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"Keine Hinweise auf ein erhöhtes Hirntumorrisiko"

Der Strahlenexperte der dänischen Krebsgesellschaft, Joachim Schüz, bestreitet, dass ein generelles Tumorrisiko für Handynutzer besteht. Dafür gebe es keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse. Trotzdem rate er Vieltelefonierern, bevorzugt zu einem Festnetztelefon zu greifen, da "noch eine gewisse wissenschaftliche Unsicherheit" bezüglich der Langzeitnutzung von Mobiltelefonen bestehe.

Moderation: Philipp Krohn | 30.10.2007
    Philipp Krohn: "Bei Anruf Hirntumor!" Unter diesem provokativen Titel lief gestern Abend ein Beitrag im ARD-Magazin "Report Mainz". Darin warnt erstmals eine Fachbehörde der Europäischen Union vor den Gesundheitsgefahren durch Handys. Die EU-Umweltagentur in Kopenhagen beruft sich auf einen 600-seitigen Bericht, der 2.000 Studien zur Handynutzung ausgewertet hat. Zentrale Aussage: Es gebe klare Hinweise, dass Vielnutzer von Handys, die diese seit mehr als 15 Jahren nutzen, ein deutlich höheres Risiko für Hirntumore tragen. Über dieses Thema forscht Joachim Schütz für die dänische Krebsgesellschaft. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon in Kopenhagen. Guten Tag Herr Schüz.

    Joachim Schüz: Ja, guten Tag!

    Krohn: Herr Schüz, um 20 bis 200 Prozent steigt nach diesem Bericht das Tumorrisiko für Handynutzer. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?

    Schüz: Nein, das deckt sich nicht mit unseren Erkenntnissen. Man muss sagen, dass der jetzt vorgelegte Bericht sich ja auch nicht auf neue Studien bezieht, sondern ebenfalls Studien gemeinsam auswertet, die auch in letzter Zeit von der Europäischen Kommission, von der Weltgesundheitsorganisation und auch der deutschen Strahlenschutzkommission ausgewertet wurden. Die kamen alle zu dem Schluss, dass es bisher keine Belege gibt, dass Handys gesundheitsgefährdend sind, dass es aber gerade unter Vieltelefonierern oder Langzeittelefonierern durchaus auch wissenschaftliche Unsicherheit gibt. Da decken sich eigentlich alle diese Gremien, aber diesen Beweis, der gestern konstatiert wurde, den können wir von wissenschaftlicher Seite aus nicht feststellen.

    Krohn: Wie haben Sie dieses Thema untersucht?

    Schüz: Wir haben dieses Thema sogar mit zwei Studien untersucht. Wir nehmen teil an einer sehr großen internationalen Studie, die insgesamt in 13 Ländern durchgeführt wird, wo man in den letzten Jahren 6.000 Hirntumorpatienten befragt hat und eine Anzahl Kontrollpersonen, die keinen Hirntumor entwickelt haben, und da vergleicht man sozusagen, wie die in der Vergangenheit das Handy benutzt haben. Die Studie ist noch nicht endgültig ausgewertet. Es liegen aber Teilberichte aus einzelnen Ländern vor, die alle auch das bestätigen, was ich bereits zusammengefasst habe, dass es unter denen, die das Handy ich sage mal in normalem Umfang benutzen, keine Hinweise auf ein erhöhtes Hirntumorrisiko gibt, aber aufgrund der heute vorliegenden wenigen Langzeitnutzer eben eine gewisse statistische Unsicherheit in diesem Bereich.

    Krohn: Eine Frage, die Sie gestellt haben, war auf welcher Seite das Mobiltelefon gehalten wurde. Wie aussagekräftig waren die Aussagen?

