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Keine Entmündigung der Parlamente

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hat sich gegen ein Vetorecht des EU-Währungskommissars ausgesprochen. In einem Punkt habe Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aber recht: Die Haushaltsdisziplin der EU-Staaten müsse strenger kontrolliert werden.

Martin Schulz im Gespräch mit Christiane Kaess | 17.10.2012
    Christiane Kaess: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sorgt vor dem EU-Gipfel morgen für reichlich Gesprächsstoff. Zunächst schloss er auf seiner Asien-Reise einen Staatsbankrott Griechenlands aus, noch bevor der Prüfbericht der Troika überhaupt vorliegt. Dann legte der Finanzminister nach mit seinen Reformvorschlägen zur Euro-Zone.

    Schäuble will die EU-Verträge ändern, um ein paar tiefgreifende Neuerungen durchzusetzen. Er möchte einen stärkeren Währungskommissar und andere Abstimmungsmöglichkeiten im Europaparlament. Sein Ziel: Europa soll schneller und beherzter in Krisen reagieren können.
    Am Telefon ist jetzt Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments und SPD-Mitglied. Guten Morgen, Herr Schulz!

    Martin Schulz: Guten Morgen!

    Kaess: Der EU-Währungskommissar soll nach den Vorstellungen von Herrn Schäuble Haushalte an nationale Parlamente zurückweisen können. Herr Schulz, wären Sie nicht Volksvertreter im europäischen, sondern in einem nationalen Parlament, würden Sie sich eine solche Entmündigung gefallen lassen?

    Schulz: Ich würde mir nicht gefallen lassen, entmündigt zu werden, wenn ich nationaler Parlamentarier wäre, aber ich glaube, das ist auch nicht das Ziel dessen, was da vorgeschlagen worden ist. Herr Schäuble hat ja im Prinzip an einen wunden Punkt gerührt: Was passiert eigentlich, wenn ein einzelnes Land Beschlüsse, die das Land selbst gefasst hat, mit anderen zusammen, nicht umsetzen will hinterher, weil es unangenehm ist? Wer kann das Land dann verpflichten, die selbst gefassten Beschlüsse eins zu eins umzusetzen? Das ist im wesentlichen das, worauf er abhebt.

    Kaess: Und seinen Vorschlag, dass der EU-Währungskommissar dort mehr Eingriffsrechte hat und ein Vetorecht, das finden Sie gut?

    Schulz: Da spricht er von einer größeren Unabhängigkeit des Währungskommissars und wir werden darüber diskutieren müssen, wie werden Haushaltsdisziplinmaßnahmen zukünftig tatsächlich umgesetzt. Ob das über einen Währungskommissar geht, das ist ein Vorschlag. Wir haben ja im Fiskalpakt, der zurzeit ja ratifiziert wird, auch das Instrument, dass Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden können, wenn sie sich nicht an die selbst gesetzten Kriterien halten. Der verklagt sie dann. Das ist heute im Fiskalpakt schon so vorgesehen. Die Kommission soll das tun. Das muss ja dann innerhalb der Kommission auch jemand machen.

    Kaess: Also ganz konkret ein Vetorecht für einen …

    Schulz: Herr Schäuble spricht gar nicht so sehr über viele neue Sachen.

    Kaess: Er spricht ganz konkret über ein Vetorecht für den EU-Währungskommissar. Gehen Sie da mit, oder lehnen Sie das ab?

    Schulz: Das ist ein Vorschlag, den Herr Schäuble unterbreitet hat. Sie haben ja auf die Arbeitsgruppe in Ihrer Anmoderation hingewiesen, ich bin ja Mitglied dieser Arbeitsgruppe. Was glauben Sie, wie viele Hunderte Vorschläge in dieser Arbeitsgruppe drin sind? Also man kann nicht jeden Vorschlag, den einer unterbreitet, sofort aufgreifen.

    Herr Schäuble sagt, der Währungskommissar soll das sein. Sie fragen mich, gehen Sie da jetzt mit. Ich kenne diesen Vorschlag jetzt, ich will ihn mal prüfen. Aber in einem Punkt hat Schäuble Recht: Wenn wir Haushaltsdisziplin durchsetzen wollen – und das wollen wir ja alle -, dann muss man irgendwann auch jemanden haben, der es durchsetzen kann.

    Herr Schäuble hat übrigens nie gesagt, dass das nationale Parlament entmündigt werden sollte, um auf Ihre Frage halbwegs konkret zu antworten. Eine Entmündigung der nationalen Parlamente, also des Deutschen Bundestages, dass in Brüssel ein Kommissar sagt, was der Bundestag beschlossen hat, das lehne ich jetzt ab und das darf der Bundestag nicht mehr, das würde ich nicht empfehlen.

    Kaess: Manche sehen das so. Der FDP-Finanzexperte Volker Wissing zum Beispiel sagt, die Hoheitsrechte des Deutschen Bundestages müssen gewahrt werden.

