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"Keinem Land in Europa ist geholfen, wenn Deutschland schwächer wird "

"Wir müssen jeden Tag wieder um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit kämpfen", sagt Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Von der Politik fordert er unter anderem, deutsche Unternehmen beim Strompreis weiter zu entlasten.

Ulrich Grillo im Gespräch mit Jule Reimer | 17.02.2013
    Reimer: Ulrich Grillo, Sie sind nicht nur der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie seit dem 1. Januar, Sie leiten auch ein energieintensives Unternehmen, das Zink verarbeitet und Produkte der Schwefelchemie herstellt. Wie viele graue Haare hat Ihnen die Energiewende schon bereitet?

    Grillo: Also, die grauen Haare haben sicherlich zugenommen, das haben mir neulich auch meine Töchter bestätigt. Ob der Grund dafür die Energiewende ist oder andere Entwicklungen, kann ich nicht beurteilen. Aber Sie sprechen ein wichtiges Thema an. Natürlich ist die Energiewende für mich als Unternehmer wie auch für mich als BDI-Präsident ein sehr wichtiges Thema, was uns in der nächsten Zeit noch erheblich beschäftigen wird.

    Reimer: Als energieintensives Unternehmen sind Sie von vielen Abgaben nicht ganz befreit, aber zumindest privilegiert behandelt. Das heißt, Sie können Ausnahmen bei der Stromsteuer, bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage in Anspruch nehmen. Das ist ein ganzes Ausnahmen-Dickicht, und die Europäische Union hat auch schon moniert zum Beispiel bei den Netzentgelten, dass da unfairer Wettbewerb betrieben wird seitens Deutschlands.

    Grillo: Das Gegenteil ist der Fall, und das kann ich gut an unserem Beispiel der Firma Rheinzink, der größten Tochtergesellschaft der Grillo-Werke, klarmachen. Wir betreiben ein energieintensives Zink-Walzwerk. Es ist das einzige Walzwerk in Deutschland. Der Wettbewerb sitzt im Ausland, im europäischen Ausland – Westeuropa und Osteuropa. Der Wettbewerb bezahlt wesentlich niedrigere Strompreise als wir. Insofern haben wir da einen Wettbewerbsnachteil. Durch diese Entlastung wird nur ein Wettbewerbsnachteil, den wir haben, kompensiert.

    Reimer: Gegenüber Frankreich zum Beispiel – die Franzosen hatten immer niedrigere Strompreise – hat sich aber der Abstand verringert, gerade in den letzten Jahren, auch mit der Energiewende.

    Grillo: Der Abstand hat sich möglicherweise verringert, wobei es sicherlich bilaterale Abkommen auch der französischen Industrieunternehmen mit den Stromversorgern gibt. Das heißt, so transparent ist es leider nicht, dass wir genau sagen können, wie der Nachteil ist. Wir wissen, dass die französischen Wettbewerber deutlich niedrigere Strompreise zahlen. Bei uns macht der Strompreis ungefähr 30 bis 35 Prozent der Kosten aus, und das merken wir dann schon.

    Reimer: Auf der anderen Seite sind die Industriestrompreise real um zwei Cent ungefähr gesunken.

    Grillo: Sie sind nicht real gesunken, sie sind absolut gesunken. Und das Wichtige ist, das ist ein wichtiger Punkt, gut, dass Sie ihn ansprechen: Die absoluten Strompreise, wenn die sinken, das ist eine Entlastung. Das hilft uns aber nur dann, wenn sie bei uns in Deutschland stärker sinken als im Ausland, gegen das wir Wettbewerb betreiben.

    Reimer: Die Minister Altmaier und Rösler haben – auch etwas überraschend – am Donnerstag einen Kompromissvorschlag vorgelegt in Sachen EEG-Umlage. Die Umlage soll für die nächsten Jahre eingefroren werden, die Vergütungen gekürzt beziehungsweise große Anlagen sollen sogar sehr stark an den Marktpreis gebunden werden. Ist das in Ihrem Sinne?

