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Keine Lust mehr auf Guttenberg-Fragen

Thomas de Maizière will nach vorne schauen. Die Bundeswehr soll kleiner werden, dafür aber besser gerüstet für Auslandseinsätze. Der CDU-Politiker sieht aber auch die Gesellschaft in der Verantwortung. Sie müsse diskutieren, "welche Bundeswehr sie haben will".

Thomas de Maizière im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.05.2011
    Jasper Barenberg: Was sein Vorgänger mit großer Geste begann, das will Thomas de Maizière nun gewissenhaft und Schritt für Schritt in den nächsten Jahren umsetzen. Deutlich verkleinern will der Verteidigungsminister die Bundeswehr und sie zugleich besser rüsten für weltweite Einsätze. Noch einmal kräftig Hand angelegt hat der CDU-Politiker an dem, was Karl-Theodor zu Guttenberg bei seinem Abgang Anfang März hinterließ. Zeit hat er sich genommen und nach elf Wochen Arbeit seine Pläne in groben Zügen gestern in Berlin vorgestellt.

    Am Telefon ist jetzt der Bundesverteidigungsminister. Guten Morgen, Thomas de Maizière!

    Thomas de Maizière: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr de Maizière, Sie haben sich elf Wochen Zeit genommen, alles sorgfältig zu prüfen und Ihre Pläne auszuarbeiten. Wie viel schlechter ist der Zustand der Truppe, als Sie Anfangs gedacht haben?

    de Maizière: Was ich vorgefunden habe, wird ja schon länger analysiert. Auch Karl-Theodor zu Guttenberg hat es so analysiert, die Weise-Kommission hat das so analysiert, und nun ziehen wir Konsequenzen.

    Barenberg: Die Bundeswehr ist nicht zu führen, haben Sie kürzlich gesagt. Was haben Sie genau gemeint?

    de Maizière: Sie ist so nicht zu führen, sie ist strukturell unterfinanziert, das heißt, sie hat für die Aufgaben, die sie hat, zu wenig Geld. Das heißt, man muss dann entweder mehr Geld geben oder die Aufgaben ändern oder beides. Sie ist, was ihr Fähigkeitsprofil angeht, für den Auftrag nicht richtig aufgestellt. Wir haben von den Fähigkeiten, die wir brauchen, zu wenig und von denen, die wir nicht brauchen, zu viel. Und die Führungsstruktur ist verkrustet: Wir haben zu viel Stäbe, auch zu viele Generalsterne, zu viele Vorschriften, und das muss alles geändert werden.

    Barenberg: Zu viele Häuptlinge, zu wenig Indianer.

    de Maizière: So ist es!

    Barenberg: So wurde das ja auch immer gesagt. Weniger Soldaten sollen jetzt mehr Einsätze schultern können, dafür soll der Apparat schlanker und effizienter werden. Wie viel bleibt dabei von den Ansätzen Ihres Vorgängers zu Guttenberg?

    de Maizière: Alles!

    Barenberg: Sie haben aber gesagt, die Bundeswehr sei nicht zu führen, und wenn man dem glauben schenken kann, was Sie in dem Fraktionsvorstand der Union gesagt haben, da ist doch einige Kritik laut geworden an dem, was Sie vorgefunden haben.

    de Maizière: Ja, das ist wahr, und die gleiche Kritik hat ja mein Vorgänger geübt. Deswegen ist in der Koalitionsvereinbarung die Neuausrichtung angelegt. Mein Vorgänger hat sie entschlossen aufgegriffen, er hat ein großes Rad angeworfen, und ich habe es nun auf meine Weise geordnet, zusammengeführt und will es nun umsetzen.

    Barenberg: Auch vom Kopf auf die Füße gestellt?

    de Maizière: Na ja, ich weiß nicht, was Kopf und Füße sind. Irgendwann werde ich auch diese Fragen nach meinem Vorgänger nicht mehr beantworten. Ich gucke nach vorne und ich habe jetzt die Neuausrichtung so zusammengestellt, wie ich es für richtig halte und möchte sie jetzt umsetzen.

    Barenberg: Der Wehrdienst wurde ja bereits ausgesetzt. Das Interesse am freiwilligen Wehrdienst hält sich bisher jedenfalls doch sehr in Grenzen. Sie haben gestern gesagt, der Platz der Bundeswehr ist in der Mitte der Gesellschaft. Wie wollen Sie das gewährleisten für die Zukunft?

    de Maizière: Bei einer Wehrpflichtarmee ist das ja eigentlich selbstverständlich. Viele gehen zu einer Armee und gehen wieder zurück. Jetzt muss die Bundeswehr um Freiwillige werben. Ich will übrigens sagen, dass die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Zeit- und Berufssoldaten unverändert gut ist. Das sind auch immerhin 15.000 pro Jahr, die wir einstellen, und dafür haben wir die dreifache Bewerbung. Nun werben wir aber auch um freiwillig Wehrdienstleistende, um die Rekrutierungsbasis zu vergrößern, auch um die Bundeswehr in der Gesellschaft zu verankern, und das wollen wir so machen, dass wir sagen, ihr könnt bei uns gutes Geld verdienen, das Jahr ist attraktiv für euch, so wie kaum eine Beschäftigung sonst nach der Schulausbildung, und ihr macht einen ehrenvollen Dienst für unser Land. Das zusammen genommen, glaube ich, ist ein attraktives Angebot, wenn die Gesellschaft mitspielt. Wenn Arbeitgeber sich später bei zwei Bewerbungen für den entscheiden, der bei der Bundeswehr war, dann hat die Sache Erfolg.

