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"Keine Erkrankung mit ein bisschen Fieber und Pünktchen"

Der Todesfall eines 14-Jährigen hat die Diskussion um die Masernimpfung in Deutschland neu entfacht. Dass Eltern Masernpartys organisieren, statt ihre Kinder impfen zu lassen, hält Dr. Ulrich Fegeler für fahrlässig. In der Debatte um Impfschäden werde ein unglaublicher Unsinn erzählt.

27.06.2013
    Friedbert Meurer: Die Gesundheitsbehörden in Deutschland sind in Sorge. Allein in München zum Beispiel sind zurzeit 220 Fälle von Masern gemeldet. Mehr als die Hälfte der Patienten liegt stationär im Krankenhaus, so schlimm hat es sie erwischt. In den Jahren zuvor waren es um diese Jahreszeit vielleicht nur 50 Patienten. Meistens erkranken übrigens Jugendliche oder Erwachsene, Kinder sind gar nicht einmal in erster Linie betroffen. Experten führen die Rückkehr der Masern in Deutschland darauf zurück, dass nicht wenige Eltern eine Impfung ablehnen, oder sie jedenfalls nicht durchführen lassen. Dabei gibt es auch Kranke, die an den Masern sterben. Anfang Juni erst ist ein 14jähriger in Deutschland gestorben. Die Gegner kontern, umgekehrt sei gar nicht klar, wie gut Babys Masernimpfungen oder Mehrfachimpfungen überhaupt vertragen und da gäbe es ja auch Langzeitschäden.

    Ulrich Fegeler ist Kinderarzt in Berlin, hat dort eine Praxis, und er ist Mitglied im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Guten Morgen, Herr Fegeler!

    Ulrich Fegeler: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Sie haben mir gerade gesagt, Sie haben drei Töchter, die sind allerdings mittlerweile erwachsen. Waren Sie mit denen auf Masernpartys?

    Fegeler: Nein! Alle diese drei Töchter sind ausreichend gegen Masern geimpft.

    Meurer: Was halten Sie von Masernpartys?

    Fegeler: Gar nichts. Ich halte das im Prinzip für eine, ich will nicht sagen, fahrlässige Tötung, das wäre mir etwas zu weit gegriffen. Aber ich halte es für zumindest eine große Fahrlässigkeit gegenüber diesen Kindern, denn Masern sind in der Tat keine harmlose Kindererkrankung, keine Erkrankung mit ein bisschen Fieber und Pünktchen. Masern sind eine der schwersten frühkindlichen Erkrankungen, die wir kennen, und diese Masern verlaufen weiß Gott nicht in den meisten Fällen völlig harmlos. Es gibt zwar unterschiedliche Zahlen dazu, wie viele von diesen Masern schwere Komplikationen haben wie zum Beispiel eine Hirnentzündung oder gar den Tod, aber man kann sagen, dass etwa eine schwere Infektion des Kindes mit eben Hirnentzündung und bleibenden Schäden – das muss man immer dazu sagen – etwa alle 500 bis tausend Maserninfektionen auftritt. Also wir haben eine schwere Erkrankung.

    Meurer: Gibt es wirklich eine nachprüfbare Entwicklung, gibt es Zahlen, in welchem Maße die Impfmüdigkeit bei Masern zugenommen hat?

    Fegeler: Man kann eigentlich sagen, dass die Impfmüdigkeit nicht unbedingt zugenommen hat, sondern im Gegenteil: wir verzeichnen heute eigentlich eher steigende Zahlen. Das Problem ist, dass diese winzige Gruppe der erklärten Impfgegner nur eine sehr laute Stimme hat und sich überall zu Wort meldet. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen. Ich kriege öfters Briefe von entsprechenden Damen und Herren geschickt.

    Meurer: …, in denen was steht?

