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"Keine Klarheit innerhalb der FDP"

Die Berliner Koalition ist laut CSU-Politiker Alois Glück "schwer belastet durch ihr Innenverhältnis". Die Handlungsfähigkeit der Regierung sei gestört und das untergrabe auch das Vertrauen der Bevölkerung. Nach der Wahl in Berlin müsse, so Glück, in der FDP wieder neue Stabilität einkehren.

Alois Glück im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 17.09.2011
    Jürgen Zurheide: Ich habe es gerade schon gesagt, die Stimmung innerhalb der Berliner Regierungskoalition ist an einem Tiefpunkt angekommen, und man kann ganz viele Beispiele bringen. Einige haben wir gehört, weitere könnte man noch hinzufügen, da gibt es dann Hinweise, zum Beispiel von Volker Kauder, dem Fraktionschef, der dann an die Große Koalition erinnerte, andere in der FDP träumen möglicherweise von einem Ausstieg aus dieser Regierungskoalition. Ja, wo steht denn eigentlich die Berliner Koalition? Darüber wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon Alois Glück von der CSU. Guten Morgen, Herr Glück!

    Alois Glück: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Glück, zunächst einmal, wenn man solche Sätze hört, wie wir gerade von Herrn Brüderle gehört haben, Herr Schäuble hat dann wieder ein Interview gegeben und gesagt, andere mögen doch einfach den Mund halten und meint offensichtlich auch den Wirtschaftsminister. Volker Kauder träumt von der Großen Koalition. Ist denn die Berliner Koalition am Ende?

    Glück: Nein, sie ist nicht am Ende, aber sie ist natürlich schwer belastet durch ihr Innenverhältnis. Grundsätzlich muss man ja sehen, dass es offensichtlich kaum eine Regierung weit und breit gibt, also wenn ich mich in Europa umschaue, die nicht in Schwierigkeiten ist, gegenüber dem Volk, auf dem Innenverhältnis – das ist Ausdruck, denke ich, eben einer Umbruchzeit, mit der wir schwer zurechtkommen. Aber es ist schon beunruhigend, wie eigentlich fast von Anfang an diese Koalition innere Probleme hatte und damit ihre Handlungsfähigkeit natürlich auch eingegrenzt wird. Das untergräbt natürlich auch das Vertrauen der Bevölkerung.

    Zurheide: Wenn wir jetzt davon ausgehen müssen – und viele Umfragen deuten ja darauf hin –, dass die FDP möglicherweise in Berlin nicht reinkommt, dann wird das alles ja nicht besser. Irgendwo habe ich heute gelesen – ich weiß nicht von wem –: Eine Partei, die immer so um die Fünf-Prozent-Hürde rumkrebst, wie es bei der FDP im Moment ist, die hat natürlich aktuelle Schwierigkeiten. Man könnte auch sagen, wenn sie morgen reinkommen, weil sie möglicherweise einen Euro-skeptischeren Kurs gefahren haben, wird es ja alles nicht leichter, oder?

    Glück: Ja, es scheint so, dass die FDP generell und seit Längerem eigentlich in einem Existenzkampf ist. Ich denke, sie müsste sich mehr damit auseinandersetzen, warum es so ist, und warum eigentlich zu Beginn der Koalition dann die Probleme schon begonnen haben. Generell bleibt oder ist vielleicht die Frage: Wo ist das Alleinstellungsmerkmal der Liberalen in dieser Zeit, wo Liberalismus ja nicht mehr ein einseitiges Markengut ist? Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass die FDP von Anfang an geglaubt hat, dass die Erfolgsrezepte früherer Regierungszeiten in der heutigen Zeit noch anzuwenden wären, etwa im Hinblick auf ihre wirtschafts- und ordnungspolitischen Vorstellungen. Und eigentlich ist die FDP dann fast von Anfang an in Schwierigkeiten, dazu kommen die extremen Schwierigkeiten natürlich in der Sache selbst, wenn ich mir Europa anschaue und einige andere Dinge, aber aufs Ganze gesehen, ist das natürlich eine schwere, schwere Belastung für die Handlungsfähigkeit in der Regierung und letztlich auch gegenüber der Bevölkerung, die ja gegenüber der Regierung vertrauen muss auf einer ganz schwierigen Wegstrecke.

