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Kind, Küche und Karriere

Drei Jahrzehnte Emanzipation und Feminismus haben das klassische Männerbild in Frage gestellt. Zwischen Tradition und Moderne suchen Männer heute nach Orientierung. Die Studie "Männer in Bewegung" untersucht das Rollenverständnis des sogenannten starken Geschlechts. In dieser Woche wird die Studie von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen in Berlin vorgestellt.

Von Thomas Gesterkamp | 16.03.2009
    "Ich glaube, dass der gesamte Bereich der emotionalen Kommunikation Männern wieder zugänglich gemacht werden muss, beziehungsweise Männer wieder sensibel für ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet gemacht werden müssen. Eine Jahrhunderte lange Festlegung der Rolle auf den Verteidiger, den Schützer des Innenlebens, zu dem er dann aber letztlich gar nicht so einen Zugang hat, der bleibt bei Männern nicht ohne Konsequenzen und ohne Spuren. Männer müssen das wieder neu lernen. Für mich ist ein Hoffnungszeichen, dass sie es wieder lernen wollen.”"

    Martin Rosowski ist Geschäftsführer der Männerarbeit der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Drei Jahrzehnte Emanzipation und Feminismus haben beim "starken Geschlecht” Spuren hinterlassen. Alte männliche Identitäten wie die des Ernährers oder des Beschützers werden in Frage gestellt.

    Männer sollen sich zwar von alten Rollen verabschieden, sie sollen aber auch nicht so werden wie Frauen. Am besten, sie sind alles zugleich: stark und sensibel, hart und einfühlsam. Am besten, sie verdienen 10.000 Euro im Monat und sind trotzdem schon mittags zu Hause. Zwischen Tradition und Moderne suchen Männer nach Orientierung.

    "Männer in Bewegung" heißt so auch die Studie, die im Auftrag der Männerarbeit der Evangelischen Kirche und der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands gemacht wurde. In dieser Woche wird sie von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen in Berlin vorgestellt.

    Vor zehn Jahren gab es die erste Ausgabe der Studie. Sie sorgte damals für viel Diskussion um die Rolle des Mannes - und das weit über kirchliche Kreise hinaus. Der Untertitel "Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen” machte damals klar, dass sich über das eine Geschlecht nicht ohne das andere reden lässt.

    ""Wir haben zehn Jahre später noch einmal geschaut, wie sich die Männer verändert haben. Die neuen, modernen, die partnerschaftlichen Männer haben sich wenig verändert. Verändert haben sich die Männer, die wir vor zehn Jahren als ‘traditionelle' angesprochen haben - für die klar ist, der Mann ist draußen in der feindlichen Welt und arbeitet, die Mutter und Frau ist zu Hause. Da hat sich ein Wandel vollzogen: Die Berufstätigkeit von Frauen, von Müttern wird stärker anerkannt, wird nicht als etwas Negatives betrachtet, weniger als vor zehn Jahren. Man kann sagen, die traditionellen Männer haben sich modernisiert, sie haben sich neueren Vorstellungen angenähert. Wichtige Begründung ist, dass diese Männer anerkennen, dass für die Familie, für den Haushalt ein zweites Einkommen notwendig ist","

    sagt Rainer Volz zur Einstellung der Männer zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Sozialwissenschaftler ist Leiter der Männerarbeit der Evangelischen Kirche im Rheinland und Autor der neuen, 400 Seiten starken Untersuchung "Männer in Bewegung” - zusammen mit Paul Zulehner, emeritierter Professor für katholische Theologe in Wien.

    Für die Studie hat ein Hamburger Meinungsforschungsinstitut Gespräche mit 2020 Bundesbürgern geführt, mit über 1200 Männern und ergänzend mit 800 Frauen. Es handelt sich um eine repräsentative Stichprobe: Die Befragten kommen aus allen gesellschaftlichen Milieus und sind nicht unbedingt Kirchenmitglieder.

    "Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland” hat das Forscherduo Volz und Zulehner seinen Bericht überschrieben. "Entwicklung” hört sich erst einmal positiv an. Aber ist positives Denken auch berechtigt? Hat sich tatsächlich das Verhalten der Männer geändert oder nur ihre Einstellungen? Sind Männer am Ende immer noch ganz die Alten? Rainer Volz macht Hoffnung, er hält den "neuen Mann” für empirisch nachweisbar.

