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Kernfrage

Deutschlands Atomkraftwerke sollen länger laufen, so der Wille der Bundesregierung. Für den Übergang zum Zeitalter der erneuerbaren Energien soll damit Zeit gewonnen werden. Worauf sich die Unterhändler geeinigt haben.

Von Mario Dobovisek | 06.09.2010
    Geht es nach dem in der Nacht errungenen schwarz-gelben Kompromiss, dann werden die 17 deutschen Atomkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre länger am Netzt bleiben, als noch von rot-grün vorgesehen. Dazu werden die Meiler in zwei Gruppen geteilt, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, CDU:

    "Wir haben verabredet, dass ältere Kernkraftwerke eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren erhalten, dass die jüngeren – auch auf einem anderen technischen Standard sich bewegenden – Kernkraftwerke eine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren bekommen. Das macht zusammen im Schnitt 12 Jahre Laufzeitverlängerung."

    Zwischen weniger als zehn und mehr als 20 Jahren bewegten sich die Forderungen nach längeren Laufzeiten innerhalb der Koalition. Die Grenze zwischen beiden Gruppen von Atomkraftwerken zieht Schwarz-Gelb im Jahr 1980. Jene zehn Meiler, die nach diesem Baujahr ans Netz gingen, dürfen länger laufen als die anderen. Wann genau das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet wird, bleibt jedoch weiter offen. Denn die Laufzeit wird in Strommengen umgerechnet – geht ein Atomkraftwerk etwa wegen Wartungsarbeiten vom Netz, verlängert sich dessen Laufzeit automatisch. Mit etwa einer Million Euro zusätzlicher Gewinne je Meiler am Tag können die Betreiber nun rechnen, heißt es. Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU:

    "Es ist sehr gut, dass die Elektrizitätsversorgungsunternehmen auch ihrer Verantwortung gerecht werden und von den Gewinnen, die aus der Laufzeitverlängerung erwachsen, einen substanziellen Beitrag in einen Fonds einspeisen, der für die Weiterentwicklung erneuerbarer Energien dann zur Verfügung steht."

    Ein substanzieller Beitrag für den Ausbau und die Entwicklung erneuerbarer Energien – zu leisten als Sonderabgabe. Diese beträgt jeweils 300 Millionen Euro in den Jahren 2011 und 2012. In den vier darauf folgenden Jahren soll die Abgabe bei jeweils 200 Millionen Euro liegen. Außerdem wird ab dem kommenden Jahr wie geplant eine Kernbrennstoff-Steuer jedes Jahr 2,3 Milliarden Euro einbringen. Schwarz-Gelb plant damit den Bundeshaushalt und das marode Atommülllager Asse zu sanieren. Die Steuer bleibt jedoch auf sechs Jahre befristet - im Anschluss soll es eine Vertragslösung geben. Offenbar ein Entgegenkommen der Bundesregierung, denn E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall waren es, die sich in den vergangenen Wochen für eine solche Vertragslösung ausgesprochen hatten. Insgesamt 30 Milliarden Euro wird die Bundesregierung von den Zusatzgewinnen aus den verlängerten Laufzeiten abschöpfen, rechnet Bundes-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, FDP, im Deutschlandfunk vor:

    "Bisher hat noch kein Land so gewaltige Beträge in diesen Umstrukturierungsprozess, in die regenerativen Energien hineingesteckt wie wir das mit diesem Konzept tun. Das hat schon eine neue Dimension und eine neue Qualität. Insofern kann man schon sagen, dass wir hier eine wesentliche Wegmarke auf dem Weg hin in das regenerative Zeitalter stellen konnten."

    Von einer Revolution in der Energieversorgung spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Atomkraft als Brücke hin zu erneuerbaren Energien. Soll die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken nicht am Bundesrat scheitern, dann muss das neue Gesetz zustimmungsfrei bleiben. Die Kanzlerin betont: die geplanten Laufzeiten bewegten sich im Rahmen, den juristische Gutachten von Innen- und Justizministerium vorgegeben hätten.

    "Insofern bin ich guten Mutes, dass das bei eventuellen Klagen auch Bestand haben wird. Wir glauben, dass dieses Gesetz zustimmungsfrei gemacht werden kann. Wir haben ja auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehabt; im Zusammenhang mit dem Luftsicherheitsgesetz, wo es um vergleichbare Fragen ging."

    SPD und Grüne drohen mit einer Verfassungsklage. Ob die geplante Verlängerung der Laufzeiten von im Schnitt zwölf Jahren also Bestand haben wird, das müssen wohl am Ende die Verfassungs-Richter in Karlsruhe entscheiden.