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Keine jungen Alte, sondern ältere Erwachsene

Im Jahr 2012 macht das Europäische Parlament das Altern zum Thema für das Europäische Jahr. Die Volkswagenstiftung fördert bereits seit fünf Jahren entsprechende Forschungsprojekte. Auf einem Symposium in Jena wurde nun über das Altern der Baby-Boomer diskutiert.

Von Bettina Mittelstrass | 08.12.2011
    Wilhelm Krull: "Es ist nur klar, dass sie unsere Alterspyramide in einen sehr buckeligen Tannenbaum verwandeln werden. Und immer mehr Menschen über 60 oder 65 Jahre alt sein werden."

    Sie - gemeint sind die Baby-Boomer. Die vielen Menschen, die in Deutschland besonders zwischen 1954 und 1964 geboren wurden, rücken jetzt auf nach oben, ins Alter. Von unten aber wachsen nicht gleich viele Jungen nach. Was heißt das zukünftig, wenn die geburtenstarken Jahrgänge "alt" werden?

    Burkhard Schäffer: "Man darf auf keinen Fall den Fehlschluss ziehen, dass die sich so verhalten werden wie diejenigen, die jetzt gerade verrentet werden."

    Stephan Lessenich: "Und wenn wir darüber reden, dann sind das nicht andere, sondern das sind wir, die wir als Babyboomer demnächst eben auch in ein älteres Lebensstadium eintreten werden."

    Zahlreiche Projekte, die vor fünf Jahren von der Volkswagenstiftung im Rahmen ihrer Initiative "Zukunftsfragen der Gesellschaft" Förderung bekamen, haben inzwischen Daten über die Baby-Boomer gesammelt. Ein Projekt leitete Burkhard Schäffer, Professor für Erwachsenenbildung und Weiterbildung an der Universität der Bundeswehr München:

    "Baby-Boomer sind landläufig die Kohorten, die in ihrer Jugendzeit immer zu viele waren. Das war der Studentenberg, der untertunnelt werden sollte. Und die in jeder Phase ihres Lebens quasi allein durch ihre schiere Menge die Bereiche, in denen sie reingekommen sind, revolutioniert haben. Und die These ist eben bei uns, dass die wahrscheinlich auch sich nicht in dieses althergebrachte Altersschema einpressen lassen werden. Dass die nicht mehr diese normalen stereotypen Verläufe haben, wie vorher die Vorgängergeneration, weil sie eben durchschnittlich, also kohortentechnisch gesehen, weitaus besser gebildet sind. Und weil sie es gelernt haben, jeweils ihre Interessen auch sehr gut in der Öffentlichkeit durchzusetzen."

    Zum Beispiel bei der zukünftigen Verkehrsplanung. Wie ändern sich die Anforderungen an Verkehr in einer alternden Gesellschaft? Längere Ampelphasen für Alte kommen einem in den Sinn und Autobauer, die die ältere Kundschaft entdecken. Aber das große Ganze? Straßenbau, Tempo, Verkehr in der Stadt? Professor Georg Rudinger, Gründer des Zentrums für Evaluation und Methoden an der Universität Bonn, leitete ein Projekt zu Alter und Mobilität:

    "Wir haben nun explizit die mehrfach genannten Baby-Boomer mit ihren künftigen Erwartungen, mit ihren Wünschen, mit ihren jetzigen Lebensstil miteinbezogen. Also ganz in dem Sinne, dass sie nicht betroffen sind, sondern an der Entwicklung in der Zukunft beteiligt sind. Sie gestalten diese Entwicklung mit. Und deswegen soll man wissen, muss man wissen: Was sind deren Triebfedern?"

    Das Ergebnis ist nicht: Ich gebe dann eines Tages meinen Führerschein ab und bleib zu Hause und warte bis mich die Enkel besuchen. Alles Klischees.

    "Ein ganz ausgeprägter Wunsch ist auf jeden Fall der, dass Mobilität so lange wie möglich erhalten bleibt, denn in unseren modernen heutigen Gesellschaften, in künftigen noch viel mehr, ist Mobilität das A und O."

    Wie das gewährleistet wird, da sind die älteren Baby-Boomer offenbar äußerst flexibel: Rufbusse, Car-Sharing, Elektrofahrrad - alles ist möglich. Rudinger weiß, dass die vielen Älteren mitbestimmen wollen und können werden und sagt den Verkehrsplaner schon heute ganz klar:

    "Sie blenden die Interessen der Bevölkerung aus."

    Es ist so eine Sache mit Bildern, die man einmal im Kopf hat: Menschen ab 50 Jahre stehen im Abseits, lernen angeblich nichts mehr dazu, sind weder kreativ, innovativ, produktiv, mobil oder flexibel. Nicht nur Georg Rudingers Forschung straft solche Altenbilder ab. Auch das Projekt von Burkhard Schäffer, das sich Weiterbildungsbeteiligung und Alter angesehen hat, geht davon aus, dass sich hier bereits etwas ändert. Weiterbildung und Zusatzausbildungen gehören in gewisser Weise zur Gewohnheit der zukünftigen Alten:

    "Die sind dadurch, dass sie so viele sind, in die Bildungsinflation reingelaufen. Abiturquoten wurden erhöht. Und auf einmal war der Abschluss einer Psychologin nichts mehr wert: Man brauchte eine Zusatzausbildung!"