    Grillo: Insgesamt ist es sicherlich positiv, dass sich diese beiden Ressorts, aber eigentlich alle Fraktionen mit dem Thema beschäftigen – mit dem Thema, dass die Energiewende auch bezahlbar bleibt. Das müssen wir hinkriegen, das müssen wir gemeinsam hinkriegen. Jetzt hat es dazu Vereinbarungen gegeben, die natürlich wieder nur Stückwerk sein können. Wir reden da im Moment über eine "Strompreisverteilungsbremse" – ein etwas kompliziertes Wort, aber eigentlich über eine Strompreisbremse. Das, was wir wirklich eigentlich angehen müssen – gemeinsam -, ist das Thema "Kostenbremse". Wir müssen also im System die Kosten beschränken. Das ist umfangreich, das heißt, wir müssen eigentlich das gesamte EEG, die ganze Fördersystematik, neu konzipieren.

    Reimer: ... aber ein Quotenmodell möchten Sie nicht . . .

    Grillo: . . . nein, wir müssen von Grund auf neu anfangen. Wir können jetzt nicht über einzelne Punkte reden. Das ist natürlich unrealistisch wahrscheinlich, vor der Wahl das noch zu fordern. Insofern ist es positiv, dass es einen Ansatz gibt. Wir müssen alle - alle Beteiligten - versuchen, solidarisch die Kosten zu reduzieren beziehungsweise zumindest zu bremsen, den Strompreisanstieg zu bremsen. Da sind wir als Industrie auch bereit zu, da auch mitzumachen, wenn sich alle sozusagen dran beteiligen.

    Reimer: Möchten Sie den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien abschaffen?

    Grillo: Nein. Das ist aber auch nicht das Modell, was Rösler und Altmaier vorgelegt haben . . .

    Reimer: . . . was möchten Sie?

    Grillo: Wir möchten, dass die Energiewende dazu führt, dass die Energieversorgung sicher und bezahlbar bleibt. Wir wissen alle als Industrie natürlich, dass die Energiewende nicht umsonst ist. Sie hat ja auch positive Seiten, sie führt zu erheblichen Investitionen, von denen wir auch profitieren. Aber sie muss eben bezahlbar bleiben, das heißt, dass wir als deutsche Industrie - die nun sehr stark im internationalen Wettbewerb steht - dass wir als deutsche Industrie weiterhin bezahlbare, im internationalen Wettbewerb bezahlbare Strompreise haben. Und dafür müssen wir kämpfen.

    Reimer: Sagen Sie dann doch bitte noch mal, welche Chancen sehen Sie ganz konkret für die deutsche Industrie?

    Grillo: Chancen sehen wir natürlich – ich habe es erwähnt – im Thema Investitionen. Also, wir haben mal eine Zahl ermittelt, dass bis zum Jahr 2030 ein Investitionsvolumen von ungefähr 350 Milliarden Euro durch die Energiewende allein verursacht wird - allein in Deutschland. Ohne Energiewende wären es vielleicht im Energiebereich 100 bis 150 Milliarden Euro. Zusätzlich kommen natürlich die Exportchancen, die wir als deutsche Industrie haben. Das mögen auch noch mal 60 bis 80 Milliarden Euro sein. Die Zahlen sind relativ konkret, wir führen ja gerade ein Kompetenzprojekt "Energiewende" durch beim BDI, werden die Ergebnisse im März veröffentlichen, da kommen die Zahlen her. Also wie gesagt, Chancen für die deutsche Industrie, natürlich auch Technologievorsprung: Wir sind sehr weit in der Entwicklung von Technologien für die erneuerbare Energien. All das wird aber nur als Chance auch zu realisieren sein, wenn wir als Industrie diese Energiewende überstehen und sie richtig hinbekommen – gemeinsam mit der Politik und allen Beteiligten. Und das ist die große Herausforderung.