    Fegeler: Da steht drin, wie ich so unverantwortlich sein könnte, zum Masern- oder überhaupt zum Impfen aufzurufen, denn man wisse doch, das sei eine quasi tödliche Bedrohung, eine schwere Schädigung der Kinder. Es ist leider Gottes getrübt von einem unglaublichen Unsinn, der hier erzählt wird, und von einer, wie soll ich sagen, Nichtkenntnis der Datenlage.

    Ich gebe Ihnen mal eine ganz einfache Zahl, die bezieht sich gar nicht auf Deutschland. Wir hatten bis vor kurzem, bis vor etwa fünf, sechs Jahren, in Afrika noch jedes Jahr etwa 600.000 Maserntote. Dann hat es nun eine große Impfkampagne gegeben dort, Gott sei Dank, denn die Afrikaner verstehen gar nicht, warum wir hier diese Luxusdiskussion zu den Masern führen, und wollen diesen Impfstoff haben, und nach dieser Impfkampagne oder zumindest jetzt noch während, denn die läuft weiter, finden wir einen Rückgang auf etwa 150.000 Tote pro Jahr. Das sind immer noch 150.000 zu viel; es belegt aber nur diesen segensreichen Einfluss der Impfung.

    Meurer: Mal zurück nach Deutschland, Herr Fegeler. Sie sagen, Impfmüdigkeit sei es eher nicht. Aber ist das Problem vielleicht, dass die Eltern den zweiten Impftermin – es sind ja, glaube ich, zwei Impftermine, beide im Säuglingsalter – verschwitzen?

    Fegeler: Man kann sagen, eigentlich ist das insgesamt besser geworden. Wir finden zunehmend auch eine bessere Durchimpfung, was die zweite Impfung betrifft. Das Problem sind eigentlich diejenigen, die bis dato nicht ausreichend geimpft wurden. In den letzten Jahren ist eher die Durchimpfung besser geworden, aber bis zu diesem Zeitpunkt, da hat es eben doch zum Teil Lücken gegeben.

    Meurer: Das ist ein Rückstau aus den 90er-Jahren?

    Fegeler: Ganz genau, der Rückstau aus den 90er-Jahren und auch noch davor. Das macht sich ja momentan so deutlich, weil in der Hauptsache Ältere erkranken, nicht unbedingt nur die Kleinen. Die über 16jährigen erkranken.

    Meurer: Ist es eigentlich möglich, sich noch mit, sagen wir mal, 13, 14, 15 oder sogar noch später impfen zu lassen?

    Fegeler: Ja selbstverständlich, das ist möglich. Diese Impfung kann eigentlich in jedem Lebensalter durchgeführt werden und selbstverständlich empfehlen wir das auch, wenn kein ausreichender Impfschutz da ist. Die Entsprechenden mögen sich bitte an ihren Allgemeinmediziner oder auch an den Kinder- und Jugendarzt wenden, man wird ihnen da sicher eine erschöpfende Auskunft geben können. Ich rate unbedingt dazu, dass die vorhandenen Impflücken geschlossen werden.

    Meurer: Herr Fegeler, Sie sind ja sehr kritisch ins Gericht gegangen mit den Impfgegnern, haben sogar von "fahrlässiger Tötung" gesprochen. Jetzt sagen Impfgegner, es gibt auch Impfschäden. Ein Kind ist zum Beispiel durch die Mehrfachimpfung an Epilepsie erkrankt. Das ist dann auch Jahre später so anerkannt worden, nach vielen, vielen Gutachten. Existiert dieses Risiko nicht? Müssen Sie nicht darauf hinweisen?

    Fegeler: Aber selbstverständlich. Wir sind schon durch höchstrichterliche Stellungnahmen dazu verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass es in extrem seltenen Fällen – und das Risiko liegt deutlich unter eins auf 500.000, eins auf eine Million – zu Impfkomplikationen schwererer Art kommen kann.

    Meurer: Das müssen Sie vor jeder Impfung tun?

