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"Keine Aussicht auf Frieden in Syrien"

Eine Lösung im Konflikt zwischen dem Assad-Regime und Oppositionellen sei nicht "ansatzweise" zu erkennen, sagte Jochen Hippler im DLF. Der Politikwissenschaftler und Friedensforscher der Uni Duisburg ergänzte, dass die Opposition in Teilen gewaltsamer sei als die Assad-Truppen. Das habe Assad in Syrien gestärkt.

Jochen Hippler im Gespräch mit Gerd Breker | 21.08.2014
    Zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in der Nähe von Aleppo
    Zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in der Nähe von Aleppo (dpa / picture alliance / Sana Handout)
    Gerd Breker: Heutzutage gibt es Luftschläge der US-Amerikaner gegen die Islamisten des Islamischen Staates. Vor einem Jahr, da hätte es beinahe Luftschläge der US-Amerikaner gegen das syrische Assad-Regime
    e gegeben, als die berüchtigte "Rote Linie" überschritten wurde. Der syrische Diktator Assad hatte im Bürgerkrieg gegen das eigene Volk Giftgas eingesetzt, und er kam davon, weil er mit russischer Hilfe sich mit der Zusage, seine Giftgasvorräte vernichten zu lassen, freikaufen konnte. Das Giftgas wurde vernichtet, aber das Morden im syrischen Bürgerkrieg ging weiter. Inzwischen nähert man sich in der Zahl der Opfer eher der 200.000. Martin Zagatta – vor einem Jahr, der Giftgaseinsatz in Syrien:
    Martin Zagatta erinnerte an den Giftgaseinsatz in Syrien vor einem Jahr . Und am Telefon sind wir nun verbunden mit Jochen Hippler, Politikwissenschaftler und Friedensforscher an der Universität Duisburg. Guten Tag, Herr Hippler!
    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Breker!
    Breker: Erinnern wir uns an vor einem Jahr. Damals gab es keine US-Luftschläge, weil Russland die Schutzmacht des Assad-Regimes war und auch heute noch ist.
    Größeres Übel ist die IS
    Hippler: Ja, aber das ist ein bisschen aus dem Blick gekommen, weil eben sich die Konfliktlage jetzt verschoben hat. Die Angriffe, die verbalen politischen Angriffe und Kritik gegen Herrn Assad im Westen sind offensichtlich auch zurückgegangen, weil man ihn jetzt nicht mehr für das Hauptproblem hält, sondern eben tatsächlich stärker auf ISIS oder den Islamischen Staat schaut und inzwischen sich ja auch Baschar al-Assad zu Luftschlägen gegen den Islamischen Staat bereitgefunden hat. Insofern, da gibt es so eine Situation, dass das größere Übel jetzt im Moment der Islamische Staat ist.
    Breker: Assad hatte damals laut US-Präsident Obama die rote Linie überschritten, und mit dem Einverständnis, dass seine Giftgasvorräte vernichtet werden, sich freigekauft von US-amerikanischen Luftschlägen. War das irgendwo nicht auch Abschied von US-Präsident Obama in der Rolle des Weltpolizisten?
    Hippler: Nun, er hatte ja von Anfang nicht wirklich ein besonderes Interesse, diese Rolle auszufüllen. Deswegen sein versprochener Rückzug aus dem Irak, und dann, nach diesem gescheiterten Versuch, Afghanistan doch noch zu befrieden, auch aus Afghanistan. Insofern, das war nicht die Rolle, die ihm auf den Leib geschnitten war. Aber man muss schon sagen, dass man als Politiker mit so einer zentralen Rolle, die der Präsident hat, keine roten Linien verkünden darf, wenn dann daraus nichts folgt. Das hat seine Glaubwürdigkeit sicher in der Region geschmälert, erst zu drohen, erst eine rote Linie in den Sand zu zeichnen, und dann, wenn sie überschritten wird, passiv zu sein – das hat ihn sicher nicht gestärkt.