    Reimer: Sie hören das Interview der Woche mit Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI, im Deutschlandfunk. Herr Grillo, Sie stehen seit dem 1. Januar an der Spitze des BDI. Das ist ein Verband, wo ein Teil der Unternehmen wahrscheinlich erheblich von der Energiewende profitiert, und ein anderer Teil hat erhebliche Bauchschmerzen. Müssen Sie die Energiewende oft verteidigen nach innen hinein?

    Grillo: Der BDI ist eine Organisation, die verschiedene Branchen vereinigt, die verschiedene Technologien dadurch vereinigt, die natürlich auch verschiedene Interessen vereinigt. Wir sind nicht dafür da, Einzelinteressen zu vertreten, sondern wir versuchen, wir haben die Aufgabe, die Zukunft der gesamten deutschen Industrie zu positionieren, zu verteidigen, zu ermöglichen. Und da gibt es Einzelinteressen, die einzelne Verbände, die einzelne Unternehmen sicherlich auch selbstständig vertreten. Die Aufgabe des BDIs und des BDI-Präsidenten ist es, diese Interessen zu kombinieren. Und das werden wir auch in den nächsten Jahren, auch bei diesen schwierigen Themen wie der Energiewende hinkriegen.

    Reimer: Apropos Verteidigung: Sie haben der Bundeskanzlerin bei ihrem Europakurs immer den Rücken gestärkt wie Ihr Vorgänger Hans-Peter Keitel. Sie waren niemals dafür, Griechenland jetzt aus dem Euro herauszuwerfen. Jetzt ist Zypern dazugekommen, ganz strittig, laxer Umgang: Thema Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Steuerdumping. Ist die Schmerzgrenze jetzt erreicht?

    Grillo: Also, es ist nicht meine Aufgabe festzustellen, wann und ob die Schmerzgrenze erreicht ist oder nicht. Zypern muss man sich sicherlich genau angucken. Ob Zypern systemrelevant ist oder nicht, damit haben sich schon andere intensiv mit beschäftigt. Es kann natürlich nicht sein, dass Gelder der EU Richtung Zypern und dann weiter in andere Richtungen fließen. Das heißt, wir müssen das EU-System arbeitsfähig erhalten. Nach wie vor muss das Prinzip gelten: keine Leistung ohne Gegenleistung, keine Leistung ohne Kontrolle. Und das werden wir sehr genau analysieren müssen. Aber ich bin schon der Meinung, dass es richtig war, Griechenland zu stützen. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass die Anstrengungen, die Maßnahmen, die auch die Bundeskanzlerin getroffen hat, die die Regierung getroffen hat, richtig sind und dass der Euro so wichtig ist, dass er uns ein wichtiges Gut ist und dass wir ihn verteidigen müssen und erhalten müssen.

    Reimer: Staaten, die sehr stark auf die Finanzwirtschaft gesetzt haben, haben in den letzten Jahren einen erheblichen Dämpfer erlitten oder sie sind wie Irland richtig auf die Nase gefallen. Empfinden Sie Genugtuung, dass jetzt die Industrie, die ja so ein bisschen das Image "altmodisch" hatte, diejenige ist, die die Wirtschaft stabilisiert?

    Grillo: Nein, Genugtuung überhaupt nicht. Wir haben als Deutsche nichts davon, dass unsere europäischen Partnerländer schwächeln, wenn wir im Moment – und ich betone im Moment – vielleicht etwas stärker sind. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Wir in Deutschland haben eine Quote der Industrie am Bruttosozialprodukt von immerhin 23 Prozent derzeit, zusammen mit den abhängigen industrienahen Dienstleistungen rund 33 Prozent. Damit liegen wir an der Spitze gegenüber unseren europäischen Ländern, aber auch gegenüber Nordamerika zum Beispiel, wo der Anteil bei rund 13 Prozent liegt. Frankreich ist stark abgefallen. Also noch mal: keine Genugtuung. Ganz im Gegenteil. Wir müssen es versuchen und unseren Einfluss nutzen, dass wir insgesamt in Europa wieder wettbewerbsfähiger werden, das heißt: den Anteil der Industrie am Bruttosozialprodukt auch der Partnerländer wieder steigern. Natürlich nicht zulasten von Deutschland, denn es ist keinem Land geholfen in Europa, wenn Deutschland schwächer wird. Also wir müssen versuchen, die anderen europäischen Partnerländer zu stärken.

