Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Keine Papiere, keine Arbeit, kein Geld

Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy will stärker gegen illegale Einwanderer vorgehen. Nach Schätzung des Ministeriums sind zwischen 200.000 und 400.000 Einwanderer illegal im Land, sie sollen in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Die systematische "Jagd auf Illegale" mit rechstaatlich oft bedenklichen Mitteln laufe bereits, kritisieren französische Menschenrechtsorganisationen. Margit Hillmann berichtet.

27.04.2006
    Im Treppenhaus des baufälligen Gebäudes F spielen afrikanische Kinder. Sie rasen die Treppen herauf und herunter, toben ausgelassen in den dunklen, langen Fluren. Es sind die Kinder illegal eingewanderter Afrikaner, überwiegend aus Mali und der Elfenbeinküste, die in dem heruntergekommen ehemaligen Studentenwohnheim im Pariser Vorort Cachan Unterschlupf gefunden haben. Insgesamt rund 700 Menschen, verteilt auf fünf Stockwerke - ganze Familien in winzig kleinen sechs Quadratmeter großen Räumen.

    Auf dem Flur der zweiten Etage steht die Tür zu einem der Zimmer offen. Links ein kleines Handwaschbecken mit kaltem Wasser, daneben eine zugeklappte Toilette, die nicht mehr angeschlossen ist und nun als Abstellfläche dient. Auf dem Bett, das den Rest des Raumes einnimmt, sitzen mehrere Frauen in ihren bunten afrikanischen Kleidern, dazwischen kleine Kinder, die noch nicht laufen. Während die Kinder gewickelt und gefüttert werden, unterhalten sich die Frauen, und vertreiben sich so ein bisschen die Zeit. Denn die Tage hier sind lang, sagen sie.

    "Wir haben keine Arbeit und wir trauen uns auch nicht raus auf die Strasse", erklärt Awa aus Mali, 25 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Sie fürchten Identitätskontrollen der Polizei. "Erst vor wenigen Tagen wurde wieder einer der Bewohner des Hauses ohne Papiere von der Polizei bei einer Kontrolle in der Straße erwischt", berichtet Awa.

    "Sie haben ihn gleich nach Mali zurückgeschickt. Und seine schwangere Frau und seine kleine Tochter sind jetzt ganz allein zurückgeblieben."

    Von den französischen Behörden zurück in die Heimat geschickt werden, das ist für die Frauen der Alptraum. "Das ist noch schlimmer, als versteckt in einem baufälligen Haus, arm und in permanenter Angst vor der Polizei zu leben", sagt Awa.

    "Ich bin seit vier Jahren hier und habe oft Heimweh. Ich würde gern wieder zurückgehen, weil das Leben ohne Papiere in Frankreich sehr schwer ist. Denn ohne Papiere können wir nicht arbeiten, kein Geld verdienen, keine Wohnung mieten. Aber wir haben keine Wahl! Bei uns in Mali ist die Armut groß. Aber vor allem gibt es dort keine Hoffung auf eine bessere Zukunft, auch für unsere Kinder nicht. Außerdem setzen unsere Familien in Mali auf uns, hoffen dass wir hier doch irgendwann Arbeit finden und sie finanziell unterstützen können."

    Während sich die Frauen um die Kinder kümmern und abends auf einer improvisierten Kochstelle in der Ecke des kleinen Zimmers das Essen zubereiten, suchen die Männer Arbeit: Schwarzarbeit, stunden- oder tageweise, auf dem Bau oder in den Küchen der unzähligen kleinen Restaurants und Hotels der französischen Hauptstadt. Werden sie fündig, bringen sie am Abend Geld mit nach Hause. Wenn nicht, gibt es nichts zu Essen. Das kommt oft vor, sagen die Frauen. Bleibt das Geld mehrere Tage aus, und sie wenden sie sich in ihrer Not an die Sozialbehörden, werden sie abgewiesen, sagt Aminata, Anfang 30 und vor neun Jahren aus der Elfenbeinküste illegal nach Frankreich eingewandert.

    "Sie sagen dann, du musst sehen, wie Du klar kommst. Wer ohne Papiere ist, dem können wir nicht helfen. Geh zu den Leuten, die schwarz sind wie du. Die werden Dir und deinen Kindern zu Essen geben. Das tun unsere Leute auch. Wir helfen uns hier alle gegenseitig. Aber manchmal ist einfach nichts da. Dann müssen wir die Leute auf der Straße um 50 Cent oder einen Euro bitten. Davon kaufen wir dann für unsere Kinder zu Essen."

    Dass das Leben für illegale Einwanderer in Frankreich spürbar schwieriger wird, bestätigen auch diese Frauen. Sie werden immer öfter offen angefeindet, sagen sie, in den Straßen, bei den Behörden.

    Dahinter steckt "Sarko", wie sie den französischen Innenminister nennen. Er mache ihnen mit seiner Politik Angst. Es sei schon soweit, dass sie Stadtviertel meiden, in denen viele Afrikaner leben. Denn dort, davon hören sie immer wieder, sperre die Polizei regelmäßig ganze Straßenzüge ab, um systematisch Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu kontrollieren. Sie haben auch davon gehört, dass die bisher geltende französische Regelung, nach der illegale Einwanderer, die nachweislich seit mindestens zehn Jahren im Land leben, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen können, nach den Gesetzesvorschlägen des französischen Innenministers stark eingeschränkt werden soll.

    Doch trotz allem wollen sie ausharren, träumen davon, doch irgendwann ein Aufenthaltsrecht zu bekommen, um dann legal als Putzfrau oder Kindermädchen zu arbeiten und ein bisschen Geld zu verdienen. Die achtjährige Tochter Aminatas, die kleine Araba, hofft, dass sie dann endlich in eine richtige Wohnung ziehen können und sie, wie die anderen Kinder, ihre Freundinnen zu sich einladen kann.