    Aber ob man sie wirklich mit über 50 macht, steht trotzdem auf einem anderen Blatt.

    Wilhelm Krull: "In den Projekten wurde meines Erachtens deutlich, dass wir noch mal neu nachdenken müssen darüber, wie wir die Fort- und Weiterbildung jenseits der 50 so in die Köpfe der Menschen bekommen, dass sie darin eine Chance sehen, ihre eigene Innovationsfähigkeit, ihre eigene Produktivität zu erhalten."

    Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagenstiftung. Fort- und Weiterbildung wurde als Schlüssel für die Leistungsfähigkeit der alternden Gesellschaft gehandelt. Einige Forschungsprojekte landeten bei der Frage, warum eigentlich die Bereitschaft von Arbeitnehmern, sich weiterzubilden, ab 50 Jahre abnimmt? Die bevorzugten Qualitäten der sogenannten Wissensgesellschaft - also die geistigen Fähigkeiten - sind nämlich alle noch da. Professor Christian Stamov-Roßnagel von der Jacobs Univercity Bremen:

    "Die Fähigkeiten sind für die überwiegende Zahl von Tätigkeiten bis zum Alter von 60, Mitte 60 nicht so beeinträchtigt, dass der Wechsel auf Schonarbeitsplätze oder irgendwie der Rückzug aus dem Arbeitsleben gerechtfertigt wäre - wenn wir von der Wissensarbeit reden."

    Aber: Ältere Menschen haben weniger Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Oder sehen keine Notwendigkeit mehr, am Arbeitsplatz etwas "Neues" anzuwenden.

    "Ich habe da das Beispiel vor Augen von einem Beschäftigten 50+, der nicht zur Computerschulung gehen will im Betrieb - "kann ich nicht mehr" - zugleich sich aber autodidaktisch ein bestimmten Computerprogramm beibringt, weil er in seinem Verein der Finanzminister ist. Was also zeigt, die Ressourcen sind teilweise da. Manchmal muss einfach der Blick dafür geschärft werden, was kann ich eigentlich noch und was davon kann ich auch nutzen?"

    Förderung und Training sind da die Stichworte für einen Betrieb, der von den guten Ideen seiner Mitarbeiter lange profitieren will. Und wie? Weg von Routine, sagt der Psychologe, denn die lasse auch junge Menschen schnell alt aussehen. Wichtig sei:

    "In regelmäßigen Abständen Tätigkeiten neu zu verteilen, Akzente beispielsweise in der Projektarbeit neu zu setzen. Und dadurch auch neue Qualifikationen lernen zu müssen. Und in dem Moment, wo das alle tun müssen, einerseits, und wo man auch natürlich die Stärken der Leute dabei berücksichtigt, sitzen alle im gleichen Boot. Und dann fällt die Altersbrille nebenbei weg, weil dann eigentlich auch die Solidarität normalerweise steigt, weil sich die Beschäftigten gegenseitig unterstützen müssen. Letztendlich zählt ja der Teamerfolg und da sitzen wie gesagt alle in einem Boot."

    Die "neuen" Alten sind dann von den Jungen nicht zu unterscheiden und doch kreativ, teamfähig, selbstbestimmt und leistungsfähig? Vorsicht, sagt an dieser Stelle Stephan Lessenich, Professor am Institut für Soziologie der Universität Jena und Leiter des Projekts "Zonen des Übergangs". Der "fitte neue Alte" darf nicht der neue Stereotyp werden und im Kern ein negatives Altenbild bedienen:

    "Dieses Bild des jungen Alten, wo dann erst wie bei Tieren im Zoo entdeckt wird: Mensch, die Alten können ja noch ganz viel! Guck mal, die können laufen, ja? Und die können sich noch bewegen! Und die machen ja auch noch was, die sind ja noch lebendig! Als ob man da aus allen Wolken fiele. Und gleichzeitig schreibt man da auch der Aufwertung halber den älteren Menschen dann bestimmte Kompetenzen und Ressourcen zu, aber das sind dann alles Kompetenzen, die dann vielleicht die Kompetenzen der Jungen ergänzen können aber nicht gleichwertig sind. Und wo in der Aufwertung immer auch ein Stück Abwertung liegt.. Wenn wir die Menschen befragen, dann verstehen die sich selber eben nicht als alte Menschen und auch nicht als junge Alte. Junge Alte sind immer noch Alte. Und die beschreiben sich viel stärker als ältere Erwachsene. Als Erwachsene in einem neuen Lebensstadium. Und wenn die sich selber nicht als Alte definieren, dann sollten wir sie auch nicht als Alte ansprechen."