    Widerstand in Syrien hat sich geändert
    Breker: Wir haben es eben noch mal gehört, Herr Hippler, die Giftgasvorräte in Syrien mögen zerstört sein, aber den Menschen hat es wenig geholfen. Es wird weiter gemordet, statt Giftgas nun eben mit den berüchtigten Fassbomben.
    Hippler: Und mit einer Veränderung des Krieges, der halt besonders destruktiv geworden ist. Denken Sie zurück noch über das eine Jahr hinaus: Der Bürgerkrieg in Syrien fing eben an 2011 im Sommer, als er das Aufbegehren, das friedliche Aufbegehren des großen Teils der Gesellschaft gegen diese säkulare, brutale Diktatur, und dann hat er sich über verschiedene Zwischenphasen im Charakter mehrmals geändert, und inzwischen ist es so, dass auch viele Syrer Baschar al-Assad nicht mehr als das größte Übel, sondern eher als das kleinere Übel empfinden. Auf der einen Seite also Christen und Alewiten offensichtlich aber inzwischen eben auch noch ein Teil von sunnitischen Arabern. Das ist sicher eine Veränderung. Auf der anderen Seite hat sich eben der Widerstand sehr stark geändert. Früher gab es eben trotz der Vielfalt und gewisser Spaltungen einen Kampf gegen die Diktatur, gegen Baschar al-Assad, aber inzwischen wird ein großer Teil der Kraft des Widerstandes durch Kämpfe gegeneinander – Araber gegen Kurden, Dschihadisten gegen gemäßigte Sunniten, Kämpfe zwischen Dschihadisten.
    Das ist natürlich auch fürchterlich blutig, wenn Sie eben nicht mehr nur zwei Seiten eines Krieges haben, wo man vielleicht noch ein Ende der Gewalt erreichen könnte, sondern der Krieg sich auf eine Art verselbstständigt, dass jetzt eben ethnische, konfessionelle Gruppen und alle möglichen Milizen und Parteien gegeneinander und nicht nur gegen das Regime, ist Frieden viel schwerer zu erreichen, und das Leiden der Bevölkerung nimmt natürlich dann entsprechend zu.
    Breker: Sie haben es angesprochen, Assad hat sich relativ früh eigentlich schon ein wenig wie eine Schutzmacht der religiösen Minderheiten in Syrien präsentieren wollen. Er hat damals nicht überzeugt, aber das Auftauchen der ISIS-Kämpfer, also der Vorläufer des heutigen Islamischen Staates, hat das nicht verhindert, im Gegenteil, er hat sie, relativ gesehen, geschont.
    Opposition ist gewalttätiger als Assads Regime
    Hippler: Sie haben ihm sozusagen auch in die Hände gespielt, politisch. Und militärisch sind sie natürlich inzwischen eine der gefährlichsten Bedrohungen für ihn. Aber politisch hat das natürlich Sorgen in bestimmten Teilen der Bevölkerung, vor allen Dingen bei den Minderheiten, unterstützt, dass eben Baschar al-Assad vielleicht ein repressiver Diktator ist und sein Regime korrupt und unfähig war und so, aber dass eben die wirkliche Bedrohung vom sunnitischen Extremismus ausging. Das hat zuerst die Nusra-Front oder auch sogar schon Teile der vielleicht offizielleren sunnitischen Opposition, und dann vor allen Dingen natürlich der Islamische Staat, die haben das bestätigt.
    Also, durch solche Videos, durch solche Massaker, wie sie vor ein paar Tagen in Syrien an 700 sunnitischen Stammesmitgliedern gemacht worden ist, da zeigt man natürlich wirklich, dass das Regime schlecht sein mag, aber halt weniger massenmörderisch als Teile der Opposition. Das hat Baschar al-Assad genutzt natürlich.
    Breker: Im Westen mehr sich oder festigt sich die Meinung, dass man mit diesen Dschihadisten des Islamischen Staates nicht verhandeln kann, dass sie militärisch besiegt werden müssen. Braucht man dafür Assad? Braucht man dafür die syrische Armee?