    Schüz: Wenn man sich das Design von diesen Studien anguckt, dann wird man sehen, dass das eine sehr schwierige Frage ist, weil wenn man natürlich einen Patienten mit einem Hirntumor befragt, dann weiß er zu dem Zeitpunkt ja schon, auf welcher Seite der Tumor gewachsen ist. Das kann natürlich unbewusst das Erinnerungsvermögen auch beeinflussen, dass man vielleicht dazu tendiert, dazu zu neigen, eher die Seite für die Handynutzung anzugeben, die dann auch durch den Tumor betroffen war. Das sehen wir eigentlich in den Studien, dass das der Fall ist, dadurch, dass wir selbst unter denen, die ganz kurz bevor der Tumor aufgetreten ist mit dem Handy angefangen haben zu telefonieren, man auch diesen Effekt sieht, dass die Seitenübereinstimmung ausgeprägter ist als bei den Kontrollpersonen.

    Krohn: Viele Kurzfrist-Studien, Herr Schütz, in den vergangenen Jahren haben ein Risiko bestritten. Die Umweltagentur betont aber, dass ihr Bericht sich auf Langzeitwirkungen bezieht. Sind das Fehlinterpretationen?

    Schüz: Man muss einfach sagen, dass man bei den Langzeitnutzern schon auch noch einen gewissen Interpretationsspielraum hat. Wenn man sich die bisher veröffentlichten Studien anguckt, dann schließen die alle Hirntumorpatienten bis maximal im Jahr 2003 ein. Das heißt Langzeitnutzer, die das Handy mehr als zehn Jahre benutzt haben, die haben bereits Anfang der 90er Jahre oder in den 80er Jahren angefangen, das Handy zu nutzen. Das ist natürlich ein kleiner Teil der Bevölkerung und das ist natürlich auch ein Teil der Bevölkerung, der aufgrund der Kostenstruktur das Handy viel, viel weniger genutzt hat, als das heute der Fall ist. Das heißt zu diesen Langzeitnutzern werden wir jetzt erst in den nächsten paar Jahren wirklich belastbare Ergebnisse erzielen. Aus meiner Sicht gibt es aber bisher diese Hinweise oder, wie die Umweltbehörde spricht, Beweise eindeutig nicht.

    Krohn: Wenn also die Direktorin der Umweltagentur Jacqueline McGlade zum Vorsichtsprinzip aufruft, dann ist das keine Panikmache?

    Schüz: Mit dem Vorsichtsprinzip muss man sich anschauen: Da schließen sich ja durchaus auch die anderen Organisationen an. Auch die Strahlenschutzkommission hat zum Beispiel Empfehlungen, dass man natürlich im Zweifelsfall, wenn man die Wahl zwischen Handy und Festnetztelefon hat, durchaus zum Festnetztelefon greifen sollte. Der Grund liegt natürlich auf der Hand: Sich in dieser Richtung zu irren, ist natürlich viel schwerwiegender. Es besteht natürlich auch sozusagen kein Grund, wenn man die Wahl hat, dass man dann automatisch zum Handy greift. Also diese Empfehlung, vorsichtig zu sein, weil eben noch eine gewisse wissenschaftliche Unsicherheit besteht, da besteht durchaus ein gewisser Konsens. Der Dissens besteht ganz klar darin, dass man heute bewiesen hat, dass ein Hirntumorrisiko besteht, und das müssen wir aus wissenschaftlicher Sicht ganz klar bestreiten.

    Krohn: In den vergangenen Monaten hat sich auch die Kritik an kabellosen Verbindungen von Computern erhöht. Ist das auch risikoreich?

    Schüz: Letztendlich dreht es sich natürlich um die gleichen Radio- oder Mikrowellen wie jetzt beim Handy auch. Man muss natürlich den Trend beobachten und durch immer neue hinzukommende Quellen. Die Grenzwerte beziehen sich meistens auch auf eine einzelne Quelle. Das heißt man muss natürlich gucken, wenn die Bevölkerung immer mehr gleichzeitigen Strahlungen durch unterschiedliche Quellen ausgesetzt wird, dass dann insgesamt auch die Grenzwerte eingehalten werden. Ich denke diese Vorsichtsempfehlungen zielen vor allen Dingen daraufhin ab, doch ein bisschen zu bremsen und zu sagen Moment, überlegt erst mal was ihr tut, bevor jetzt die wieder neueste Technologie unbedingt in die Wohnung Einzug halten muss.

    Krohn: Joachim Schüz war das von der dänischen Krebsgesellschaft. Danke für das Gespräch.