    Reimer: In punkto Ursachenbekämpfung der Finanzkrise sehen Sie aber zum Beispiel die Pläne, ein Trennbankensystem einzuführen, kritisch, obwohl das ja eigentlich als vorbeugende Maßnahme gilt, um den Eigenhandel, also risikoreichere Geschäfte, von dem normalen Kundengeschäft zu trennen.

    Grillo: Wir können lange darüber diskutieren, welche Gründe denn für die Wirtschafts- und Finanzkrise ursächlich sind. Das sind nicht nur die Banken, das ist sicherlich auch das Thema Verschuldungskrise, und da haben die Banken nur mittelbar dran gearbeitet. Ich glaube, wir brauchen . . .

    Reimer: . . . wir hatten aber zuerst eine Bankenkrise.

    Grillo: Wir hatten eine Bankenkrise, das waren aber keine Universalbanken, die in die Krise gegangen sind, sondern das waren Spezialbanken. Lehman Brothers war schon eine Spezial-Investmentbank, in Deutschland hatten wir die IKB, das war auch keine Universalbank, und die Commerzbank hat sicherlich auch Probleme gehabt, aber dann ursächlich infolge von anderen Bankenzusammenbrüchen, nicht ursächlich, dass die Commerzbank ein Problem gehabt hat. Also, ein starker Industriestandort in Deutschland braucht auch starke Banken. Da gibt es auch keinen Zweifel dran. Und das müssen wir ermöglichen. Ich glaube, das Trennbankensystem diese Diskussion ist nicht zielführend. Wir brauchen starke Banken, starke mit Eigenkapital unterlegte Banken. Das heißt, die Tendenzen Basel III, mehr Eigenkapital, mehr Sicherheit in den Bankenraum, ich glaube, das ist das Richtige. Aber das Aufteilen von Bankgeschäften ist, glaube ich, nicht zielführend, es ist auch schwierig. Was ist sozusagen Handel, was ist normales Bankgeschäft? Wir brauchen auch als Industrie

    Absicherung, wir brauchen Derivate, wir brauchen den Handel. Also insofern lieber starke Banken mit einer guten Eigenkapitalunterlegung. Dass man natürlich das Thema Eigenhandel, was sehr stark in der Kritik steht, wenn man den Eigenhandel reduziert oder abschafft im Rahmen des Möglichen, ich glaube, dann ist viel mehr geholfen verbunden mit einer Eigenkapitalstärkung als ein Trennbankensystem.

    Reimer: In den letzten Tagen war die Rede oder gab es Sorge, Warnung vor einem Weltwährungskrieg. Die japanische Zentralbank betreibt eine sehr großzügige Geldpolitik. Der Kurs des Yen sinkt dadurch, die Exportchancen werden besser. In den USA sind die Strategien vielleicht andere, aber das Resultat ist ähnlich. Ab welchem Dollar-Euro-Verhältnis wird`s Ihnen mulmig als Präsident eines Verbandes, der sehr stark exportorientiert ist?

