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Kernkraftwerk Gundremmingen
"Nach und nach kam die Wahrheit ans Licht"

Das Kernkraftwerk in Gundremmingen ist das leistungsstärkste in Deutschland – und das letzte, das wie das in Fukushima einen Siedewasserreaktor hat. Vor 40 Jahren fand hier der schwerste Zwischenfall in einem deutschen Reaktor statt. Heute protestieren Atomgegner vor dem Kraftwerk.

Von Lisa Weiß | 13.01.2017
    Das Atomkraftwerk Grundremmingen mit seinen großen Kühltürmen in einer Luftaufnahme.
    Das AKW Gundremmingen (KKW Gundremmingen)
    13. Januar 1977, ein kalter Wintertag in Bayern. Eisregen fällt auf die Isolatoren der Hochspannungsleitungen, über die das Kernkraftwerk Gundremmingen Elektrizität abgibt. Die Isolatoren brechen; der Reaktor in dem kleinen Ort an der Donau muss vom Netz genommen werden. Dabei kommt es zu einem Kurzschluss. Der Druck im Reaktor steigt, über Ventile entweicht radioaktiver Dampf in die Stahlkugel des Atomkraftwerks. Ein harmloser Zwischenfall, beruhigt der damalige technische Leiter des Kernkraftwerks, Reinhard Ettemeyer:
    "Das Landesamt für Umweltschutz ist seit heute Nacht an Ort und Stelle mit der Überwachung mit Messungen tätig, die Messungen haben, auch das ist vielleicht noch interessant, ergeben, es ist keine Radioaktivität an die Öffentlichkeit hinausgegangen."
    Ganz stimmte das damals nicht, sagt Hubert Weiger vom Bund Naturschutz Bayern. Innerhalb eines halben Tages wurden durchaus radioaktive Stoffe freigesetzt. Allerdings wohl innerhalb der damals gültigen Grenzwerte.
    Erster tödlicher Unfall in deutschem Kernkraftwerk
    "Es ist aber natürlich sehr viel Radioaktivität in die Umgebung gelangt, es wurde bagatellisiert, wurde nicht informiert, gar nichts ist passiert. Und das heißt, der Staat als Unterstützer dieser Entwicklung hat nicht die Bevölkerung geschützt, sondern die Betreiber des Atomkraftwerkes."
    Eines Atomkraftwerkes, das schon vorher negative Schlagzeilen gemacht hatte:1975 starben hier zum ersten Mal in Deutschland Menschen bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk: Bei Wartungsarbeiten verbrühte heißer, radioaktiver Dampf zwei Arbeiter so sehr, dass sie ihre Verletzungen erlagen. Ein Schock für die ganze Belegschaft – den erneuten Zwischenfall im Jahr 1977 sah ein Sprecher des Bayerischen Umweltministeriums erst mal als gar nicht so schlimm an.
    "An sich ist die gesamte Störung sehr positiv abgelaufen. Alle sicherheitsdienenden Geräte und Funktionen haben einwandfrei funktioniert, so dass wir eigentlich keinen Grund haben, traurig über diese Störung zu sein."
    Doch dann entdeckte der TÜV bei Kontrollen Risse an Rohren des Kühlkreislaufes. Es wurde klar: Die Betreiber würden Teile austauschen und ein neues Sicherheitskonzept vorlegen müssen – eine teure Geschichte. Hubert Weiger vom Bund Naturschutz:
    "Nach und nach kam die Wahrheit ans Licht, dass das Reaktorgebäude bis drei Meter unter Wasser stand, dass entsprechend dann auch radioaktive Verseuchung des gesamten Gebäudes eingetreten ist und dass die daraus resultierenden neuen Auflagen so groß waren, dass es nicht mehr ökonomisch war, dieses Kraftwerk weiter zu betreiben."
    Bis 2021 in Betrieb
    Der Reaktor wurde deshalb 1980 endgültig stillgelegt. Auch, weil kurz nach dem Unglück mit dem Bau von zwei neuen Reaktoren in Gundremmingen begonnen wurde: Block B und Block C. Noch heute gibt es jeden Sonntag eine Mahnwache vor dem Kernkraftwerk, die an das Unglück erinnern soll. Ende dieses Jahres soll Block B vom Netz gehen – für Atomkraftgegner Thomas Wolf kein Grund, mit der Mahnwache aufzuhören:
    "Zum einen läuft der Block C ja noch bis 2021. Und wir von der Mahnwache haben eben ausgemacht, also wenn tatsächlich alle Blöcke aus sind, dann machen wir alle vier Wochen eine Abschaltkontrolle. Zum Kucken, ob die auch wirklich aus sind und ob des alles richtig ist."
    Und zum anderen ist ja da noch der Atommüll, der hier in haushohen blauen Containern lagert – und bis mindestens 2040 im Zwischenlager Gundremmingen bleiben soll.