    ""Vorneweg, die Männer machen insgesamt weniger als die Frauen im Bereich von Kindererziehung, aber dahinter verbirgt sich, dass die modernen Männer deutlich mehr machen, als vor zehn Jahren. Moderne Väter leben tatsächlich das, was sie von sich meinen, dass sie fürsorgliche, aktive Väter sind. Die Kehrseite ist, dass die traditionell eingestellten Männer sogar noch etwas weniger machen als vor zehn Jahren."

    Man kann es auch so sehen: Das Glas ist halb leer - denn die Bereitschaft zur Fürsorge ist nur bei einem Teil der Männer gewachsen. Für alle anderen Männer gilt: Alter Wolf in neuem Schafspelz? Rainer Volz warnt vor solchen pauschalen Bewertungen.

    "Man muss sehen, dass es die Männer nicht mehr gibt - genauso wenig wie die Frauen - also kein einheitliches Bild von Weiblichkeit, von Mutterschaft. Und das ist bei Männern genauso. Wir müssen davon ausgehen, dass rund ein Viertel der Männer traditionell - oder teiltraditionell, wie wir jetzt sagen - eingestellt sind. Und rund ein Fünftel, also 20 Prozent der Männer, sind in diesem Sinne ‘modern'. Man kann für dieses Fünftel mit guten empirischen Gründen sagen, sie haben sich auf den Weg gemacht, sie sind tatsächlich in Bewegung, wie der Titel unserer Studie sagt. Sie praktizieren eine andere Vaterschaft und eine andere Partnerschaft als ihre traditioneller eingestellten Geschlechtsgenossen."

    "Moderne” Männer engagieren sich nicht nur im Beruf, sondern auch in den Familien - vor allem mit ihren Kindern, weniger in der Hausarbeit. Das sei aber auch eine Frage der Gewichtung, betont Forscher Volz.

    "Wir können zeigen, dass es Tätigkeiten gibt, die stärker von den Frauen, und andere, die stärker von den Männern erledigt werden. Auf der Frauenseite finden wir in der Tat mehr sorgende Tätigkeiten rund um das Essen, auch Putzen, Spülen. Auf der Seite der Männer finden wir stärker die Rahmenbedingungen, Reparaturen im Haus, am Haus, und die bürokratischen Tätigkeiten. Insgesamt machen Männer nach wie vor weniger als Frauen im Haushalt. Dabei spielt eine Rolle, dass der überwiegende Teil der Männer nach wie vor Vollzeit erwerbstätig ist, und bei den Frauen ist das eben ein wesentlich kleinerer Prozentsatz."

    Dass sich die Kirchen um die Gefühle und das Privatleben von Männern kümmern, war vor fünfzig Jahren unvorstellbar. Die Theologen der Nachkriegszeit wollten "Männer in der Wirklichkeit ihres Lebens aufsuchen” - so hieß es damals. Zunächst sollte den Soldaten und Kriegsheimkehrern die oft mühsame Eingliederung in die Gesellschaft erleichtert werden.

    Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung rückten dann Arbeitswelt und Beruf als Kern männlicher Identität immer stärker in den Mittelpunkt. Darum gibt es bis heute die sogenannten Industriepfarrer, kümmern sich vor allem in Großunternehmen Mitarbeiter des "Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt” um die Beschäftigten - soll heißen: um die Männer. Martin Rosowski von der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland sieht das im Rückblick eher kritisch.

    "Von daher stand Kirche auch für ein patriarchales Rollenbild, für ein Bild, wo die klare Verteilung der Eheaufgaben geklärt war. Entsprechend war lange Zeit die Arbeit das Feld, das man beackern musste, wenn man die Männer in ihrer Lebenswirklichkeit aufsuchen wollte. Das hatte damals seine Berechtigung. Heute sieht die Situation aufgrund veränderter Rollenbilder, der immer stärker erodierenden männlichen Leitbilder, anders aus."

    Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung haben in den letzten Jahrzehnten zur Verunsicherung von Männern beigetragen. Immer weniger Väter können heute die traditionelle Aufgabe des "Familienernährers” alleine ausfüllen. Vor zehn Jahren bezeichnete sich rund ein Drittel der befragten Männer als "verunsichert” - irritiert über das neue Verhältnis der Geschlechter, über ihre eigene Positionierung in Partnerschaft und Familie. In der aktuellen Untersuchung hat Sozialwissenschaftler Rainer Volz neben "traditionellen” und "modernen” Männern weitere Männertypen ausgemacht.

