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Keiner kommt

1984 in einem südpolnischen Beskidendorf geboren, legte Miroslaw Nahacz schon als Abiturient seinen viel beachteten Erstling "Acht vier" vor - das Porträt einer nervösen jungen polnischen Generation, die sich aufmachen muss, ihre eigenen Lebensträume und -ziele zu verfolgen. Die Kritik ist beeindruckt. Wegen seines originellen Stils und seiner subtilen Sprache zählt sie Nahacz zum wichtigen Vertreter einer neuen polnischen Schriftstellergeneration - ohne Pathos, Prüderie und Patriotismus. Ein Jahr später erscheint sein zweiter Roman mit dem Titel "Bombel". 2005 legt er seinen letzten Roman "Lola und der Storch" vor. Erst 23 Jahre alt, begeht Nahacz im Juli 2007 in seiner Warschauer Wohnung Selbstmord. Der "echte" Bombel, das reale Vorbild für seine Hauptfigur, hat seinen Autor überlebt. "Bombel" ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Von Michaela Schmitz | 22.12.2008
    Gewartet wird immer. Auch Bombel an seiner Haltestelle wartet. Auf die nächste Zigarette, auf einen Schluck Wodka oder eine Flasche Wein, auf den Bus oder seinen Freund Pietrek. Aber nichts geschieht. Keiner kommt. Die Zeit steht still. Bombel bleibt allein. So allein, als gäbe es keine anderen Menschen mehr im Dorf. Gleichermaßen unfähig, wegzugehen und zu bleiben, zum Warten verurteilt, vertreibt er sich seine Zeit mit Geschichten. Aber es gibt keinen Zuhörer. Also spricht Bombel mit sich selbst. Es ist ein clownesker und zugleich tragischer Monolog.

    "Ich rede mit mir selber, wahrscheinlich bin ich schon total übergeschnappt, aber es ist weit und breit niemand da (...) Denn ich hab da irgendwelche Schikanen, was mit dem Kopf, irgendwas haben die festgestellt, das heißt, auf den ersten Blick ist alles in Ordnung, aber wenn man genauer hinsieht, stellt sich raus, dass ich dafür Rente kriege, und die ganze polnische Bevölkerung legt jeden Monat zusammen, damit ich (...) Geld vom Briefträger kriege (...). Ja, manchmal tröste ich mich damit, dass ich echt wichtig bin."

    Bombels Armut ist eine Reduktion der Figur auf das Wesentliche und eine Reduktion auf ein Nichts durch die Welt. Er hat sich seine Unschuld bewahrt und trägt sie in die Welt des Gesetzes, der Unterdrückung und des Profits hinein. Mit linkischen Worten stellt Bombel die bestehende Realität in Frage. Aber mit seinen Zweifeln und Ängsten ist er nicht allein. Aus seiner Einfältigkeit spricht die fundamentale Idiotie der menschlichen Natur. Mit seinem Gerede gibt er der metaphysischen Angst des Menschen Ausdruck. Der arme, dumme Bombel an seiner Haltestelle ist Teil einer Welt universellen Missverständnisses und universeller Anonymität. Denn wartet nicht jeder ständig auf irgend jemanden, der nie kommt, auf irgend etwas, das niemals eintritt?

    "Eins, zwei, drei und sogar vier, und nichts tut sich, und es ist möglich, daß wir entgegen allem Anschein minus null haben und außer der Pfütze auch die Zeit gefroren ist (...), daß zum Beispiel die Zeit um die Haltestelle herum jetzt ein Kristall ist, das alles widerspiegelt, was schon stattgefunden hat, und die Zeit innerhalb der Haltestelle ist ein totaler Spiegel, der außer diesem Kristall auch das widerspiegelt, was ich im Kopf habe. Und deshalb bin ich von dieser abartigen Quatscherei befallen."

    Ein Selbstgespräch im Leerlauf. Aber wenn Bombel redet, so der Schriftsteller Stasiuk in seinem Nachwort, siegt er über das Nichts. Denn in seinen Geschichten ist er nicht der arme Dorfidiot, dem die Kinder schon von weitem "Hallo Bombel" entgegenschreien. In seinen Geschichten ist Bombel ein Held. Da verführt er Frauen und fährt schnelle Autos. So einer ist Bombel. In Wirklichkeit stolpert der liebenswerte Bombel wie ein Fremder durch die reale Welt. Mit seiner Tölpelhaftigkeit handelt er sich tausenderlei Ungemach ein. Egal, ob er auf die nächste Flasche aus ist oder die Nähe langbeiniger Mädchen sucht. Bombels tägliche Mühe, Trinkbares aufzutreiben, und seine Anstrengungen in Liebesdingen sind zum Sterben traurig - aber man stirbt vor Lachen. Über seine tragikomischen Abenteuer entsteht eine molièresche Heiterkeit an der defekten Welt. Denn "Nichts ist komischer als das Unglück", wusste schon Samuel Beckett. Seine Clochard-Clowns und ihr bis zur Lächerlichkeit getriebenes Elend haben viel Ähnlichkeit mit Bombel. Und noch etwas haben ihre Figuren gemeinsam: Die Unmöglichkeit zu sprechen, die Unmöglichkeit zu schweigen, und die Einsamkeit.

    "Na, aber ich weiche schon wieder ab, schon wieder trägt es mich woandershin, ich rede, als würde in mir ein Wind wehen, und offensichtlich weht er ständig neue Gedanken in meinen Kopf und bringt diejenigen durcheinander, die eigentlich halbwegs geordnet sind, er macht totales Chaos, (...) und ständig kommt was Neues, etwas, was ich noch nicht gesagt habe und von dem ich nicht einmal wußte, daß ich es sagen will."

    Das Ich behauptet sich gegen das Nichts in Gestalt einer Stimme - einer Stimme, die mit den Worten eines anderen spricht. Bombel ist dazu verurteilt zu sprechen und zu warten: auf die nächste Zigarette, auf einen Schluck Wein, auf Pietrek oder den lieben Gott. Die heilige Muttergottes ist Bombel sogar einmal im Delirium erschienen. Aber in der Realität ist er ohne himmlischen Schutz der Unbill von Zigeunern und Dieben und der Willkür der Obrigkeit ausgesetzt. Im Gegenteil: Apokalyptisches Feuer und endzeitliche Fluten verheeren das Dorf und kündigen den Weltuntergang an. Doch kurz vor dem Ende ist Bombel fast so, als würde ihm jemand zuhören, als würde ihn etwas belauschen, als höre er irgendein Rauschen. Bombel weiß, er wird bald endgültig aufhören müssen zu reden. Aber vorher schaut er noch nach, ob da nicht doch zufällig ein Weinchen oder eine Zigarette versteckt ist, für unterwegs.

    Miroslaw Nahacz gelingt es in seinem Roman, die ganze Tragik des existenziell verwirrten Menschen in das einfältige und liebenswerte Selbstgespräch Bombels zu kleiden; in ganz stillen Worten und gleichzeitig rührend und im Wortsinn herzzerreißend komisch. Mit extrem wenigen Mitteln gibt er in "Bombel" der zweifachen Aussichtslosigkeit Ausdruck: der Unmöglichkeit, zu sprechen und zu schweigen, zu bleiben und wegzugehen, ganz da und ganz abwesend zu sein.

    Miroslaw Nahacz: Bombel
    Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
    Nachwort von Andrzej Stasiuk
    Weissbooks 2008. 180 Seiten, 18,80 EUR.