    Grillo: Also ich finde schon das Wort 'Weltwährungskrieg' nicht passend. Das ist mir viel zu martialisch. Natürlich ist der Wechselkurs eine wichtige Komponente im internationalen Wettbewerb, aber ich glaube auch, die Gespräche der G7-Länder in den letzten Tagen haben dazu geführt, etwas – und jetzt verwende ich diese Redensart doch – abzurüsten sozusagen. Wichtig ist, dass der Markt funktioniert, eigentlich die Börse die Wechselkurse bestimmt. Und welcher Kurs richtig und welcher falsch ist, das kann man nicht sagen. Das ist Aufgabe der Börse. Da spiegelt sich auch die Stärke einer Volkswirtschaft wider beim Börsenkurs. Wir dürfen nicht vergessen, wir hatten mal einen Dollar-Euro-Kurs von 1,60, wir hatten auf mal einen von 1 Euro. Welcher ist richtig? Das kann man nicht sagen. Wir müssen uns anpassen. Und ein starkes Land, ein starker Euro wird dazu führen, dass auch die Volkswirtschaften gesunden. Das ist ein gewisser Druck, also insofern ist es gar nicht verkehrt. Wichtig ist, dass die Märkte frei agieren können und dass sich der Wechselkurs idealerweise an freien Märkten bildet. Natürlich, die Japaner fluten im Moment die Industrie mit viel billigem Geld. Das führt dazu, dass der Yen schwächelt. Das führt dazu, dass dadurch die japanische Industrie gefördert wird. Aber ich glaube, man sollte wieder zurückfinden zu normalen Verhältnissen. Und ich glaube, da gibt es auch Tendenzen und den Willen, das hinzukriegen.

    Reimer: Freie Märkte: Der BDI hat die Ankündigung Obamas für eine Freihandelszone mit den Europäern stark begrüßt. Das ist ja auch von Angela Merkel sehr stark betrieben worden. Der Kölner Wirtschaftswissenschaftler Max Otte hat sich am Donnerstag im Deutschlandfunk kritischer geäußert. Er hat die Sorge ausgedrückt, dass die USA in vielen Bereichen niedrigere Standards haben, Umwelt-, Sozialstandards, auch im Bereich E-Commerce, Datenschutz. Die Sorge: Man einigt sich auf den kleineren Nenner, auf die niedrigeren Standards. Berechtigt?

    Grillo: Also, ich glaube, die Diskussion und die Verhandlungen, dass wir sie jetzt anfangen, ist sehr positiv zu bewerten. Wir haben gemeinsam ein solches Volumen – wir dürfen nicht vergessen, dass wir immerhin fast 50 Prozent des Welthandels in Nordamerika und Europa vereinen. Das heißt, wenn wir da Kräfte freisetzen, dann gibt es verschiedene Berechnungen. Der eine sagt, das führt zu einem Wirtschaftswachstum um 1,5 Prozentpunkte, 200 Milliarden zusätzlicher Welthandel. Also das sind Zahlen, die es interessant machen.

    Reimer: Wachstum sagt aber nichts über Standards aus.

    Grillo: Völlig klar, völlig richtig. Wir müssen natürlich dann die Karten auf den Tisch legen und wir müssen die Einzelheiten durchdiskutieren. Das wird kein leichtes Unterfangen. Es gibt auch ein paar Vorschläge in der Öffentlichkeit von einigen Fachleuten, vielleicht einige kritische Punkte rauszunehmen. Das finde ich eigentlich nicht zielführend. Ich glaube, wir sollten alles auf den Tisch legen, alles verhandeln. Es gibt vielleicht hier und da Bereiche, wo die europäischen Standards normhöher sind, aber es gibt sicherlich auch Bereiche, wo die amerikanischen Standards und Normen höher sind. Das muss man verhandeln und da muss man eine Lösung finden und das wird einen erheblichen Einigungsdruck verursachen. Aber ich glaube, dieser Übung müssen wir uns einfach stellen. Und das ist eigentlich zum Vorteil von beiden Wirtschaften.

    Reimer: Viele Knackpunkte sind im Bereich der Landwirtschaft. Wir sehen an dem Pferdefleischskandal, wie empfindlich hier die Öffentlichkeit reagiert, wenn an der Qualität von Lebensmitteln etwas nicht stimmt. Die US-Amerikaner behandeln Hühnchen mit Chlor, setzen auf gentechnisch veränderte Lebensmittel in viel stärkerem Ausmaß. Sollte man die Landwirtschaft vielleicht von vorneherein ausschließen?