    "Dazwischen ist ein Typ, der traditionelle und moderne Elemente in sich vereinigt: Wir haben ihn den ‘Balancierer' genannt, weil er zwischen beiden Seiten, der traditionellen und der modernen, in seinem Verhalten und seiner Einstellung hin- und her balanciert. Und wir haben den vierten Typ den ‘Suchenden' genannt, also derjenige, der weder modern noch traditionell eingestellt ist, der sich nicht oder noch nicht festgelegt hat."

    Bei der Verteilung auf die einzelnen Typen stellt die neue Studie deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern fest. Denn während sich immer noch 27 Prozent der Männer als "traditionell” verstehen, halbierte sich dieses Milieu bei den Frauen im letzten Jahrzehnt: von 25 auf 13 Prozent. Das hat Folgen für die privaten Beziehungen, ist Volz überzeugt.

    "Es gibt deutlich mehr traditionelle Männer als traditionelle Frauen, und umgekehrt, es gibt deutlich mehr moderne Frauen als moderne Männer. Und da kommt durchaus ein unterschwelliges Problem auf uns zu: Dass nämlich Männer und Frauen weniger adäquate Partner oder Partnerinnen finden. Es ist zu befürchten, dass noch mehr Männer als bisher ungewollt einsam bleiben, weil sie eben keine entsprechende Partnerin finden. Männer und Frauen suchen nach dem Grundsatz ‘Gleich und gleich gesellt sich gern'. Und Sie können sich gut vorstellen, dass ja auch im Alltag es schwierig wird, wenn ein stockkonservativer Mann mit einer sehr modern eingestellten Partnerin den Alltag teilt."

    Dieses Ergebnis gibt den Praktikern in den Kirchen zu denken. Jens-Peter Kruse macht Männerarbeit im Haus kirchlicher Dienste in der evangelischen Landeskirche Hannover.
    "Was in der Männerstudie deutlich wird: Dass auf der Frauenseite die Modernisierung sehr stark vorangegangen ist, und die Männer nach wie vor einen Nachholbedarf haben. Männerentwicklung heißt nicht, dass man die Frauenentwicklung selbst nachholt, sondern dass man sich seiner eigenen Position bewusst wird und sie in Partnerschaft und Fairness mit Frauen dann auch lebt."

    Nur ein Teil der Männer scheint flexibel genug, sich einem veränderten Wertesystem anzupassen. Dieser "moderne” Typus ist durchaus weiter berufsorientiert, er teilt sich mit der Partnerin aber auch Haushalt und Kindererziehung, er ist verständnisvoll und gesundheitsbewusst, spricht gar über Gefühle. Der sogenannte "neue” Mann, viel beschrieben und von Frauen immer wieder eingefordert, ist rein statistisch aber nach wie vor in der Minderheit, betont Rainer Volz:

    "Nach wie vor gilt als ‘männlich' eher dominant, selbstbewusst, rational. Und als ‘weiblich' gilt gefühlvoll, erotisch, gesellig. Man kann sehen, die Frauen gehen ein wenig stärker in die klassisch männlichen Eigenschaften, sicher ein Ausdruck ihres gewachsenen Selbstbewusstseins, ihrer Berufstätigkeit und Autonomie. Die Männer sind da ein bisschen zurückhaltend; aber gerade bei dem, was als weiblich gilt, also was eine Frau in den Augen der Befragten ausmacht, hat sich praktisch nichts verändert. Wenn wir in die tieferen Schichten männlicher und weiblicher Identitäten hineingehen, haben wir es mit Sichtweisen zu tun, die einem langsameren Wandel unterworfen sind."

    Besonders deutlich wird dies bei der in der Untersuchung gestellten Frage, wie sich Männer ihre "Traumfrau” vorstellen.

    "Das überraschende Ergebnis ist: Deutlich mehr Männer als vor zehn Jahren haben eine Traumfrau. Vor zehn Jahren sagten 40 Prozent, eine Traumfrau gibt es nicht, jetzt sind es nur noch acht Prozent. Auch die Traumfrau hat sich ein Stück modernisiert. Vor zehn Jahren hatten wir die selbstständige, berufstätige Frau unterschieden und die gefühlvoll-erotische. Die Bedeutung der gefühlvoll-erotischen Frau hat abgenommen und die Wertschätzung für diese autonome Frau hat zugenommen. Geblieben sind die Geschlechtsrollentypen: Die eher traditionellen Männer wünschen sich eine anschmiegsame, häusliche, gefühlvolle, verlässliche Frau. Und die modernen Männer wünschen sich neben der Attraktivität und Schönheit auch eine selbstständige, intelligente, berufstätige Frau."

