Donnerstag, 25. April 2024

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Keine Entspannung im Irak erwartet

Der Publizist Michael Lüders erwartet vom Tod des El-Kaida-Führers Abu Mussab al Sarkawi keine Entspannung der Lage im Irak. "Man hüte sich doch vor der Annahme, dass nun sein Tod auch ein Ende des Terrors und der Gewalt im Irak bedeuten würde", sagte der Nahost-Experte. Sarkawi werde ersetzt durch andere Terroristen.

Moderation: Gerd Breker | 08.06.2006
    Gerd Breker: Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Publizisten Michael Lüders. Er ist Experte für den Mittleren und Nahen Osten. Guten Tag, Herr Lüders!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag!

    Breker: Der Tod Sarkawis wirklich so ein Erfolg? Beifall im Irak zu Recht?

    Lüders: In psychologischer Hinsicht ist es natürlich ein Erfolg, denn Sarkawi war das Gesicht des Terrors im Irak. Seine Bilder tauchten immer wieder auf, wenn fürchterliche Verbrechen aus dem Irak zu vermelden waren. Insofern ist dieses eine psychologisch wichtige Botschaft für den Irak und für den Kampf gegen den Terror insgesamt. Aber man hüte sich doch vor der Annahme, dass nun sein Tod auch ein Ende des Terrors und der Gewalt im Irak bedeuten würde. Das ist ganz offenkundig nicht der Fall. Sarkawi wird ersetzt werden durch andere Terroristen, deren Gesichter wir im Augenblick noch nicht kennen, die im Untergrund sich bewegen, aber die Nachfolgefrage wird sicherlich in den nächsten Wochen geklärt werden.

    Breker: Also die Organisation, das Netzwerk El Kaida im Irak bleibt bestehen?

    Lüders: Davon muss man ausgehen. Es ist ein sehr diffuses Netzwerk, wie ja überhaupt die politische Lage gegenwärtig im Irak ganz schwer nur zuzuordnen ist. Wir haben zwar einerseits durchaus erfolgreiche politische Versuche, die Lage einigermaßen zu stabilisieren. Zumindest gibt es jetzt Ansätze, dass die neue Regierung nun auch tatsächlich ihre Arbeit aufnehmen kann. Auf der anderen Seite gehen die ethnischen und religiösen Spannungen weiter. Sarkawi mag in der Tat seinen Zenit schon überschritten haben, weil er in einer Phase der totalen Anarchie im Irak seine grausamsten Verbrechen begangen hat. Und ich glaube, dass viele Iraker wirklich seiner Gewalt überdrüssig waren, die sich ja völlig sinnlos gegen jeden und alles, vor allem gegen Zivilisten richteten. Vor allem hat er - das wurde auch von Osama Bin Laden und seinen Leuten kritisiert - den Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten anzuheizen versucht. Aus Sicht von El Kaida wäre es "intelligenter" gewesen, er hätte sich darauf beschränkt, die Amerikaner zu bekämpfen, um nicht eine neue Front aufzumachen.

    Breker: Sie haben es gesagt, Herr Lüders. Anders als Osama Bin Laden war Sarkawi selbst ein Frontkämpfer, ein brutaler Frontkämpfer. Wird er nun zum Märtyrer werden, oder sind diese Chancen auch für ihn vorbei?

    Lüders: Ich glaube nicht, dass er zum Märtyrer werden wird. Würde Osama Bin Laden erwischt werden, dann hätte er in der Tat das Zeug, ein Märtyrer zu werden, weil er immer noch sehr viele Anhänger hat. Sarkawi hat aber nicht denselben Mythos, nicht dasselbe Image wie Osama Bin Laden. Er war ein jordanischer Terrorist, der in den Irak gegangen ist und dort verheerende Gräueltaten angerichtet hat, und er hat nicht genügend Anhänger, die nun gewissermaßen seinen Nimbus "forttragen" könnten. Er war ja auch von seiner Herkunft her ein gewöhnlicher Krimineller, der dann "in die Politik gegangen" ist. Er hat dann entdeckt, dass er mit terroristischer Gewalt sich selber nach vorne an die Spitze einer Bewegung katapultieren kann, die ihm Ruhm macht und Einfluss garantiert. Aber seine Gefolgschaft war doch am Ende relativ gering. Er hat auch unter den Irakern selbst vergleichsweise wenig Anhänger gehabt. Es waren vor allem ausländische Dschihad-Kämpfer aus Jordanien, aus Syrien und Saudi-Arabien, die zu seinen Anhängern zählten.

    Breker: Herr Lüders, die Geheimdienste, sowohl der irakische als auch der jordanische, nehmen für sich in Anspruch, dass sie schon länger wussten, wo denn Sarkawi sich aufhält. Warum jetzt dieser Angriff? Hat das etwas damit zu tun, dass die Besatzungstruppen, vielleicht auch die Regierung den Ministerpräsidenten al Maliki stützen und stärken wollen?

