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Keine Chance: Jugendliche im Iran

Sie haben ihre Jugend - und das war es eigentlich auch schon. Im Iran Teenager oder Student zu sein, bedeutet nicht selten Schikanierung. Oft werden junge Menschen stundenlang von der Polizei festgehalten - meist ohne Grund. Die Jugendlichen fordern mehr Rechte, mehr Mitsprache, mehr Redefreiheit.

Von Reinhard Baumgarten | 17.10.2011
    Ende eines Familienausflugs morgens um acht. Straßensperre im Elbrusgebirge. Die Polizei verhindert die Weiterfahrt.

    "Wir sind das gewöhnt", sagt der 30-Jähirge Majid. Wir sind an diese Art von Problemen gewöhnt. Er und seine Frau Fereshte wollen nach Tange Washi. Das ist eine enge wasserführende Schlucht knapp zwei Autostunden östlich von Teheran. Die Polizei hält die beiden und viele andere Ausflügler zurück. Begründung: nicht erlaubt.

    "Was kannst Du gegen deine Regierung machen, wenn die sowas tut?"

    Warten, dran bleiben, reden, verhandeln, hinterfragen – das kann man tun, sagt Fereshte und redet auf die Polizisten ein.

    "Wir wollen unsere eigene Natur genießen. Wo sollen wir denn sonst hingehen? Sagen Sie's uns, und wir fahren da hin. Es gibt keinen anderen Erholungsplatz. Sollen wir etwa zu Hause bleiben? Wir investieren Geld und Zeit, um nach Tange Washi zu fahren."

    "Fahr weiter", ruft ein Polizist, bleib hier nicht stehen. Die Beharrlichkeit der Ausflügler trägt erste Früchte. Es geht auf Mittag zu. In knapp 2600 Meter Höhe brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Das Thermometer ist auf 32 Grad geklettert. Familien mit Kindern und eigenem Pkw werden nun durchgelassen, Busse müssen weiter warten.

    "Wir Armen kommen mit dem Bus. Die Reichen kommen mit dem Privatauto und können das jede Woche genießen, wir aber nicht. Was ist denn das für eine Logik?",

    will der Maschinenbaustudent Davud wissen. Ihm ist klar, dass er auf seine Frage keine Antwort kriegen wird. Für diese Straßensperre und die mehrstündige Schikane gibt es keine Logik. Es gibt allenfalls religiös verbrämte Erklärungen. Deshalb probiert eine junge Frau einen anderen Dreh:

    Der Imam Javar Sadigh habe gesagt, man solle die Liebe der Menschen gewinnen, versucht sie den Offizier mit einem erfundenen Zitat zu überzeugen. Er lacht, alle lachen, trotz des schikanösen Wartens. Dann wird der Weg zur Schlucht für alle frei gegeben.

    Schnell fließendes Wasser in einer engen Klamm. Tausende Menschen ergießen sich nach und nach in die Washi Schlucht und waten in Turnschuhen und langen Hosen durch das kalte Wasser, das ihnen stellenweise bis zu den Oberschenkeln reicht.

    Schreie der Befreiung, der Erleichterung und der Freude hallen von den engen Sandsteinwänden der Schlucht wider.

    Jeder genießt das, jeder mag das, sagt Firuzeh, die sich in reißender Strömung an einen Felsen klammert. Die Freude über den Triumph der Jugend gegen den Starrsinn des Systems steht der blondierten Frau mit den blau-türkisen Augen und den auffallend rot-geschminkten Lippen ins Gesicht geschrieben.

    "Die mögen keine jungen Menschen. Die wollen die jungen Leute nicht hierherkommen lassen. Die ertragen es nicht, wenn junge Leute glücklich sind."

    Etwa zwei Kilometer ist die Washi Schlucht lang. In der Mitte öffnet sie sich. Dort grasen Kühe, wachsen Kopfweiden und spielen junge Leute Völkerball. Einige campieren in Zelten, viele picknicken. Unter ihnen ist der 29-jährige Mohammed.

    "Die iranische Jugend will Freiheit. Klar jede Schicht hat eigene Vorstellungen von Freiheit. Die Studenten zum Beispiel wollen Redefreiheit, sie möchten bei der Gestaltung der Gesellschaft mitreden. Das wird ihnen verwehrt. Das schafft Probleme."