    Grillo: Ich glaube wir wollen, die Amerikaner genauso wie die Europäer, wollen gesunde Nahrung essen und vernünftige Nahrung essen. Und das Beispiel von chlorbehandelten Hühnchen, das ist ein Lieblingsbeispiel auch von der Bundeskanzlerin, das sie immer gerne erwähnt. Alle diese Themen müssen wir diskutieren. Aber noch mal, ich glaube, die Amerikaner haben kein Interesse daran, schlechte Lebensmittel zu essen, und wir genau so. Also auch da werden wir Lösungen finden. Sie haben vorgeschlagen, diese Themen Agrar und Lebensmittel vielleicht rauszunehmen. Das Gegenteil sollten wir machen meines Erachtens. Jetzt haben wir einen gewissen Einigungsdruck, um hinzukommen. Und wenn wir den Einigungsdruck reduzieren, indem wir die kritischen Punkte rausnehmen aus den Verhandlungen, glaube ich, das ist nicht zielführend. Wir sollten versuchen, auch das zu lösen.

    Reimer: Präsident Obama hat in seiner Rede an die Nation eine schärfere Gangart in Richtung Klimaschutz angekündigt. Und wir haben auch mehrere US-Bundesstaaten, die ein Emissionshandelssystem haben, so wie die Europäer auch. Warum blockiert der BDI in Europa eine Reform des darniederliegenden Emissionshandels?

    Grillo: Wir blockieren überhaupt nicht eine Reform des Emissionshandels.

    Reimer: Aber Sie tun auch nichts dafür.

    Grillo: Das Thema Emissionshandel ist ein wichtiges Instrument. In meinem Diplom in Münster, wo ich studiert habe, habe ich meine Diplomarbeit über das Thema Emissionshandel interessanterweise geschrieben. Ich wusste natürlich nicht, dass ich 30 Jahre später mich mit diesem Thema an dieser Stelle hier beschäftigen kann. Der Emissionshandel ist ein wichtiges Instrument. Die niedrigen Preise, die im Moment viele Leute erwähnen, zeigen ja eigentlich, dass das System funktioniert. Das System funktioniert, das heißt, die Unternehmen haben eine ganze Menge investiert, um ihre Emission zu reduzieren. Die brauchen also weniger Zertifikate. Das heißt, das System funktioniert. Dass natürlich auch durch einen Rückgang der Wirtschaft weniger Zertifikate im Moment gebraucht werden, ist auch so, insofern sind die Preise jetzt sehr niedrig.

    Reimer: Sie sind extrem niedrig. Und es lag nicht nur am Rückgang der Wirtschaft, sondern es lag auch daran, dass die Emissionsrechte zu großzügig ausgegeben worden sind.

    Grillo: Darüber kann man streiten. Es lag vor allen Dingen daran – das habe ich gerade erwähnt, ich wiederhole es gerne noch mal – es lag auch daran, dass die Industrie ihre Hausaufgaben gemacht hat. Das heißt, dass sie Emissionen mehr als ursprünglich geplant reduziert hat - durch Investitionen. Jetzt die Industrie zu bestrafen, indem man jetzt einfach in den Markt eingreift, wieder in den Marktmechanismus eingreift, um die Preise zu erhöhen, ist – glaube ich – das Falsche.

    Reimer: Es gibt ja noch ein anderes Problem.

    Grillo: Warum müssen wir denn verknappen? Warum müssen wir denn schon wieder in den Marktmechanismus eingreifen? Also ich bin für freie Märkte und nicht immer für den Eingriff in freie Märkte.

