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Keine Macht den Generälen

Das türkische Militär hat schon mehrfach gewählte Regierungen gestürzt und angeblich auch versucht, den amtierenden Regierungschef Erdogan zu putschen. Dieser aber hat die Macht der Armee gebrochen.

24.07.2013
    Vier Mal schon hat die türkische Armee eine gewählte Regierung aus dem Amt geputscht; die ersten drei Male war das sehr blutig: 1960, 1971 und 1980. General Kenan Evren wandte sich am 12. September 1980 im Fernsehen an das türkische Volk:

    "Die türkischen Streitkräfte sehen sich genötigt, für die Einheit und Integrität der Nation und des Vaterlandes, für die Stabilisierung der außer Kontrolle geratenen Demokratie sowie die Wiederherstellung der geschwächten Staatsautorität die Führung des Landes zu übernehmen."

    Das Militär verhaftete damals 650.000 Menschen, es vollstreckte Hunderte Todesurteile; Tausende Menschen flüchteten aus der Türkei ins Ausland. Im Jahr 1997 dann putschte die türkische Armee ohne Blutvergießen. Sie ließ am Rande der Hauptstadt Ankara Panzer auffahren und verlangte, dass Ministerpräsident Necmettin Erbakan zurücktritt.

    Erbakan war streng religiös, ein Islamist. Das Militär sah durch ihn das Erbe der laizistischen Türkei in Gefahr, in der die Religion keinen Einfluss auf die Politik nehmen darf. Das Säbelrasseln der Militärs im Frühjahr 1997 hatte Erfolg – Erbakan trat zurück. Zehn Jahre später, im April 2007, drohte das Militär noch einmal.

    Damals war Ministerpräsident Reccep Tayyip Erdogan mit seiner islamisch-konservativen AKP schon vier Jahre lang an der Regierung, nun kandidierte sein Parteifreund Abdullah Gül für das Amt des Staatspräsidenten. So viel Macht für Politiker mit religiösem Hintergrund – das war der türkischen Armee zu viel. Der Generalstab drohte wieder. Diesmal ließ er nicht Panzer auffahren, sondern veröffentlichte auf seiner Homepage in Internet eine schlichte Warnung. Darin hieß es:

    "Niemand soll vergessen, dass die Streitkräfte entschieden für die Verteidigung des Laizismus, also der Trennung von Staat und Religion eintreten. Notfall werde die Armee ihre Haltung und ihr Vorgehen deutlich machen."

    Was der Generalstab damit meinte, war allen in der Türkei klar: Sollte Gül sich zum Staatspräsidenten wählen lassen, wird das Militär eingreifen. Doch damals, im Frühjahr 2007, war das Militär schon zu schwach, um seine Drohung umzusetzen. Die Armeeführung verlor den Machtkampf gegen Erdogan. Der nämlich ließ damals das Volk entscheiden und ein neues Parlament wählen. Die Wahlen endeten in einem haushohen Sieg für Erdogans AKP; das neue Parlament wählte Gül zum Staatspräsidenten.

    Systematisch hat Erdogan in seiner Regierungszeit die Macht der Militärs beschnitten; vor allem durch die Verfassungsänderungen, die mit einer Volksabstimmung im September 2010 angenommen wurden:

    "Das Datum des 12. Septembers wurde bisher durch die Putschisten-Verfassung beschmutzt. Mit dieser Volksabstimmung beginnt nun eine neue Zeitrechnung für die Demokratie. Wir schlagen damit eine neue Seite auf und beseitigen den Schmutz."

    "Wir beseitigen den Schmutz" – diesen Satz versteht die türkische Justiz als Auftrag, alle Militärs zu verfolgen, die je an Putschplänen beteiligt gewesen sein sollen. Hunderte Offiziere und ehemalige Generäle stehen in der Türkei deshalb jetzt vor Gericht oder sitzen sogar in U-Haft, weil sie angeblich versucht haben sollen, Ministerpräsident Erdogan zu stürzen. Die Macht des Militärs in der Türkei ist also gebrochen.

    Auch gegen die noch lebenden Putsch-Generäle von 1980 geht die türkische Justiz vor. General Kenan Evren, der im September 1980 die Macht an sich riss, wird in der kommenden Woche 96 Jahre alt und muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Der Staatsanwalt fordert lebenslange Haft. Im September will er sein Plädoyer gegen den einst mächtigsten Armee-Angehörigen der Türkei halten.