    Eines der Probleme besteht darin, dass jährlich rund 250.000 Iraner das Land mangels Perspektiven verlassen. Darunter sind viele junge, gut ausgebildete Menschen wie Mohammed. Er hat Maschinenbau studiert. Viele seiner einstigen Kommilitonen sind bereits weg: Europa, Nordamerika, Australien. Er liebe sein Land, betont Mohammed, er sei stolz auf dessen einzigartige Kultur. Lange habe er auf eine positive Entwicklung im Iran gesetzt.

    "In den vergangenen sieben oder acht Jahren, nach der Amtsübernahme durch "Herrn X" ist alles negativ verlaufen. Ich spüre keine Verbesserung, weder für mich noch für meine Freunde. Ich sehe keinen gemeinsamen Enthusiasmus mehr für den Aufbau unseres Landes oder meines Lebens. Ich sehe für mich keine Zukunft hier."

    Bamdad hat sein Studium, seine Zukunft, sein Leben noch vor sich. Er ist 20 und hat sich an der Uni in Teheran auf einen Studienplatz beworben.

    "Es macht uns Spaß, im Auto mit Freunden zusammen rumzufahren. Es passiert eigentlich gar nichts. Wir hören Musik und schauen uns an, was wir jeden Tag sehen. Naja, eigentlich ist das kein Spaß."

    Bamdad möchte Informationstechnologie studieren. Er ist ein Meister der Tastatur, der Internet-Links und Antifilter-Programme. Der Computer, sagt der groß gewachsene junge Mann, bestimme die Zukunft – auch im Iran.

    "Was wir am meisten vermissen, ist eine Disco, wo man tanzen kann. Keiner von uns hat sowas hier im Iran bis jetzt erlebt. Anstatt ständig im Auto zu sitzen und Musik zu hören, wäre es schön, wenn wir uns dabei auch ein bisschen bewegen könnten."

    "Es gibt Feten bei Freunden, aber man muss ständig aufpassen, dass nicht Polizei reingestürmt kommt. Ich habe ständig diese Angst in mir, deshalb passe ich immer auf, dass die Musik nicht zu laut wird."

    Jung sein, Spaß haben, Freunde treffen, mit der Welt kommunizieren. Die Wünsche von jungen Leuten in Teheran, Isfahan oder Täbris unterscheiden sich nicht viel von denen in Berlin, Madrid oder San Francisco. Aber ihre Möglichkeiten unterscheiden sich erheblich.

    "Die Welt, die ich mir geschaffen habe, sagt der 20-jährige Bamdad, ist auf Facebook. Ich bin darüber enger in Kontakt mit meinen Freunden als in der Wirklichkeit. Chatten, Fotos posten, Tipps für Schul- und Prüfungsaufgaben austauschen. Das Internet ist für viele iranische Jugendliche eine Informations- und Nachrichtenbörse. Aber es ist noch mehr: es ist ein Fluchtweg aus der konkreten Lebenssituation im Iran."

    "Weil ich keinen Platz in der realen Welt habe, habe ich mir eine eigene Welt geschaffen. Deswegen ist es mir so wichtig, mir diese Welt zu erhalten. Wenn zum Beispiel für zwei Tage das Internet unterbrochen ist, bin ich ziemlich down. Ich muss mit Facebook in Kontakt kommen, das ist meine einzige Möglichkeit, in Kontakt mit der Welt zu bleiben und mich upzudaten."

    Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke sind der iranischen Führung ein Dorn im Auge. Deshalb sind sie eigentlich gesperrt. Aber schlaue Nerds wie Bamdad programmieren ständig neue Anti-Filter-Programme, die den Zugang ermöglichen. Die staatlichen Aufpasser versuchen, irgendwie die Kontrolle zu behalten, erklärt die 16-jährige Songol.

    "Es gibt auch religiöse Seiten in Facebook, zum Beispiel über Imam Ali. Jetzt wissen sie nicht, ob sie Facebook sperren sollen oder nicht. Es wird jetzt sehr viel von einem islamischen Internet geredet. Ich hab keine Ahnung, was das sein soll. Eine Gesetzesvorlage ist im Parlament, aber ich hoffe, die kommt gar nicht durch. Das ist doch zum Lachen."

    Reza Taghipour, dem Minister für Technologie und Telekommunikation, ist beim Gedanken an Facebook und Internet nicht zum Lachen zumute. Seinem Ministerium untersteht die Aufsicht übers Netz.

    "Von Tag zu Tag nimmt die Kriminalität im Internet zu. Private Daten werden gestohlen. Die Sicherheit der privaten Daten ist deshalb sehr wichtig beim nationalen Internet."

