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Keine Preise für Meine Preise

Zum zwanzigsten Todestag des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard werden die autobiografischen Aufzeichnungen "Meine Preise" veröffentlicht. Der Prosatext aus dem Nachlass des Schriftstellers handelt von den Literaturpreisen, die Bernhard erhielt. Ein Buch ohne die existenzielle Schärfe, die Thomas Bernhards Texte sonst auszeichnen.

Von Matthias Kußmann | 12.02.2009
    Verehrter Herr Minister, verehrte Anwesende - es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.

    Ein Paukenschlag. Schon im ersten Satz seines Danks für den österreichischen Staatspreis machte Thomas Bernhard seinen Standpunkt klar. 1931 als uneheliches Kind geboren, früh von Krankheit und Tod geprägt, vertrat er eine absolute Negativität - die grotesken Humor nicht ausschloss.

    Bernhard liebte es, wie er in einmal sagte, "hinzuhauen"; und zwar am liebsten "per Nachnahme". 1968 gelang ihm das perfekt: Der Staat Österreich würdigte seinen Autor - und der haute dem Minister und sonstigen Würdenträgern erst mal eine hin. Doch dabei blieb es nicht. Bernhard sprach gerade einmal zwei Minuten lang - der nächste Affront - und wie:

    Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur täglichen Notdurft geworden sind. Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist. Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben, wir sind in dem Prozess der Natur der Größenwahn-Sinn als Zukunft.

    Damit hatte er es wieder geschafft. Der selbsternannte "Übertreibungskünstler" war in den Schlagzeilen, der Hass der "guten Österreicher" auf den Nestbeschmutzer wuchs. Der Preis, den er bekam, war freilich nicht der Große österreichische Staatspreis, sondern der Kleine: eine Talentförderung junger Autoren, die Bernhard mit knapp 40 spät erhielt:

    Insgeheim dachte ich, dass die Jury sich mir gegenüber eine Unverschämtheit erlaube, mir den Kleinen Staatspreis zu geben, wo ich mich doch, wenn überhaupt, was auch damals schon die Frage gewesen war, selbstverständlich nur absolut für den Großen Staatspreis präpariert fühlte und nicht für den Kleinen, dass es meinen literarischen Feinden in dieser Jury also ein teuflisches Vergnügen sei, mich mit dem von ihnen mir an den Kopf geworfenen Kleinen Preis von meinem Podest zu stürzen.

    Die Leute, die mich auf den Preis angesprochen haben, dachten alle, ich hätte natürlich den Großen Staatspreis bekommen, und ich war jedesmal der Peinlichkeit ausgesetzt, ihnen zu sagen, dass es sich um den Kleinen handle,


    schreibt Bernhard in "Meine Preise". Der Band ist jetzt erschienen, 20 Jahre nach dem Tod des Autors. Das Manuskript entstand 1980. Bernhard wollte es zunächst veröffentlichen, zog es aber zurück - und wusste wohl, warum. Es geht kapitelweise um die Preise, die er zwischen 1963 und 1970 erhielt, und zwar viele, insgesamt neun Stück.

    Er erzählt jeweils, wie er von der Auszeichnung erfuhr, von den Tagen vor und nach der Verleihung; und natürlich vom Festakt, den er - naturgemäß, möchte man sagen - jedes Mal als Groteske erlebte. 1970 bekam er den wichtigsten deutschen Literaturpreis, benannt nach Georg Büchner. Seine Dankrede bestand wie immer nur aus einer Kette von Assoziationen. Hier eine Passage aus dem Mitschnitt von damals:

    Wir wissen nicht, handelt es sich um die Tragödie um der Komödie, oder um die Komödie um der Tragödie willen. Aber alles handelt von Fürchterlichkeit, von Erbärmlichkeit, von Unzurechnungsfähigkeit. Wir haben, sagen wir, ein Recht auf das Recht, aber wir haben nur ein Recht auf das Unrecht.

    Genau: Dilettantische Jurys küren ihn, den großen Autor, mit dümmlichen Preisen, die von unfähigen Ministern verliehen werden. Das ist in typischer Bernhard-Manier geschrieben, sarkastisch, höhnisch - doch in langen, schwingenden Satzperioden, mit musikalisch gesetzten Leitmotiven und Wiederholungen. Und es gibt durchaus Selbstironie, und überraschende Ehrlichkeit:

    So sehr ich auch von dem Gedanken, in das Ministerium hineingehen und mir den Kleinen Staatspreis abholen zu müssen, gewürgt worden bin, es rettete mich doch immer die Tatsache, dass auch dieser Kleine Staatspreis mit einer Geldsumme verbunden war, mit der Summe von 25.000 Schilling damals, die ich, der ich über alle meine Köpfe verschuldet gewesen war, dringend gebraucht habe.