    Fegeler: Das tue ich grundsätzlich.

    Meurer: Ihre Kollegen auch?

    Fegeler: Ich denke schon. Wir sind ja dazu aufgefordert worden, das zu machen. Das heißt, wir weisen darauf hin. Gleichzeitig sagt das Urteil aber, wir müssen es in einer Form tun, dass der Impfgedanke aufrecht erhalten bleibt. Also Sie sehen manchmal, in was für einen Spagat uns da die Juristerei bringt. Aber bisher muss ich sagen, finde ich kaum Eltern oder ich kann sie an einer Hand abzählen – und ich impfe ausgesprochen viel in meiner Praxis -, die die Impfung ablehnen. Das tun sie im übrigen auch nicht nach der Aufklärung, sondern die kommen schon mit der Einstellung rein. Aber die meisten dieser Eltern kann ich überzeugen, dass die Impfung sinnvoll ist.

    Vielleicht noch mal ein Wort zu den Impfschäden. Es ist natürlich auch hier eine Menge Dunst in der Luft. Das heißt, es ist ja häufig ein nicht greifbares Faktum, ob nun eine Epilepsie, die sich darstellt, unbedingt auf eine Impfung zurückzuführen ist, oder ob sie nicht sui generis entsteht. Das wird vielfach gesagt, auch gerade bei den Masernimpfungen. Es gibt dazu ja nun eine Expertenkommission, die in Deutschland regelmäßig zusammentrifft und die nun erörtern will, ob gemeldete Schäden tatsächlich im Zusammenhang mit einer Impfung stehen. Das wird auch übrigens übernational europaweit diskutiert.

    Meurer: Wenn man die Betroffenen hört, sagen die, hier liegt aber gewaltig was im Ärger. Wir müssen uns herumschlagen mit X Prozessen und Gutachten, bis wir Recht bekommen, dass hier ein Impfschaden vorliegt.

    Fegeler: Ja. Es gibt das sicher, die Betroffenen müssen das schon darstellen. Aber bisher gilt ja: Dann, wenn man sagt, ich habe mein Kind impfen lassen und in einem bestimmten Zeitraum dazu zeigt das Kind plötzlich Auffälligkeiten, dann muss natürlich hier diese Kommission zusammentreten und da bedarf es nicht immer nur großer Prozesse, sondern es muss erst mal wissenschaftlich geklärt werden, ist hier ein Impfschaden wahrscheinlich oder nicht. Diese Entscheidung, die geschieht relativ zeitnah.

    Meurer: Ganz kurz noch die Frage, Herr Fegeler. Bei Ihnen in Berlin hat es gerade einen Fall gegeben: Ein Arzt war an Masern erkrankt, hat ein Baby angesteckt, das wäre fast ums Leben gekommen. Brauchen wir eine Impfpflicht für Ärzte?

    Fegeler: Man sollte zumindest sicherstellen, dass diejenigen, die in einem engen Kontakt zu Patienten, und zwar auch zu hilflosen Patienten stehen, ich sage mal hilflos im Sinne jetzt von immunologisch hilflos, dass die schon eine Durchimpfung haben, und das ist in der Regel auch sichergestellt. Ich kann mir vorstellen, dass der Kollege es nicht unbedingt wusste oder vielleicht sich nicht ausreichend darüber informiert hat.

    Meurer: Ein Arzt weiß nicht, ob er gegen Masern geimpft ist?

    Fegeler: Ja ich bin mir nicht sicher, ob manchmal die Ärzte so unheimlich gut sich selbst, wie soll ich sagen, darstellen und vor sich selber bestehen. Es ist aber im Prinzip völlig richtig, was Sie sagen. Ich finde, Ärzte, die gerade mit kleinen Kindern umgehen, sollten unbedingt geimpft sein.

    Meurer: Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Herr Fegeler, danke schön, auf Wiederhören nach Berlin.

    Fegeler: Gerne! – Tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.