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Keine Legida-Berichte mehr
Die Kapitulation

Die Leipziger Internet Zeitung stellt ihre Live-Berichterstattung zu Legida ein. Sie begründet den Schritt mit Gewalt gegen Journalisten und macht Politik und Polizei mitverantwortlich. Das Innenministerium wiegelt ab. Andere sehen die Pressefreiheit in Gefahr.

Von Michael Borgers | 18.02.2016
    Demonstrierende Mitglieder des islamkritischen Legida-Bündnisses, hier am 12.10.2015
    Demonstrierende Mitglieder des islamkritischen Legida-Bündnisses, hier im vergangenen Oktober (picture alliance/dpa/Sebastian Willnow)
    Als sich die Leipziger Internet Zeitung (LIZ) 2004 gründete, verließ Monika Lazar die Stadt, zumindest zeitweise. In dem Jahr zog sie nach Berlin, kümmert sich seitdem im Bundestag für ihre Partei, die Grünen, um das Thema Rechtsextremismus. Lazars Hauptwohnsitz blieb Leipzig. Dass die LIZ nun ihre Live-Berichterstattung über die Legida-Demonstrationen eingestellt hat, gehe ihr persönlich nahe, erklärt die 48-Jährige dem Deutschlandfunk. Als Leipziger Bundestagsabgeordnete sei sie selbst "oft vor Ort, wenn Legida demonstriert" und komme dabei häufig in Kontakt mit Pressvertretern. Beide - Politiker und Journalisten - seien von "Pegida, Legida & Co zu Feinden ernannt worden und werden auch entsprechend beschimpft", so Lazar. "Es ist ein Armutszeugnis für die sächsischen Behörden und ein Tiefpunkt in Sachen Gewährleistung der Pressefreiheit in Sachsen, wenn Journalisten nicht ausreichend vor Gewalt geschützt werden."
    Anfang der Woche hatte die LIZ in einem Offenen Brief angekündigt, nicht mehr mit ihrem Live-Ticker über die parallel in Dresden stattfindende Pegida-Versammlung von Rechtspopulisten zu berichten - vorerst, wie LIZ-Marketingchef Robert Dobschütz im Gespräch mit dem Deutschlandfunk betont. Man wolle sich nicht zurückziehen, sei an Lösungen interessiert. Die LIZ nehme das Wort Lokaljournalismus ernst, sei an einer präzisen Berichterstattung interessiert, so Dobschütz. Über Legida habe man auch mit Humor berichtet und nicht nur "Hass säen wollen". Dazu gehörte im vergangenen Jahr eben auch der Ticker mit Texten, Bildern und Videos, die Woche für Woche zig-tausendfach abgerufen worden seien. Entsprechend groß sei nun die Solidarität, die man nach der Absage erlebe. Von Lesern, vor allem aber auch Kollegen, "von denen jeder eine eigene Geschichte erzählen könnte".
    Keine Stellungnahme der Polizei
    Erst vor einem Monat gründete der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) den Blog "Augenzeugen". Dort berichten Journalisten über Angriffe, die ihnen widerfahren sind. Von Kamerateams, die tätlich angegriffen werden, von Reportern, die sich von der Polizei im Stich gelassen fühlen. Die Ankündigung der LIZ bezeichnet der DJV-Vorsitzende Frank Überall als "verheerendes Signal über den Zustand der Pressefreiheit in Sachsen". Auch in dem Offenen Brief wird die Rolle der Polizei thematisiert. Teilweise würden "Anzeigeerstattungen gegen Gewalttäter seitens der Polizei abgelehnt, präventive Ansprachen gegenüber aggressiv auftretenden Demonstrationsteilnehmern unterbleiben". Insbesondere "im Kontext der ‚Lügenpresse'-Schmähungen aus dem Legida-Umfeld sei dies nicht hinnehmbar", so die Grünen-Politikerin Monika Lazar.
    Und die Polizei? Man habe den Brief "zur Kenntnis genommen", erklärt ein Sprecher der Leipziger Polizei knapp. Die sächsische Landesregierung nimmt sich mehr Zeit für unsere Anfrage. Die erhobenen Vorwürfe seien bekannt, heißt es in einer Stellungnahme des Innenministeriums. Die Polizei in Leipzig habe "verschiedene Maßnahmen getroffen, um Journalisten bei ihrer Arbeit zu schützen".
    Doch offenbar genügen diese Maßnahmen nicht: Der MDR lässt seine Reporter inzwischen von Sicherheitskräften begleiten, nachdem es in der Vergangenheit immer wieder zu Gewalt gegen sie kam. Eine derartige Maßnahme lehnt die LIZ ab.
    Krumbiegel: Die Alarmglocken sollten läuten
    Politik und Justiz hätten es in den letzten Jahren versäumt, sich klar gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus zu positionieren, antwortet Sebastian Krumbiegel auf unsere Anfrage. Der Sänger der Band "Die Prinzen" ist in seiner Heimatstadt auch für sein politisches Engagement bekannt. "Gerade in Leipzig, der Stadt der friedlichen Revolution", mache es ihn fassungslos, Begriffe wie "Lügenpresse" oder "Volksverräter" zu hören. "Dieser Hass, der sich, nicht nur im Internet, sondern auch auf der Straße Bahn bricht, sollte bei uns allen die Alarmglocken läuten lassen." Es gebe aber auch Menschen, "die sich klar und gewaltfrei gegen diesen Spuk stellen", betont der Musiker.
    Sachsens Innenminister Markus Ulbig hat Anfang Februar 2016 neue Gesprächsrunden zur Gewalt gegen Journalisten angekündigt. "Es ist höchste Zeit, dass ein Konzept entwickelt wird, wie diese unhaltbare Situation abgewendet werden kann", so Monika Lazar. Robert Dobschütz von der LIZ ist da allerdings skeptisch: Er habe noch von keinem Kollegen gehört, der zu dem Termin eingeladen wurde.