    So war ich, zugegeben, immer bei dem Gedanken an die Preissumme von 25.000 mit dem Preis einverstanden, mit allem Scheußlichen und Widerwärtigen, das mit dem Preis in Zusammenhang stehen musste, ich verabscheute den Preis immer nur, solange ich nicht an die 25.000 Schilling dachte, dachte ich an die 25.000 Schilling, fügte ich mich in mein Schicksal. Die 25.000 haben oder nicht haben, dachte ich die ganze Zeit.


    Bernhard war ein Virtuose des Schimpfens, der Zuspitzung und Übertreibung. Er zeigte meisterhaft, wie im Leben Tragödien in Kömödien umkippen und umgekehrt - in jenen Büchern, die zu seinen Lebzeiten erschienen. Hier ist es anders. Natürlich gibt es Passagen wie die zitierte, "echten Bernhard" sozusagen. Aber über weite Strecken enttäuscht das Buch, wirkt wie ein Entwurf. Und das immer gleiche Muster der Kapitel langweilt: Der Autor erhält einen Preis, findet ihn lächerlich, nimmt ihn aber wegen des Geldes an.

    Der Herausgeber Raimund Fellinger schreibt, Bernhard habe das Manuskript abgeschlossen und in dieser Form zur Publikation vorgesehen - aber er hat es eben doch neun Jahre liegen lassen und nicht veröffentlicht, bis zu seinem Tod.

    Das Problem ist, mit der Arbeit fertig zu werden, und das heißt, mit dem inneren Widerwillen und mit dem äußeren Stumpfsinn. Das heißt, über mich selbst und über Leichen von Philosophien gehn, über die ganze Literatur, über die ganze Wissenschaft, über die ganze Geschichte, über alles. Es ist eine Frage der Geisteskonstitution und der Geisteskonzentration und der Isolation, der Distanz… der Monotonie, der Utopie, der Idiotie.

    "Meine Preise" ist die erste Publikation aus Bernhards Nachlass und wird vom Verlag als "Sensation" verkauft, auch als Fortsetzung der Kindheits- und Jugend-Autobiografie. Beides ist es nicht. Gut, es geht natürlich um das Leben des Autors. Er erwähnt seine um Jahre ältere platonische Lebensgefährtin, die er seine "Tante" nennt; er berichtet von Reisen, die er mit den Preisgeldern unternimmt, die zum Fiasko geraten; oder vom spontanen Erwerb eines maroden Bauernhofs, der später als Ohlsdorfer "Vierkanthof" berühmt wurde. Für das Geld des Julius-Campe-Preises kauft er sich 1964 ein Auto, das seinen Stilvorstellungen entspricht.

    Ich sah in der Auslage des Autohauses Heller inmitten von anderen Luxuswagen einen Triumph Herald stehen. Der Wagen war weiß lackiert und mit rotem Leder gepolstert. Er hatte ein Armaturenbrett aus Holz mit schwarzen Knöpfen und er hatte genau den Preis von 35.000 Schilling, also 5.000 Mark angeschrieben. Es war das erste Auto, das ich auf meiner Erkundungstour nach einem Auto gesehen hatte und es war auch schon jenes, das ich kaufte. Ich stand etwa eine halbe Stunde nicht ununterbrochen, aber immer wieder vor der Auslage und betrachtete den Wagen. Er war elegant, er war englisch, was schon beinahe eine Voraussetzung gewesen war, und er hatte genau die Größe, die mir paßte.

    Er fährt mit dem Wagen nach Istrien, wo die "Tante" schon wartet. Bei einem Unfall wird das Auto schrottreif gefahren. Doch er hat Glück, bekommt den Schaden ersetzt, kauft sich das gleiche Modell noch einmal. Bernhard erzählt das im eher untypischen Plauderton - ganz nett, ja; aber da ist nichts von der existenziellen Schärfe der autobiografischen Texte, nichts vom souverän-düsteren Witz der späten Romane. "Rücksichtslos" war ein Lieblingswort von Thomas Bernhard - hier ist er leider nicht rücksichtslos genug gewesen.

    Das Problem ist immer, mit der Arbeit fertig zu werden, in dem Gedanken, nie und mit nichts fertig zu werden. Es ist die Frage: weiter, rücksichtslos weiter, oder aufhören, Schluss machen. Es ist eine Frage des Zweifels, des Misstrauens und der Ungeduld. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    Thomas Bernhard: Meine Preise
    Suhrkamp Verlag, 142 Seiten, 15,80 Euro