    Sicherheit, das heißt im Iran vor allem: Kontrolle. Im Netz tauschen sich Menschen aus, verabreden und organisieren sich.

    Auf Facebook sei vorgeschlagen worden, sich am Freitag zu treffen, erklärt Bamdad. Die Idee sei gewesen, sich gegenseitig mit Wasserpistolen nass zu spritzen. Mehrere hundert Jugendliche – viele in Begleitung ihrer Eltern - hatten an diesem Freitag einen Riesenspaß. Nach der Wasserschlacht rückt dann die Polizei an. Es kommt zu Festnahmen. Minister Reza Taghipour findet die Aktion gar nicht lustig.

    "Natürlich haben sie damit Normen gebrochen. Es waren auch viele Familien da, die sich durch dieses Verhalten verletzt fühlten."

    "Mein Freund ist so gegen zwei Uhr in der Ghandi Straße festgenommen worden. Er hatte neue Klamotten an, war also trocken, aber sie haben gefragt, woher er käme und er sagte, von dem Park. Dann haben sie ihn aufgefordert, ins Auto zu steigen, weil irgendetwas angeblich nicht mit ihm stimmen würde. Er war über Nacht bei der Sitte, dort haben sie ihn fotografiert und er musste versichern, dass er das nicht wieder macht."

    Normbrecher und Übeltäter wurden vorgeführt. Ihre Aussagen klangen nicht nach persönlicher Reue sondern nach vorgegebenen Statements:

    "Die Kopfbedeckung der Frauen war nicht angemessen. Bei einigen war das Kopftuch sogar ganz weg."

    "Beim ersten Mal war's vielleicht noch Spaß. Beim nächsten Mal könnte es politische Absichten haben."

    Was von den Normen abweicht, wird nicht geduldet. Es wird als politische Absicht, als konterrevolutionär, als gefährlich für Staat und Gesellschaft gedeutet. Selbst eine unscheinbare Schlacht unter Jugendlichen mit Wasserpistolen findet keine Gnade. Kann die Entfremdung zwischen herrschendem Establishment und der jungen Bevölkerungsmehrheit größer sein?

    "Ich ärgere mich, ich ärgere mich unheimlich. Aber ich kann nichts machen. Die verhaften mich sonst und ich muss eine Nacht auf dem Revier verbringen. Ich streite stattdessen mit meinen Freunden oder mit meiner Familie. Das ist ärgerlich."

    Drohungen, Sanktionen, vorläufige Festnahmen – die staatlichen Sicherheitskräfte tun alles, damit die iranische Jugend nicht auf dumme Gedanken kommt. Meist gelingt es Bandad, sein Zorn darüber zu bändigen. Das Internet als Fenster zur Welt hilft ihm dabei. Um ins Netz zu kommen, nutzt der Student eine vpn-Verbindung – ein virtuelles privates Netzwerk, für das er monatlich umgerechnet zwei Euro zahlt. Solange die Leitungen im Iran nicht total gekappt werden, könne sein Weg ins Netz allenfalls verlangsamt, aber nicht gestoppt werden. Das geplante iranische Internet werde daran nichts ändern.

    Zwei Drittel der rund 75 Millionen Iraner sind jünger als 30 Jahre. Sie sind nach der Revolution von 1979 geboren worden. Deutlich über 60 Prozent der Iraner leben in Städten, knapp 15 Millionen allein im Großraum Teheran.

    "Das ist Teheran. Eine Stadt, in der alles, was du siehst, dich anlockt. Deine Seele so lange anlockt, bis du feststellst, dass du nur Abfall bist. Hier ist jeder ein Wolf, der wie ein Schaf rumrennt. Lass mich dir die Augen und Ohren öffnen."

    Teheran wächst und wächst. Die Bevölkerung ist jung, ist kreativ, ist duldsam – zumindest an der Oberfläche. Wie es heute in den Herzen und Köpfen jener aussieht, die im Sommer 2009 als sogenannte Grüne Bewegung millionenfach auf die Straßen gingen, lässt sich nur erahnen.

    "Wach auf, Mann. Ich hab dir so viel zu sagen. Dreh nicht durch wegen dem, was ich gemacht habe. wach auf, Mann, ich bin Abfall."

    Politik ist kein Thema für Irans Jugend – zumindest nicht an der Oberfläche. Durch das Internet und das Satellitenfernsehen kriegen die Menschen mit, was in den arabischen Staaten vor sich geht. Sie kriegen auch mit, was der Rest der Welt über ihr Land denkt. Songol mag nicht mehr hinschauen.

