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„Keychange“ beim Reeperbahn Festival
Mehr Gleichberechtigung im Pop

Männerdominanz im Musikgeschäft abbauen, vor allem auf Festivalbühnen - das ist das Ziel von der Initiative Keychange. 2017 wurde sie auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg vorgestellt. Seitdem hat sich einiges bewegt. Jetzt geht Keychange in eine neue Runde.

Von Juliane Reil | 19.09.2019
Die Sängerin Joy Denalane vor einem bunten, modernen Gemälde.
Seit 2019 Keychange-Botschafterin in Deutschland: die Berliner Musikerin Joy Denalane (Deutschlandradio/Kerstin Janse)
Die Soulsängerin Celeste aus Großbritannien singt "Both Sides of The Moon". My Ugly Clementine - das sind vier junge Frauen aus Österreich. Und die US-amerikanische Sängerin Mattiel. Sechs von über 400 Künstlerinnen und Künstlern. Sie alle treten auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival auf. Alexander Schulz ist der Geschäftsführer: "Ich glaube, wir laufen auf 43, 44 Prozent weibliche Künstler in diesem Jahr hinaus, genau."
Geschlechtergleichheit auch in Clubs und Konzerthäusern
Andere namenhafte Festivals in Europa, die sich an der Keychange beteiligen, haben die 50-Prozent-Quote dieses Jahr sogar schon erreicht – oder gingen darüber hinaus. Zum Beispiel das Primavera in Barcelona und das Pop-Kultur Festival in Berlin. 2017 wurde Keychange von der britischen Musikförderung PRS Foundation in London ins Leben gerufen und auf dem Reeperbahn Festival vorgestellt. In diesem Jahr geht die Initiative in eine weitere Runde: "Keychange 2.0". Nicht nur Festivals, auch andere Spielorte - Clubs und Konzerthäuser etwa - sollen sich für Geschlechtergleichheit einsetzen, Radios ihre Musikprogramme kritisch prüfen und Unternehmen aus der Musikbranche ihre eigenen Strukturen überdenken. Damit aber nicht genug, erklärt Alexander Schulz.
"Wir streben an ein skalierbares Zahlenwerk zu erheben. Das heißt wir werden die 2019er-Daten erheben zu Hörgewohnheiten, zu sozialversicherten Beschäftigten, zu Einkommen zu Konzerten, aus Royalties und so weiter. Und werden das einmal zugrunde legen und auch vorstellen im nächsten Jahr im September 2020, und dann werden wir irgendwann die 2022er-Daten uns anschauen und gucken, was haben wir in den drei Jahren bewirken können mit dem, was wir tun – an Bewusstseinsmachung und konkreten Maßnahmen zur Gender Equality. Uns daran selber messen, aber natürlich auch nochmal sagen: 'Das ist jetzt passiert - und wo müssen wir noch hin?'"
Aufbau einer europäischen Datenbank
In den nächsten vier Jahren werden außerdem 216 Unternehmerinnen und Künstlerinnen aus den acht europäischen Ländern, die an Keychange teilnehmen, gezielt für den noch stark männlich geprägten Musikmarkt trainiert und stark gemacht. Damit sich diese Frauen untereinander vernetzen können, wird eine europäische Datenbank für sie aufgebaut. Für diese neuen Maßnahmen muss jedoch erstmal eine Menge Geld fließen. Die EU-Kommission subventioniert das Programm in den nächsten vier Jahren bis 2023 mit 1,4 Millionen Euro.
Aber zurück zum diesjährigen Reeperbahn Festival. Die deutsch-türkische Rapperin Ebow: Alltagsrassismus, queere Liebe, Kiffen und Feminismus sind ihre Themen. Die 29-Jährige findet Keychange wichtig, denkt aber viel ambitionierter: "Ich glaube, man könnte auch 80 Prozent des Line-ups ohne Cis-Typen machen." Cis ist das Gegenteil von Trans. Also Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht von Geburt übereinstimmt.
Auf dem richtigen Weg
"Ich glaube, das ist auf jeden Fall möglich. Ich glaube nur, dass wir im Jahr 2019 weiter sein sollten. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit da sein, und dann sollte man dran denken: Okay, was ist mit Leuten, die Behinderungen haben et cetera. Dieses inklusive Denken müsste schon viel weiter sein in 2019."
Keychange stellt aber vor allem die Stärkung von Frauen in den Vordergrund. Mit dem diesjährigen Anteil von Künstlerinnen auf dem Festival ist das Reeperbahn Festival auf einem guten Weg und erfüllt die eigenen Auflagen. Die großen Auftragsarbeiten 2019 gingen an den Isländer Ólafur Arnalds und ein Team um die slowakische Produzentin Michaela Pnacekova. Für die Installation "A Symphony Of Noise" ließ sie sich von der Musik des Briten Matthew Herbert inspirieren. Die Nominierten für den Anchor Award, mit dem seit 2016 ein Nachwuchstalent ausgezeichnet wird, sind dieses Jahr überwiegend weiblich.
Keychange hat viel erreicht und kann sich zu Recht als Erfolg begreifen. Trotzdem gibt es in den kommenden Jahren sicher noch einiges zu tun für die Initiative - allein die Anzahl der Festivals im deutschsprachigen Raum, die Keychange unterstützen, ist immer noch überschaubar.