    Ein Trend wird in der Studie ganz klar: Die Schere zwischen traditionellem und modernem Mann geht immer weiter auseinander. Und das gilt auch für die Akzeptanz von Gewalt, bestätigt Rainer Volz:

    "Bei den modernen Männern ist diese Form von Gewaltakzeptanz fast inexistent, fast nicht anzutreffen, dagegen bei den teiltraditionellen Männern bei fast der Hälfte dieser Gruppe. Und es handelt sich dabei nicht um Kleinigkeiten. Ich nenne Ihnen ein, zwei Statements die diese Gewaltakzeptanz definieren, dazu gehört etwa die Überlegenheit der weißen Rasse vor anderen Rassen und entsprechend die Überlegenheit der Männer über die Frauen. Dazu gehört die Meinung, dass man Kinder auch mal schlagen muss, damit sie zur Vernunft kämen, oder auch, dass eine Frau, die vergewaltigt wird, im Zweifelsfalle den Mann provoziert hat. Das hat leider zugenommen."

    Dazu sei allerdings gesagt, dass auch bei den Frauen die Gewaltakzeptanz in den vergangenen zehn Jahren gestiegen ist - wenn auch nicht so stark wie bei den Männern.

    Daneben verweist die Studie aber auch auf Aspekte, die den Auftraggebern erst einmal gefallen dürfte. Denn die Forscher haben herausgefunden, dass bei Männer das Interesse an Glaube und Spiritualität wächst. Rainer Volz:

    "Männer sind in den vergangenen Jahren religiöser und kirchlicher geworden. Ihre emotionale Nähe zur Kirche, zur Religion ist stärker geworden. Sie fühlen sich in der Kirche stärker beheimatet, als noch vor zehn Jahren. Das Ergebnis ist insofern erstaunlich, weil bei den Frauen die Entwicklung ein bisschen in die andere Richtung lief. Sie sind etwas weniger religiös und kirchlich als noch vor zehn Jahren, allerdings von einem deutlich höheren Niveau aus. Auf das Ganze gesehen, sind Frauen nach wie vor religiöser und kirchlicher als Männer."

    Doch ausgerechnet im "modernen” Milieu ist diese Entwicklung nicht feststellbar. Die "neuen” Männer, die auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen in ihren Reden stets lobend erwähnt, bezeichnet die Studie als besonders "kirchenfern”.

    Die Kirchen versuchen heute, Männer nicht mehr am Arbeitsplatz, sondern in ihrem Privatleben anzusprechen - vor allem über das Thema Elternschaft. Vater-Kind-Wochenenden gehören mittlerweile zu den erfolgreichsten Angeboten der Männerarbeit. Gleichzeitig wird der innerkirchliche Dialog zwischen den Geschlechtern intensiver: Männer und Frauen gehen mehr aufeinander zu, grenzen sich weniger ab. Für Martin Rosowski ist das ein Ausdruck davon, dass die inhaltliche Übereinstimmungen gewachsen sind:

    "Da ist man sehr viel offener geworden für neue Formen des Zusammenlebens und der Familienkonstellationen - vor allem, was eine gerechtere Verteilung der Aufgaben innerhalb der Familien angeht. Uns ist als Kirche wichtig, eine positive Perspektive für Männer zu entwickeln, ihnen deutlich zu machen: Was bringt es uns, wenn wir über unsere eigene Rolle reflektieren? Wo haben wir unsere Stärken? Und wo macht es Spaß, diese Stärken auch einzubringen?"

    Die Ergebnisse der neuen Männerstudie werden in den kommenden Jahren ihre Wirkung entfalten - auch in der ganz alltäglichen Arbeit in Gemeinden und Kirchenkreisen. Mitverfasser Rainer Volz schaut in die Zukunft: Wie könnte es am Ende des nächsten Jahrzehnts aussehen?

    "Wir sind ja Empiriker und keine Zukunftspropheten. Es ist zu vermuten, dass die Polarisierung, die wir festgestellt haben, eher zunehmen wird. Also ein Beieinander von mehr Öffnung, mehr Toleranz, mehr Akzeptieren unterschiedlicher Lebensformen und unterschiedlicher männlicher und weiblicher Identitäten. Und gleichzeitig an manchen Stellen auch ein 'Rigider-werden', 'Enger-werden'. Ich vermute, dass dies auch durch die sich entwickelnde Wirtschaftskrise eher noch verstärkt werden wird. Wir werden in den Milieus und Geschlechtergruppen ein stärkeres Auseinanderdriften haben."