    "Ich hab keinen Nerv, Nachrichten zu gucken - BBC oder CNN. Alles, was über den Iran kommt, ärgert mich. Ich sag mir dann, wir sind echt schlecht dran, dass wir hier aufwachsen müssen. Die sagen nichts Schlechtes über den Iran, aber irgendwie trifft es mich doch. Deswegen meide ich Nachrichten."

    Rückzug und Auszug, sagt die 16-jährige Schülerin, sei bei vielen ihrer Freunde die Reaktion auf die politische und gesellschaftliche Realität in ihrem Land.

    Schwerter, Keulen, Morgensterne – Blut fließt in Strömen. Schlacht folgt auf Schlacht.

    Garshasp, der Monstertöter, schwingt seine riesige Klinge im Kampf gegen Unholde. Es geht um nichts weniger als die Rettung der Welt im Kampf Gut gegen Böse.

    Garshasp – ein Computerspiel aus dem Iran. Angefangen hat alles in einer kleinen Küche in Teheran mit dem 35-jährigen Arash Ja'afari.

    Er und seine Kumpels – Computernerds und Musiker - haben sich zusammengesetzt und Ideen ausgetauscht.

    Plötzlich sei ihnen klar gewesen, dass es persische Mythologie sein müsse. Sie sei bunt und biete tolle grafische Ansätze.

    Computer, Spielkonsole, Internet – iranische Jugendliche unterscheiden sich im Freizeitverhalten nicht sehr von europäischen, asiatischen oder amerikanischen Kids. Allerdings sind die Möglichkeiten durch staatliche Kontrollen stark eingeschränkt. Das Computerspiel ist daher Hilfe zur Selbsthilfe.

    "Unser erster Impuls war: Hey, last uns etwas machen, was uns gefällt, mit unseren bescheidenen Mitteln. Etwas, was Spaß macht und was niemand zuvor im Iran gemacht hat."

    Garshasp ist ein absolutes Low-Budget-Produkt. So gut wie alles ist selbst gestrickt – die Figuren und Landschaften aus Pixeln und Polygonen, die Musik, das Drehbuch, die Dialoge. Die Geschichte orientiert sich am berühmten Shahname des persischen Nationaldichters Ferdousi. In einschlägigen internationalen Spielezeitschriften schneidet Garshasp nur durchschnittlich ab. Die Story sei leicht zu durchschauen, die Aufgaben schnell lösbar, die Effekte veraltet. An das große Vorbild "Prince of Persia" kann das Spiel nicht heranreichen. Dennoch ist Arash Ja'afari zufrieden.

    "Der Verkauf im Iran liegt bei mehr als 120.000 Kopien - so sagt die Vertriebsfirma. Im Ausland haben wir bis jetzt so um die 10.000 verkauft, glaub ich."

    Geld, so betont der 35-jährige Spieleentwickler, sei nie der Hauptantrieb für das Spiel gewesen. Er und seine Freunde hätten sich mit Verve und Enthusiasmus in diese große unbekannte Welt der altpersischen Mythen gestürzt, durch die sie zu internationalen Seminaren, Konferenzen und Ausstellungen in Europa und im Nahen Osten gekommen sind.

    Davon träumt auch Firuzeh. Sie hat Textildesign studiert und sich auf Teppiche spezialisiert. Im Iran ist sie eine gefragte Fachfrau. Im Iran, sagt sie, möchte sie leben, eine Familie gründen und ihre Kinder groß ziehen. Aber ihre Zweifel wachsen.

    "Ich hoffe, wir werden eine Zukunft im Iran haben, aber ich weiß es nicht. Die zerstören alles, sie zerstören unsere Kultur, unsre Vorfahren. Sie zerstören alles - zum Beispiel Persepolis, - alles zerstören sie."

    Die Staatsführung sieht das anders. In den offiziellen Medien wird sie nicht müde, die Erfolge Irans zu feiern und die unermüdlichen Anstrengungen zum Wohle des Volkes zu betonen. Der Iran, so lautet die Botschaft seit 32-einhalb Jahren, sei umringt von Feinden, und solle von westlichen Agenten um seine islamische Identität und seine Unabhängig gebracht werden. Die Jugend sei leicht zu verführen und müsse daher geschützt werden. Songol hat wie so viele junge und gebildete Iraner ihre Entscheidung bereits getroffen:

    "Ich werde wohl weggehen. Ich will zuerst hier studieren und dann nach Frankreich gehen - wenn ich ein Visum bekomme."