    Hippler: Brauchen ist so eine Sache. Wir reden ja jetzt von einem Konflikt, der im Moment in zwei Ländern, Syrien und Irak, tobt und inzwischen auch bereits gibt, dass halt weiter entfernte Länder – denken wir jetzt an Libyen, oder es gibt sogar schon jetzt Spekulationen über Indonesien, dass sich da solche Sachen weiter verzweigen. Es gibt inzwischen tatsächlich ja auch in Deutschland oder in London Unterstützer, die halt Flugblätter verteilen oder auch Messerstechereien machen. Insofern, das ist jetzt nicht mehr auf Syrien bezogen. Deswegen ist natürlich die Rolle des syrischen Regimes dann auch in gewissem Sinne zu relativieren.
    Aber lassen Sie mich sagen, was Sie gesagt haben, dieses Denken, man könnte das Problem jetzt eben militärisch lösen. Das scheint mir insgesamt eine Verkürzung zu sein. Man kann mit denen sicher nicht verhandeln, weil da gibt es halt nichts zu verhandeln über Enthauptungen und solche Formen von Massakern. Nur, es ist schon im Kern ein politisches Problem, das wir nicht hätten, wenn wir in Syrien oder im Irak legitime Regierungen hätten, die von ihren Leuten nicht gehasst würden.
    Ich meine, wir haben im Irak jetzt tatsächlich, im Nordirak die Situation, dass da sunnitische Stämme und andere ISIS oder den Islamischen Staat jetzt als das kleinere Übel vom irakischen Staat betrachten. Wir müssen tatsächlich vor allen Dingen daran arbeiten, dieses Vakuum, was wir da haben, das jetzt eben der Islamische Staat füllt relativ einfach – das fällt denen ja wie ein Apfel in den Schoß –, dieses Vakuum zu schließen. Und dann machen auch Luftschläge Sinn, und dann kann man auch über Waffenlieferungen reden. Aber ohne dieses Vakuum, was die Staaten, beide Staaten, geschaffen haben, zu schließen, glaube ich, dass militärischer Zwang alleine Zeit gewinnt, aber das Problem nicht lösen wird.
    Keine Aussicht auf Frieden in Syrien
    Breker: Der Bürgerkrieg in Syrien dauert jetzt schon drei Jahre. Herr Hippler, ist da ein Ende in Sicht?
    Hippler: Nein, nicht einmal ansatzweise. Ich kann im Moment in Syrien selbst, und darauf kommt es ja an, nicht erkennen, dass die Lösung näher ist, sondern sie rückt weiter weg. Durch die erwähnte Zersplitterung, Spaltung der Opposition gibt es da auch auf Oppositionsseite keine realistische Verhandlungspartner. Mit wem sollte man jetzt eigentlich reden, wenn die sich gegenseitig genauso massakrieren, wie sie das wechselseitig mit dem Regime machen.
    Einen Teil von Kriminalisierung gibt es auch, also dass jetzt eben Milizen aufgetreten sind, die im Wesentlichen an Plünderungen und Bereicherung und Schutzgelderpressung interessiert sind. Das sind alles keine Verhandlungspartner. Also insofern, die Voraussetzungen im Moment in Syrien für einen Friedensschluss sind weder auf dem Verhandlungsweg gegeben – das Regime hat kein Interesse mehr, weil sie sich jetzt stärker fühlen als früher, und die Opposition ist so zersplittert und handlungsunfähig, dass sie nicht kann. Und militärisch kann ich auch keine Lösung sehen. Insofern fürchte ich, dass die nächsten paar Jahre der Konflikt eben weiter diese Leiden, von denen Sie gesprochen haben, noch verschärfen wird.
    Breker: Im Deutschlandfunk war die Einschätzung von Jochen Hippler. Er ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher an der Universität Duisburg. Herr Hippler, ich danke für dieses Gespräch!
    Hippler: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.