne Sie fordern, die werden doch größer?

    Stöhr: Wir haben doch festzustellen, dass in den letzten vier Jahren die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sich nachhaltig auch beteiligt haben, die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren. Die letzte Einkommenserhöhung linear war 2004. Und seit dieser Zeit hat es Reallohnverluste gegeben für den Durchschnitt der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von fünf Prozent. Und das liegt weit über dem, wo ansonsten auch in vergleichbarer Privatwirtschaft Einkommensentwicklungen zu betrachten sind.

    Spengler: Da sagen die Arbeitgeber, Herr Stöhr, da sagen die, ja gut, das ist halt der Preis dafür, dass die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sicher sind.

    Stöhr: Mit der Sicherheit der Arbeitsplätze wird über 10, 20, 30 Jahre immer wieder argumentiert, und das ist immer wieder sicherlich der Punkt, den Arbeitgeber anführen. Aber wenn ich eine Krankenschwester nehme, wenn ich einen Fahrer im Nahverkehr habe, der praktisch im Nahverkehr, ein Busfahrer, 1800 Euro verdient oder eine Krankenschwester 2100 Euro brutto und 1300 Euro netto, was sage ich dieser Frau, was ihre Arbeitsplatzsicherheit bedeutet, wenn sie jetzt schon an der Grenze arbeitet? Sie hat im Vergleich ein sehr bescheidenes Einkommen, und genau das ist unsere gewerkschaftliche Fürsorge, für diese Kolleginnen einzutreten und auch sie an einer gerechten Einkommensentwicklung zu beteiligen, und nicht die Staatsfinanzen versuchen zu erklären. Dafür sind wir auch zuständig, das zu verantworten. Aber wenn der Staat einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst haben will, dann muss er auch die Beschäftigten entsprechend bezahlen.

    Spengler: Frank Stöhr, Vizechef des Beamtenbundes und Leiter der Tarifunion. Danke für das Gespräch, Herr Stöhr.

    Stöhr: Herzlichen Dank.