    Lüders: Das wollen die Amerikaner mit Sicherheit. Aber ich glaube, dass die Liquidierung von Sarkawi sich mehr oder weniger einem glücklichen Zufall verdankt, der Tatsache nämlich, dass es offenbar aus dem Umfeld der Stadt Bakuba, wo er sich aufgehalten hat, Informationen an die Amerikaner und an den irakischen Geheimdienst gab. Die haben dann zu seiner Liquidierung geführt. 25 Millionen Dollar, das ist ja auch durchaus eine Summe Geldes, die beträchtlich ist und erst recht im Irak natürlich die Fantasien von so manchem beflügeln mag. Das ist ein Hinweis darauf, dass er anders als Osama Bin Laden, der ja nach wie vor den Rückhalt der Stämme im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan genießt, eben doch zunehmend isoliert wurde. Er hatte keine Anhängerschaft, auf die er sich wirklich stützen konnte. Keineswegs konnte er sich bewegen wie ein Fisch im Wasser, wie das Osama Bin Laden in den Bergen zwischen Pakistan und Afghanistan noch immer tun kann.

    Breker: Dennoch: Dieses diffuse Netzwerk El Kaida im Irak wird weiter bestehen, haben Sie gesagt. Was bedeutet das denn für den drohenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten im Irak? Kann es sein, dass El Kaida seine Politik ändern wird?

    Lüders: El Kaida muss seine Politik, sofern man diese Form des Terrors als Politik bezeichnen will, in der Tat ändern, wenn El Kaida nicht Gefahr laufen will, im Irak marginalisiert, an den Rand gedrückt zu werden. Denn im Irak haben wir eine Entwicklung, die mehr und mehr auf einen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten einerseits und verschiedenen regionalen ethnischen Gruppierungen hinaus läuft. Es ist für El Kaida sehr schwierig, sich da hineinzufinden. El Kaida hat ja die Agenda, arabische Regime und die Amerikaner bekämpfen zu wollen, aber die Iraker sind zynisch gesagt gerade damit beschäftigt, sich gegenseitig umzubringen. Insofern gibt es hier eine Schwierigkeit der eigenen Positionierung für El Kaida. Vermutlich wird man erst einmal abwarten, welche Richtung der weitere Verlauf des Bürgerkrieges im Irak nimmt, um sich dann auf die eine oder die andere Seite zu schlagen, um möglichst viel Kapital von dem Chaos im Irak zu schlagen, denn das Ziel ist nach wie vor, den Amerikanern, vor allem den Amerikanern so viel Schaden wie nur möglich zuzufügen.

    Breker: Gestern hat Ministerpräsident Maliki Gefangene freigelassen. Er versucht, das Land zu befrieden. Ist er damit auf dem richtigen Weg? Sind die Chancen gestiegen, dass man einen Bürgerkrieg im Irak vermeiden kann?

    Lüders: Nein. Ich glaube, dass der Zug nach wie vor in Richtung Abgrund fährt, denn es ist mittlerweile zu viel Porzellan zerschlagen worden, und es gibt vor allem zu viele Gruppierungen, die auf eigene Rechnung handeln. Die verschiedenen Milizen müssten dringend entwaffnet werden. Das ist auch das erklärte Ziel von Regierungschef Maliki. Allerdings weiß niemand, auch er selber nicht, wie er das eigentlich durchsetzen soll, beispielsweise die Milizen von Moktada el Sadr zu entwaffnen. Das würde bedeuten, ihm die Machtbasis zu nehmen. Das wissen die Milizenführer, und deswegen werden sie sich niemals von der irakischen Regierung vereinnahmen lassen. Solange die Amerikaner im Irak sind, sind die Amerikaner in einer schwierigen Position. Würden sie sofort sich zurückziehen, würde das Chaos endgültig in einen offenen Bürgerkrieg umschlagen. Wenn sie bleiben, hat die Regierung, haben die Widerständler und Terroristen immer wieder ein Motiv, um zu sagen, wir müssen die verhassten Amerikaner bekämpfen. Es ist also eine fast ausweglose Situation für Washington und für die irakische Regierung. Niemand hat im Moment ein Patentrezept, und die Gewalt wird sich mit Sicherheit in den nächsten Monaten fortsetzen.

    Breker: Und mit dem Tode Sarkawis ist keine wirklich neue Lage entstanden?

    Lüders: Nein, das ist völlig auszuschließen. Sarkawi war eher ein Randphänomen, eine marginale Figur. Er hat sich vor allem selber dadurch marginalisiert, dass er es nicht verstanden hat, mit den Schiiten gemeinsam sich zu verständigen, sondern er hat sie bekämpft. Er hat auch unter den Sunniten viele Massaker angerichtet. Das war eine sehr unkluge Taktik. Er hat sich damit seiner Gefolgschaft weitgehend entzogen. Das bedeutet nicht, dass El Kaida im Irak am Ende wäre, aber El Kaida wird jetzt erst mal damit befasst sein, sich neu zu sortieren, eine neue Führung zu benennen. Der Terror wird weiter gehen. Allerdings wird die Taktik vermutlich geändert werden, weil die El-Kaida-Führung erkannt hat, dass sich Sarkawi mit seiner sinnlosen und brutalen Gewalt gegen jedermann zu sehr isoliert hat in der irakischen Bevölkerung.

    Breker: Die Meinung des Experten Michael Lüders war das in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Herr Lüders, danke für dieses Gespräch.