    Zurheide: Jetzt habe ich vorhin schon mal Volker Kauder angesprochen, der erinnert dann an die Große Koalition, und wir alle haben es vor Augen, als dann irgendwann die Kanzlerin und der Finanzminister Steinbrück von der SPD gesagt haben: Die Sparanlagen sind sicher. Und das hat zur Beruhigung beigetragen, weil man den beiden vertraut hat. So was ist doch heute kaum vorstellbar, oder? Ich will noch nicht über die Inhalte reden, nur mal über die Art und Weise, dieses Vertrauen erwartet heute keiner mehr von der Regierung. Ist das nicht ein Alarmzeichen?

    Glück: Ja, es ist natürlich eine Situation, dass die alle verunsichert. Wobei ich jetzt schon sagen würde, dass beispielsweise Wolfgang Schäuble in seiner Kompetenz, in seiner Vertrauenswürdigkeit, in seiner Geradlinigkeit so beispielsweise einem Finanzminister Steinbrück ja bestimmt nicht nachsteht. Und die Kanzlerin ist dieselbe. Aber innerhalb der Koalition ist nicht dieselbe Stabilität, das muss man sagen, dass das in der Zeit der Großen Koalition so gesehen besser funktioniert hat, und dass gerade in dieser Krisensituation natürlich ein Partner, der existenziell ums Überleben kämpft, eine hohe innere Nervosität hat, Wechsel im Führungspersonal, das alles natürlich das Handeln für die Regierung schwierig macht. Aber auf der anderen Seite, es kann auf Dauer ja nicht so weitergehen. Jetzt hoffen wir, egal, wie die Wahlen morgen ausgehen, dass dann, wenn die FDP aus den aktuellen Wahlkämpfen heraus ist, die Dinge sich wieder stabilisieren. Es ist dringend notwendig!

    Zurheide: Nur jetzt gibt es schon neue Spekulationen – wir reden jetzt die ganze Zeit über die FDP –, dass möglicherweise Herr Westerwelle abgelöst wird. Das wird dann wieder dementiert. Also, ich meine, das alles sorgt ja wirklich nicht dafür, dass man auch Vertrauen in die neue Führung bekommt, oder? Da ist doch zu viel Hin und Her!

    Glück: Natürlich ist innerhalb der Partei zu viel Hin und Her, weil eigentlich ja keine Klarheit innerhalb der FDP da ist über den Kurs der Partei. Es ist momentan alles nur noch taktisch: Wie können wir vielleicht doch ein paar Stimmen mehr einfangen? Und das macht die Sache natürlich ja letztlich unkalkulierbar. Trotzdem, es ist nur zu hoffen und es ist ja zwingend notwendig, dass nach dem Berliner Wahltermin innerhalb der FDP wieder neue Stabilität einkehrt und damit auch die Regierung gestärkt wird.

    Zurheide: Auf der anderen Seite – jetzt will ich mal auch zur CSU kommen, weil der eine oder andere in Berlin sagt, es sei ja nicht nur die FDP, da sei auch zum Teil die CSU –, wenn wir inhaltlich das ganze mal betrachten, hat Herr Seehofer auch in der ablaufenden Woche nicht ganz andere Dinge gesagt als Herr Rösler. Er hat es vielleicht nicht ganz so zugespitzt, das Wort Insolvenz nicht in den Mund genommen, aber ist denn da vonseiten der CSU die notwendige Stabilität aus Ihrer Sicht da, die notwendig wäre in dieser Krisensituation?

    Glück: Ja, ich glaube, da ist schon ein deutlich anderes Verhalten da. Die CSU und insbesondere der Vorsitzende Horst Seehofer haben in den letzten Monaten sehr dazu beigetragen, einen Schulterschluss mit der Kanzlerin zu praktizieren. In der Sache selbst und intern muss man ja sicher die verschiedensten Varianten überlegen, wie die Entwicklung mit Griechenland und darüber hinaus weitergehen könnte. Die Expertenwelt hat da ja auch die unterschiedlichsten Vorstellungen, aber vonseiten der Repräsentanten der CSU gibt es nicht die öffentliche Spekulation über doch Insolvenz von Griechenland, gleichzeitig weiß jeder Kundige, dass dafür rein vom EU-Recht her alle Voraussetzungen fehlen, dass damit aber gleichzeitig natürlich enorme Unruhe auf den Börsen auch noch gefördert wird, das ist ohnehin ein neurotischer Bereich geworden. Insofern, ich bin nicht innerlich völlig einverstanden mit jedem Akzent der gegenwärtigen Europapolitik der CSU, aber die CSU hat eine ungleich stabilere Rolle wie die FDP.