    Reimer: Damit ist aber auch das Energiewendeprojekt gefährdet, die Finanzierung. Immerhin sollte aus den Erlösen des Emissionshandels ein Fonds finanziert werden, über den wir Elektromobilität, Gebäudesanierung bezuschussen. Das heißt, die Bundesregierung muss sich da nach neuen Einnahmequellen umschauen.

    Grillo: Wir haben eingangs des Gesprächs darüber diskutiert, dass das Thema Kostenbremse, das Thema Wirtschaftlichkeit, das Thema Bezahlbarkeit der Energiewende ein Gesamtprojekt ist. Wir werden im März Vorschläge machen, wie wir das angehen. Wir müssen es gesamthaft angehen, wir dürfen nicht immer wieder Stückwerk betreiben und hier mal eingreifen und da mal eingreifen. Wenn wir jetzt in dieses System eingreifen würden und versuchen, da höhere Geldquellen zu erschließen, haben wir schon wieder in den Marktmechanismus eingegriffen. Also wir dürfen nicht an einer Stelle mal drehen, an der anderen Stelle mal drehen. Wir müssen das Gesamtsystem intelligent optimieren. Und ich glaube, das ist wichtig und da sollten wir nicht Einzelmaßnahmen betreiben.

    Reimer: Sie hören das Interview der Woche mit Ulrich Grillo, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI, im Deutschlandfunk. In zweieinhalb Wochen beginnt in München die Handwerksmesse. Da treffen sich traditionell am Rande dieser Veranstaltung die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, also der BDI, der Spitzenverband des Handwerks, die Arbeitgeber und der DIHK mit der Kanzlerin. 2012 lautete unser Deutschlandfunk-Titel für dieses Treffen 'Enttäuschte Liebe – Spitzenverbände kritisieren Wirtschafts- und Energiepolitik der Kanzlerin'. Was können wir dieses Jahr titeln, im Wahljahr?

    Grillo: Ich habe mich jetzt mit meinen drei Kollegen nicht abgestimmt über den Titel dieses Gesprächs, aber ich glaube, wir könnten jetzt im Wahljahr titeln: ‚Es gibt genug Herausforderungen, es gibt große Herausforderungen, lassen Sie sie uns gemeinsam angehen mit der Bundeskanzlerin, mit den beteiligten Ministern und mit allen Beteiligten in der Politik, auch in der Opposition‘. Ich glaube, wir haben so viele Zukunftsthemen, die wir hinkriegen müssen, dass wir hoffentlich einen kurzen Wahlkampf haben und dann über die wesentlichen Themen nachdenken und nicht nur wahlkampfgetrieben, sondern sachgetrieben die richtigen Maßnahmen einleiten.

    Reimer: Was wünschen Sie sich von der nächsten Bundesregierung?

    Grillo: Meine Aufgabe ist es, sich für die Zukunft der deutschen Industrie, für den Standort Deutschland und auch natürlich für die europäische Industrie einzusetzen: dass sich die zukünftige Regierung auch für die Zukunft der deutschen Industrie einsetzt, die richtigen Maßnahmen, die richtigen Rahmenbedingungen betreibt.

    Reimer: Welche ganz konkret?

    Grillo: Ja, das ist natürlich unser Thema Energiewende, das haben wir schon viel besprochen. Das ist das Thema Steuersystem, nicht nur Vereinfachung des Steuersystems, sondern auch vor allen Dingen Vermeidung von Substanzsteuern, die in Verbindung mit der Ertragssteuer zu einer Steuerbelastung bei mittelständischen Betrieben personenbetrieben bis zu 80 Prozent betragen kann. Ich glaube, das ist investitionsfeindlich. Thema Investition: Wir müssen Rahmenbedingungen verbessern, wir müssen die Bürokratie abbauen, wir müssen Planungsverfahren vereinfachen, wir müssen also mehr Investivmaßnahmen ermöglichen. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Bereich, wo Unternehmen und Industrie mit der Politik gemeinsam viel bewegen können. Wir müssen Flexibilität gewinnen, also es gibt genug Punkte, wo wir eigentlich besser werden können. Denn wir dürfen uns nicht täuschen: Natürlich ist Deutschland im Moment ganz gut unterwegs, ganz gut in Form, auch im Vergleich zu den europäischen Partnerländern. Aber wir wissen eigentlich auch als Unternehmer: Wir müssen jeden Tag wieder um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Und das ist immer wieder ein neuer Angang. Wenn wir es nicht tun, dann wachen wir übermorgen auf und haben unsere gute Position verloren.