    Schulz: Ja die kann der Herr Schäuble und die kann ich in Brüssel, kein Mensch kann die Hoheitsrechte des Deutschen Bundestages einschränken. Das geht gar nicht. Aber wenn der Deutsche Bundestag mit beschließt, dass es Kriterien in Brüssel gibt, die einzuhalten sind, und anschließend geht der Bundestag hin und hält die von ihm selbst beschlossenen Kriterien nicht ein, was machen wir dann? Das ist ja das, was Schäuble anspricht. Dann muss es Mechanismen geben und darüber müssen wir diskutieren, wie die am Ende aussehen.

    Ich will Ihnen vielleicht einen Satz sagen. Herr Schäuble hat einen Vorschlag unterbreitet, mehr nicht. Das heißt nicht, dass dieser Vorschlag schon Wirklichkeit wird. Man muss aber über den Kerngehalt des Vorschlags, wie kriegen wir am Ende durchgesetzt, dass die Staaten sich an das halten, was sie selbst hier beschlossen haben, ich finde, das muss man diskutieren dürfen. Ich sage noch mal: In einem Punkt ist, glaube ich, allgemeine Einigkeit. Kein Mensch will und kein Mensch kann das souveräne Haushaltsrecht der Mitgliedsstaaten einschränken.

    Kaess: Schauen wir auf die Vorschläge von Herrn Schäuble zum EU-Parlament. Er möchte die Entscheidungen flexibilisieren. Das heißt, nur Abgeordnete sollten über ein Thema abstimmen, die direkt davon betroffen sind. Treibt das den Spaltpilz zwischen die Parlamentarier?

    Schulz: Das ist auch ein weiterer Vorschlag, über den wir im Europäischen Parlament ja schon seit längerer Zeit diskutieren. Schäuble hat angesprochen, dass wir Mitglieder der Euro-Zone haben, Abgeordnete aus diesen Ländern sitzen im Parlament, wir haben Mitglieder, die noch nicht der Euro-Zone angehören, aber beitreten wollen, die wird man von den Mechanismen nicht ausschließen können. Da, fand ich, war Herr Schäuble nicht ganz präzise.

    Nehmen wir Polen mal als Beispiel: das ist die am stärksten wachsende Volkswirtschaft in der Europäischen Union, die wollen dem Euro beitreten in absehbarer Zeit. Da kann man den polnischen Abgeordneten nicht sagen, ihr dürft nicht mitwirken an Kriterien, die für euch aber verbindlich sind.

    Und dann haben wir zwei Länder, die ein "opt out" aus der Wirtschafts- und Währungsunion haben, genauer gesagt nur ein "opt out" aus der Währungsunion, nicht aus der Wirtschaftsunion: das ist Großbritannien und Dänemark. Und ich glaube, man kann nicht wegen Großbritannien und Dänemark alles in Europa stilllegen. Deshalb werden wir darüber nachdenken müssen, wie wir im Europaparlament, das ja das Parlament des Euro ist – da bin ich froh, dass Herr Schäuble das jetzt endlich mal offiziell auch aus seiner Sicht festgestellt hat -, wie wir dort mit diesem Problem umgehen.

    Kaess: Also ein guter Vorschlag im Grunde?

    Schulz: Endlich hat das der deutsche Finanzminister mal gesagt. Ich habe das seit ich weiß nicht wie vielen Jahren, in jedem Fall, seit ich Präsident des Europaparlaments bin, ja gebetsmühlenartig wiederholt. Die Währung der Europäischen Union ist der Euro. Das ist nicht die Währung Deutschlands, Frankreichs und Italiens jeweils, das ist die Währung der Union. Und das Parlament dieser Union ist das Europaparlament. Also ist das Parlament des Euro das Europaparlament. Und wir werden in den nächsten Wochen im Europaparlament unter den Fraktionsvorsitzenden darüber diskutieren, in welcher Form wir mit diesem Problem umgehen.

    In jedem Fall werden wir im Europaparlament darauf beharren und auch Formen der Zusammenarbeit schaffen, die sicherstellen, dass wir das Parlament des Euros sind. Ob das Abstimmungsmodalitäten sind, wie Herr Schäuble da gesagt hat, unterschiedlich abstimmen, das kann heute noch gar keiner sagen. Darüber müssen wir erst mal in Ruhe nachdenken. Ich habe jedenfalls von Herrn Schäuble vernommen, was ich übrigens auch mit Mario Draghi bereits vorige Woche festgestellt habe und auch in der Rompuy-Gruppe eingebracht habe, das steht auch in dem Papier von Rompuy drin: der demokratische Legitimationsgeber für die Euro-Zone ist das Europaparlament.

    Kaess: Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments und SPD-Mitglied. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schulz.

    Schulz: Ich danke Ihnen und leicht erkältet.

    Kaess: Kein Problem.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Zu den Plänen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf dradio.de:

    Schäuble will die EU grundlegend umbauen - Der Finanzminister macht Vorschläge für ein effizienteres Europa