Lee Gelernt

Der Anwalt der Opfer staatlicher Willkür

Ein Demonstrant hält ein Plakat mit dem Spruch "We are here to stay" hoch.
Protest gegen Einreiseverbot in New York © imago/UPI Photo
Von Heike Wipperfürth · 09.05.2017
Lee Gelernt ist Anwalt bei der American Civil Liberties Union, einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation, die sich für Bürgerrechte einsetzt. Gelernt hat per Gerichtsbeschluss Trumps Einreisestopp außer Kraft gesetzt. Und wird seitdem mit Mandatsanfragen überhäuft.
"Entschuldigung, dass ich mich verspätet habe."
Verlegenes Lächeln, Wollmütze auf dem Kopf, strubbeliges Haar – wie einer der gefährlichsten Gegner der Trump-Regierung sieht Lee Gelernt nicht aus, als er leicht verspätet in sein karges Büro hoch über dem Hudson River an der Südspitze Manhattans eilt.
Doch der erste Eindruck täuscht: Seit 25 Jahren kämpft der Anwalt für die Opfer staatlichen Machtmissbrauchs – als Leiter der Abteilung für Einwandererschutz der American Civil Liberties Union, der einflussreichsten Bürgerrechtsorganisation in den USA.
"Der Leistungsdruck wächst und das Arbeitstempo wird immer schneller, weil sich die Bürgerrechtskrise zuspitzt, die uns alle bedroht, seit die Trump-Regierung an die Macht gekommen ist."

Gelernt bekämpft den Muslim Ban

Seine jüngste Mission: den Einreisestopp für Muslime bekämpfen. Zwar haben Gelernt und seine Mitstreiter es bereits geschafft, Richter in New York und Maryland davon zu überzeugen, die Verfügungen temporär außer Kraft zu setzen. Doch die US Regierung hat Einspruch eingelegt – gestern ging der Rechtsstreit in die nächste Runde.
Gelernt fordert eine neue Blockade per Gerichtsbeschluss. Das Urteil steht noch aus. Lee Gelernt ist sich aber sicher:
"Unsere Verfassung verbietet Diskriminierung auf der Grundlage von Religion – auch wenn der US-Präsident versucht, die Begrenzung der Einwanderung zur nationalen Sicherheitspolitik zu machen."
Anders als nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001, als viele Amerikaner mit Skepsis auf seine Klage gegen heimliche Abschiebungsverfahren von Muslimen reagierten, setzte Gelernt diesmal auf ihre Unterstützung – mit großem Erfolg: 24 Millionen Dollar Spenden erhielt die ACLU in den zwei Tagen nach seiner Eilklage gegen das Einreiseverbot im Januar – sechs Mal so viel wie die Bürgerrechtsorganisation sonst in einem ganzen Jahr an Spenden erhält.
"Wir müssen nun versuchen, die Arbeit im Gerichtssaal mit der Arbeit der sozialen Bewegung zu verbinden. Dann kann es zu einer Bürgerrechtsbewegung kommen, wie wir sie seit den sechziger-Jahren nicht mehr gesehen haben."
Gelernt kämpft auch dafür, dass US Grenzbeamten, die mexikanische Jugendliche auf der anderen Seite des Grenzzauns erschießen – der Prozess gemacht wird.

Mehr Mandatsanfragen, als er annehmen kann

Er setzt sich für eine Gruppe von Asylanwärterinnen aus El Salvador, Guatemala und Honduras ein – allerdings ohne Erfolg. Den Frauen wurde das Recht auf eine gerichtliche Überprüfung ihrer Abschiebung verweigert, erzählt er. Nun sollen sie mit ihren Kindern wieder in ihre Heimatländer abgeschoben werden.
"Wir schicken sie also dorthin zurück, wo man versucht hat, sie zu entführen, zu vergewaltigen oder zu töten."
Spricht man länger mit Gelernt, wird schnell klar: Viele Mandate, die ihm angeboten werden, kann er gar nicht annehmen.
"Weil uns die Zeit und die Mittel fehlen, bleibt uns oft nichts anderes übrig, als die Bitten vieler Menschen, die dringend unsere Hilfe bräuchten, zu ignorieren – und das, obwohl Menschenleben auf dem Spiel stehen."
Das treibt den 54-Jährigen um, bereitet ihm immer wieder ein schlechtes Gewissen.
"Wir tun, was wir können. Aber manchmal denke ich, das ist nicht genug. Das Leben vieler Mandanten liegt ja gewisser Weise in meiner Hand."
Aufgeben, hinschmeißen aber kommt für ihn nicht in Frage. Lee Gelernt macht weiter. Gerade jetzt, unter Trump. Wo das US-amerikanische Rechtssystem nach seiner Einschätzung vor einer seiner größten Bewährungsproben steht.
"Das System funktioniert. Natürlich werden wir nicht jeden Fall gewinnen. Es wird unterschiedliche Meinungen geben, wenn Entscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Aber dass die Gerichte vor der Trump-Regierung klein beigeben, das glaube ich nicht."
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