    Barenberg: Hat sich, wenn Sie die Sache bedenken, auch die Gesellschaft bisher zu wenig für die Belange der Bundeswehr und für ihren Dienst interessiert?

    de Maizière: Der frühere Bundespräsident hat von einem freundlichen Desinteresse gesprochen. Das mag es geben. Die Soldaten selbst sind bei allen Umfragen immer unter den ersten vier, fünf Berufsgruppen: Richter, Polizisten, dann kommen bald die Soldaten, und das ist eigentlich gut. Wahr ist – das habe ich auch gestern gesagt -, eine Freiwilligenarmee muss mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden als eine Wehrpflichtarmee. Wenn wir der Gesellschaft die Hand reichen, dann muss die Gesellschaft auch diese Hand nehmen. Das heißt, diese Debatte ist keine Debatte, die alleine die Bundeswehr zu führen hat, sondern die Gesellschaft, welche Bundeswehr sie haben will.

    Barenberg: Herr de Maizière, Sie haben ja auch im Zuge Ihrer Reform die Aufgaben für die Bundeswehr neu definiert, neue Aufgaben formuliert. Unter anderem auch auf Einsätze solle sich die Bundeswehr in Fällen einstellen, wenn deutsche Interessen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Welche Fälle meinen Sie da?

    de Maizière: Nun, die Sicherheitspolitik muss die Frage beantworten, was können wir wollen. Und das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr muss die Frage beantworten, was wollen wir können. Und wenn man das zusammen sieht, dann ist natürlich neben der Landesverteidigung und der Landesverteidigung als Bündnisverteidigung unsere Aufgabe, Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten und sich an deren Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen. Aber wenn man sich in der Welt umguckt und guckt, wo überall Soldaten sind, neuseeländische, kanadische, australische, niederländische, norwegische, und warum sie da hingehen, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es für diese Länder eine Ehre und Auszeichnung ist, ein Teil der internationalen Völkergemeinschaft zu sein und internationale Verantwortung zu übernehmen. Diese Frage werden wir uns auch stellen lassen müssen, wenn es nicht unmittelbar um deutsche Interessen geht. Wir sind ein großes, wichtiges Land, wir wollen ein großes, wichtiges Land sein, wir wollen Einfluss behalten in der Welt, und dazu gehört auch, wenn es sein muss und wenn wir es für richtig halten, nicht zwanghaft, sondern wenn wir es wollen, auch die Übernahme internationaler Verantwortung.

    Barenberg: Zeigt das Beispiel des Einsatzes in Libyen nicht gerade, dass Sie genau das Gegenteil, dass die Bundesregierung genau das Gegenteil gemacht hat von dem, was Sie jetzt erklären?

    de Maizière: Nein. Es muss immer bei jedem einzelnen Einsatz geprüft werden, ob er richtig ist, ob er vertretbar ist, ob das Ziel mit angemessenen Mitteln erreicht werden kann. Unsere Entscheidung, am Libyen-Einsatz nicht teilzunehmen, war nicht die Frage, ob es da um deutsche Interessen geht, sondern der Punkt, dass wir den Ansatz dort mit den Mitteln und der Resolution für militärisch und militärpolitisch nicht überzeugend gehalten haben, und dabei bleibt es.

    Barenberg: Und doch ist ein Teil der Resonanz jedenfalls, dass sich damit Deutschland auch gerade seiner internationalen Verantwortung entzieht.

    de Maizière: Nun, wenn wir jeden Einsatz einzeln prüfen, dann werden wir manchmal ja sagen und manchmal nein sagen, und wir kennen unsere Bündnisverpflichtungen, aber das nationale Interesse hat Vorrang und die Bündnispartner haben dafür auch viel Verständnis.

    Barenberg: Herr de Maizière, zum Schluss: Anfang der Reform war der Auftrag zu sparen, jetzt wird eine Chance daraus. Aber steht nicht inzwischen auch fest, dass dieser Sparbeitrag in Ihrem Ministerium jedenfalls nicht zu schaffen ist?

    de Maizière: Ich habe mit dem Bundesfinanzminister vereinbart und das auch in der Koalition besprochen, dass wir den Sparbeitrag erbringen, an anderer Stelle, aber so entlastet werden, dass Belastungen, die durch die Neustrukturierung insbesondere dem Personalabbau auf die Bundeswehr zukommen, vermieden werden sollen, und die Einzelheiten dazu, einschließlich der Zahlen, teilen wir dann als Ergebnis der Haushaltsberatungen mit, nicht vorher. Da bitte ich um Verständnis.

    Barenberg: Der Bundesverteidigungsminister im Gespräch im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Thomas de Maizière.

    de Maizière: Einen schönen Tag für Sie alle.

    Barenberg: Danke.