    Reimer: Muss es ein Energieministerium geben?

    Grillo: Wichtig ist: Wenn wir so ein Projekt in der Industrie starten würden, dann hätten wir eine Verantwortlichkeit und keine Kompetenzstreitigkeiten, sondern eine Verantwortlichkeit und eine straffe Projektführung. Das müssen wir gewährleisten. Wenn das durch ein Energieministerium oder durch eine Zuständigkeit erreicht werden kann, dann ist das zu begrüßen. Oder es gibt eben zwei Ministerien, die eng zusammenarbeiten. Das ist auch möglich, aber wichtig ist, dass es eine Verantwortlichkeit gibt, dass man eine straffe Projektführung hat.

    Reimer: Die Grillo-Gruppe hat eine vergleichsweise hohe Frauenquote. Ihre Aufsichtsratsvorsitzende Gabriela Grillo kommt allerdings aus dem Familienzweig mit den größten Unternehmensanteilen. Die Bertelsmann-Patriarchin Liz Mohn oder auch Ursula Pierch im Aufsichtsrat von VW haben eingeheiratet. Da drängt sich der Schluss auf, dass bei Frauen in solchen Positionen die Verwandtschaftsbande, Vertrauensbande, Erfahrung wichtiger sind als vielleicht gute Zeugnisse und Qualifikationen. Warum ist das bei Männern anders?

    Grillo: Also, ich glaube, wenn man mal die Zahlen sprechen lässt: In den DAX-Konzernen haben wir mittlerweile immerhin 20 Prozent, über 20 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen…

    Reimer: ….langsam bewegt es sich…

    Grillo: …es bewegt sich gar nicht so langsam, wie Sie denken. In den letzten zwei Jahren stellen wir fest - Zahlen in den DAX-Konzernen -, die Aufsichtsratsbesetzungen in den letzten zwei Jahren sind immerhin über 40 Prozent Frauen. Und die sind mit Sicherheit nicht alle verwandt oder verschwägert mit den Eigentümern, sondern das sind ganz normale erfahrene, erfolgreiche Frauen aus der Wirtschaft, die diese Jobs annehmen. Also insofern zeigt es ja eigentlich nur, es funktioniert. Es funktioniert vor allen Dingen qua Qualifikation. Wir müssen die qualifizierten Frauen haben, die wir dann gerne auch in die Aufsichtsräte, in die Vorstände nehmen. Die kann ich aber nicht per Gesetz befehlen, verkünden, sondern die müssen ausgebildet werden, die müssen sich entwickeln. Und ich glaube, die Zahlen, die ich gerade genannt habe, zeigen ja eigentlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

    Reimer: Werden wir den Tag erleben, dass der BDI sich für eine Frauenquote einsetzt?

    Grillo: Der BDI setzt sich auch für eine Frauenquote ein, aber für eine freiwillige Frauenquote. Aber wir brauchen keine gesetzliche Quote, weil sie zu nichts führt. Also insofern ist der BDI selbstverständlich für eine Erhöhung des Anteils der Frauen in den entsprechenden Gremien. Aber wir brauchen die qualifizierten Frauen. Ich glaube, wir tun keinem einen Gefallen, wenn wir einfach nur qua Geschlecht einfach aufteilen, sondern wir müssen die qualifiziertesten Damen und Herren in die Aufsichtsräte, in die Vorstände der Unternehmen bekommen.

    Reimer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.