    Zurheide: Kommen wir mal auf diese Euro-Diskussion. Ist es nicht im Prinzip ein Fehler – und das ist eines der Denkverbote, über die man mal diskutieren müsste –, dass der Euro sozusagen zum Symbol für die europäische Einigung zum alleinigen Symbol geworden ist und insofern manche, die sagen, wenn der Euro fällt, fällt die europäische Einigung, die schaffen eigentlich erst das Problem, was wir eigentlich nicht haben wollen – müssen wir da nicht mal offener drüber nachdenken?

    Glück: Also, zunächst, es gibt keine Denkverbote. Es gibt da keine Redeverbote, aber wer natürlich in der Führungsverantwortung ist, muss gründlich überlegen, wie er sich öffentlich äußert. Es ist so, dass der Euro natürlich ein entscheidendes Bindeglied ist und vor allen Dingen, dass mit dem Euro Europa auch eine Solidargemeinschaft eingegangen ist, aber auch eine Entwicklung genommen hat als Wirtschaftsmacht, die ohne den kaum denkbar wäre. Für mich ist das Problem, dass wir die ganze Thematik Euro nicht in eine systematische Europadebatte einbetten. Also, die erste Frage, die wir uns stellen müssten: Wie müssen wir Europapolitik betreiben und dann einschließlich Euro, damit das, was wir an Errungenschaften haben, durch diese Europäische Union an wirtschaftlicher Entwicklung, an innerer Stabilität, an Gewicht gegenüber den wachsenden Mächten in der Welt – wir leben ja gleichzeitig in riesigen Kräfteverschiebungen, damit wir das erhalten können. Die zweite Perspektive muss sein: Was brauchen wir für ein EU-Europa in unserem eigenen Interesse in einer Welt, in der Amerika immer schwächer wird, China und andere immer stärker werden – wer soll denn morgen und übermorgen in der Welt die Werte vertreten, die uns wichtig sind beispielsweise? Die Menschenrechte, die Menschenwürde, die Fragen der Gerechtigkeit, der Zusammenarbeit bei Klima und viele andere Dinge, wenn es nicht ein starkes Europa gibt. Und dann muss man damit verbinden: Welche Rolle hat die Zukunft des Euro, damit wir Europäer in dieser Welt überhaupt noch etwas zu sagen haben? Und so gesehen bräuchten wir für die politische Debatte eine Perspektive, eine Zukunftsstrategie inhaltlicher Art für die Europäische Union, mit der sich begründet, dass es einen Sinn gibt, auch Opfer zu bringen. Wir werden jetzt natürlich mit einer Vollkostenrechnung konfrontiert, wir haben in hohem Maße profitiert in vielfältiger Weise durch den europäischen Einigungsprozess, und wir haben jetzt auch mehr mit Problemen als Stärkste mit zu kämpfen und vielleicht auch Lasten zu tragen, aber dazu braucht es eine inhaltliche Begründung und nicht verunsicherte Angststrategien.

    Zurheide: Wer müsste das machen? Ist das nicht am Ende die Kanzlerin, die mehr für diese Art von europäischer Diskussion auch stehen müsste? Aber sie ist eben in Rückzugsgefechten.

    Glück: Einmal hat die Kanzlerin natürlich nur die Handlungsspielräume, die sie innenpolitisch hat, und das innerhalb der Regierung natürlich auch hat. Gleichzeitig ist natürlich das Problem, die Kanzlerin kann nicht alles, was sie für richtig hält, hier öffentlich verkünden, wenn sie zunächst einmal Partner in der Europäischen Union überzeugen muss. Nein, wir müssen miteinander die Debatte führen. Die Kanzlerin hat einen besonderen Führungsauftrag, die Regierung hat einen besonderen Führungsauftrag, aber wo sind denn bitte sehr die anderen gesellschaftlichen Gruppen, die Parteien, alle anderen, die in der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken? Wo ist denn der Zukunftsentwurf? Herr Steinmeier hat richtig gesagt, Sie haben es ja auch schon gesagt: Was uns fehlt, ist eine neue Erzählung von Europa, das heißt, eine neue innere Begründung. Nach dem Krieg war das eindeutig, aber er liefert sie gegenwärtig auch nicht, andere liefern sie nicht, und das ist unser größtes Defizit. Wir sind nur noch gefesselt durch Krisenmanagement und auch Abwägung, ob wir jetzt links oder halblinks abzweigen, und das ist auf Dauer keine tragfähige Entwicklung für Europa.

    Zurheide: Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch bei Alois Glück, dem früheren Fraktionschef und Präsidenten des bayerischen Landtages zum Thema Europa. Danke schön, Herr Glück!

    Glück: Ich danke auch!


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