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Keitel: Einige Länder müssen vorausgehen

Bei den G20-Verhandlungen in Kanada geht es hauptsächlich um die Regulierung der Finanzmärkte. Wenn es nicht gelinge, sich auf gemeinsame Kriterien zu einigen, müsse es notfalls einen Alleingang Europas geben, sagt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel.

Von Hans-Peter Keitel | 25.06.2010
    Friedbert Meurer: Letzte Woche war es, da schrieb US-Präsident Barack Obama einen Brief an alle Staats- und Regierungschefs, die am G-20-Treffen in Toronto in Kanada teilnehmen. In diesem Brief schreibt er, oberste Priorität muss sein, den Aufschwung abzusichern und zu stärken. Allgemein wurde das ganz klar so verstanden, Deutschland und andere Länder sollen das Sparen verschieben und stattdessen erst einmal mehr für die Konjunktur tun. Zu debattieren gibt es also genug in Toronto.

    Pro Land, das zu den sogenannten G-20-Staaten gehört, werden auch je zwei Wirtschaftsvertreter dabei sein. Einer davon auf deutscher Seite ist Hans-Peter Keitel, der Präsident des BDI, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Heute fliegt er also nach Toronto. Guten Morgen, Herr Keitel.

    Hans-Peter Keitel: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Um mit Konjunktur und Weltwirtschaft zu beginnen: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass wir die deutschen Exporterfolge auf dem Rücken anderer Länder austragen?

    Keitel: Zunächst ist es ja doch sicherlich so, dass anders als in China in Deutschland Export sicherlich nicht irgendwo verordnet worden ist, sondern es ist der Erfolg vieler einzelner Unternehmen, die offensichtlich Waren erzeugen, die weltweit gefragt sind, und eines möchte ich für diese Unternehmen in Anspruch nehmen, dass die ganz genau wissen, ein Exporterfolg lässt sich nicht auf lange Sicht erzielen, wenn man nicht in Partnerschaften mit seinen Kunden arbeitet. Deshalb gehe ich mal davon aus, alle diese Unternehmen wissen sehr genau, dass sie etwas dafür tun müssen, dass das keine einseitige Geschichte ist.

    Ich will aber, weil Sie es in der Anmoderation auch gesagt haben, oder in dem Beitrag vorhin, ruhig darauf hinweisen. Jawohl, wir müssen auch in der Binnenwirtschaft etwas tun, aber nicht durch staatliche Hilfe, nicht im Konsum, durch entsprechende Investitionen, für die es auch privates Kapital gibt. Auch hier können wir deutlich für eine Entlastung unserer Außenhandelsbilanzen sorgen.

    Meurer: Wer soll denn dafür sorgen? Soll es dafür beispielsweise Steuererleichterungen, Steuersenkungen geben, um diese Investitionen anzuschieben?

    Keitel: Es geht häufig nur darum, dass wir in der Regulierung die Dinge etwas einfacher machen, für die Industrie beispielsweise in der Kommunikation. Wir können aber auch darüber reden, den Begriff der public private partnership zu entdämonisieren und vernünftig darüber zu reden, hier dieses private Kapital in die Infrastruktur der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

    Meurer: Die Amerikaner weisen darauf hin, Herr Keitel, vom Konjunkturprogramm in den USA profitiere doch auch die deutsche Industrie. Könnte also umgekehrt, müsste umgekehrt der fairnesshalber nicht auch Deutschland Anreize setzen, damit ausländische Exporteure profitieren?

    Keitel: Ich glaube, die Wirtschaft ist an der Stelle wesentlich vernünftiger, als die Diskussion im Moment das öffentlich darstellt. Wir haben uns mit unseren Kollegen in Europa vor kurzem im Rahmen der Ratspräsidentschaft der Spanier in Madrid getroffen, das waren 34 europäische Länder. Wir haben uns im April zur Vorbereitung der G-8 in Ottawa mit unseren Kollegen aus USA, aus Japan, aus Russland getroffen. Bei beiden Gelegenheiten haben wir einstimmig Resolutionen verabschiedet, die sehr nahe an der deutschen Position liegen, nämlich jetzt für Stabilität zu sorgen, sich daran zu erinnern, dass der Ausgang der Krise – den Begriff Subprime hat ja heute kaum jemand mehr präsent – in einem aufgeblähten Investitions- und Subventionsprogramm lag. Das heißt, die Wirtschaft, die eigentlich ja diejenigen wären, die angeblich für Subventionen kämpfen müssten, sagt nein, lasst uns jetzt in ordentlichem geordneten Maß mit Augenmaß das Ganze wieder zurückführen.

    Meurer: Das sagt möglicherweise die Wirtschaft, wie Sie zitieren, aber wir erinnern uns an die französische Wirtschaftsministerin, die ähnlich argumentiert hat wie jetzt US-Präsident Barack Obama. Ist das Neid gegenüber deutschen Exporterfolgen?

    Keitel: Nein. Es ist eine Auseinandersetzung, die wir ja auch aktiv aufgenommen haben. In diesen Zirkeln sind ja unsere französischen Kollegen zum Beispiel auch dabei. Hier werden die Punkte offen angesprochen und hier gibt es einen, wo ich freimütig bekenne, wo auch wir dazugelernt haben. Das ist die Frage, wie wir in Europa beispielsweise unsere Wirtschaftspolitiken zusammenführen, wie wir sie in eine gewisse Konvergenz bringen. Das ist im Deutschen leider der etwas unglücklich übersetzte Begriff der Wirtschaftsregierung ...

    Meurer: Für die Sie plädieren?

    Keitel: Bitte!

    Meurer: Für die Sie plädieren, Herr Keitel?

    Keitel: Nein. Ich plädiere für das, was man im Englischen Governance sagt, nicht für Goverment, sondern für Governance, das heißt eine Koordinierung der Wirtschaftsbemühungen, und hier kämpfen wir allerdings immer noch dafür, dass das Grundverständnis die Ordnungspolitik ist, dass also die Politik den Rahmen setzt, innerhalb derer sich Wirtschaftsgeschehen dann auch im freien Spiel der Kräfte vollziehen.

    Meurer: Läuft das doch darauf hinaus, dass die anderen das deutsche System übernehmen sollen?

    Keitel: Nein, das ist es nicht, sondern ich glaube, wir sind dort – und das haben die Franzosen und andere auch ganz genau so gesehen – ein gutes Stück im Verständnis entgegengekommen, nicht nur Finanzstabilitätspolitik zu machen, sondern die Grundzüge der europäischen Wirtschaftspolitik ebenfalls abzustimmen. Das ist für Deutschland durchaus auch eine neue Aussage und wenn wir das dann ebenfalls mit Augenmaß tun, nämlich nicht im Sinne einer gesamten Regierung, die ja dann auch wiederum ganz neue Strukturen bedingen würde, sondern indem wir uns vernünftig abstimmen, was also Governance heißt, dann halte ich das für richtig.

    Meurer: Ich spreche mit Hans-Peter Keitel, dem BDI-Präsidenten. – Herr Keitel, die Bundeskanzlerin hat schon gesagt, in Toronto wird wohl nichts Konkretes beschlossen werden, um die Finanzmärkte zu regulieren. Wie groß aber ist das Interesse der deutschen Industrie daran, dass die Finanzmärkte nicht einem Kasino gleichen?

    Keitel: Zunächst einmal finde ich es gar nicht so schlecht, dass die Erwartungen nicht zu hochgeschraubt sind. Vielleicht nehmen wir das auch mal als ein gutes Zeichen, dass wir anschließend hoffentlich auch positiv überrascht sind doch von dem einen oder anderen, was konkret dabei herauskommt.

    Wir als Industrie, als Wirtschaft plädieren vehement dafür, dass wir einen Finanzrahmen schaffen, in dem alle die Geschäfte, die sich von der realen Wirtschaft abkoppeln, die ihre Bedeutung in sich selbst haben, dass diese Geschäfte erschwert werden, dass sie transparent gemacht werden müssen, ich sage auch, dass sie entschleunigt werden müssen, dass es nicht mehr durch kleine Auslöser zu großen Verwerfungen beispielsweise an den Börsen kommen kann, dass wir Teile dieses Geschäftes auch verbieten, regulieren, durch entsprechendes Kapital unterlegen. Ich halte das für wichtig, dass wir jetzt zu einem Ordnungsrahmen kommen.

    Meurer: Aber Sie sind nicht dafür, zum Beispiel Leerverkäufe zu verbieten. Warum eigentlich nicht?

    Keitel: Man kann Leerverkäufe verbieten. Deutschland hat das ja getan. Man kann darüber diskutieren, ob das genau der richtige Zeitpunkt war. Man kann darüber diskutieren, ob das, wenn das Deutschland alleine macht, überhaupt irgendeine Wirkung hat. Aber es war zunächst mal ein Zeichen.

    Wichtiger finde ich, dass wir, ich sage noch mal, bei allen Geschäften, die nicht konkret unterlegt sind durch die Realwirtschaft, diese Geschäfte deutlich erschweren. Ob wir jedes Mal so weit gehen müssen, sie zu verbieten, das ist eine andere Frage.

    Meurer: Soll dann, wenn in Toronto nichts beschlossen wird, Europa alleine marschieren?

    Keitel: Ja, da bin ich deutlich dafür. Wir haben auch Zeichen aus der Politik, dass genau das geschehen wird, möglicherweise sogar auch nur ein Teil Europas. Wenn wir es nicht schaffen, global diese Dinge jetzt umzusetzen – und hier bin ich in der Tat auch skeptisch -, dann müssen wir, einige Länder vorausgehen und versuchen, hierfür Partner und Verständnis zu gewinnen.

    Meurer: Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Keitel, danke schön und guten Flug nach Toronto. Auf Wiederhören!

    Keitel: Danke, Herr Meurer. Auf Wiederhören!