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Kinder als Influencer
Videodreh statt Spielplatz

Die neunjährige Miley ernährt mit ihrem YouTube-Kanal angeblich ihre ganze Familie. Bleibt ihr da noch Zeit Kind zu sein? Oder missbrauchen ihre Eltern sie als Werbeträger? Über minderjährige Influencer diskutierten Fachleute in Berlin.

Von Philip Banse | 01.10.2018
    Das Logo des Video-Portals YouTube wird auf dem Display eines Smartphones angezeigt. Im Hintergrund ist auf einem Bildschirm die YouTube Homepage zu sehen.
    Mit YouTube können Influencer viel Geld verdienen - wenn sie es schaffen, genug Follower zu gewinnen. (picture-alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    "Hallo, meine Lieben, und herzlich willkommen zu einem neuen Video auf meinem Kanal! Heute machen wir... Schleim im Mixer!"
    Miley Henle ist neun Jahre alt und YouTube-Star, ein Influencer. Ihr Kanal "Mileys Welt", in dem sie spielt, shoppt und jede Menge Werbung macht, hat weit über 600.000 Abonnenten.
    Das Video "Miley & SCHIMPANSE Jenny - super coole Erfahrung mit einem Affen" haben über 25 Millionen Menschen gesehen, "Play Doh Doktor Wackelzahn - Wir spielen Zahnarzt mit Knetmasse" haben 19 Millionen Menschen gesehen, Miley als Meerjungfrau im Pool vier Millionen.
    Miley wird auch im Ausland erkannt
    Zu den Videos blendet YouTube Werbung ein, davon bekommt Miley etwas ab - wie viel genau, ist geheim, aber es dürften Tausende Euro pro Monat sein. Jedenfalls haben die Eltern ihre Jobs aufgegeben, um sich und ihre Tochter zu filmen und auf YouTube zu vermarkten, schreibt die ZEIT. Die minderjährige Miley werde selbst im Ausland auf der Straße erkannt, von ihr hänge das Haushaltseinkommen der vierköpfigen Familie ab.
    "Haben Kinder ein Recht auf eine offene Zukunft, wo sie nicht nach dem bewertet werden, was ihre Eltern an kommerziellen Interessen mit ihnen in ihrer Kindheit dann veranstaltet haben?", fragt Roland Rosenstock, Professor für Medienpädagogik an der Universität Greifswald. "Und was verändert sich, wenn die Familie von der Inszenierung der Kinder den Lebensunterhalt bestreitet? Dann ist sicher noch mal ein viel stärkerer Druck auf die Kinder als wenn dieses eben ein Hobby ist."
    Inszenierter Alltag
    Sehr viele Fragen warf Rosenstock auf dem Fachtag "Zwischen Spielzeug, Kamera und YouTube - Kinder und Influencing in sozialen Medien" auf, veranstaltet von der Kommission Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten und des Kinderhilfswerks. Ziel bestehender staatlicher Regulierung sei das "gesunde Aufwachsen", etwa bei Drehs mit Kindern für Kino- und Fernsehfilme, wo Jugendamt, Schule und Kinderpsychologen konsultiert werden müssen und für Kinder sehr strenge Arbeitszeitbeschränkungen gelten. Gesundes Aufwachsen sei auch Ziel der UN-Kinderrechtskonvention.
    Roland Rosenstock: "Aber was heißt heute gesundes Aufwachsen, wenn eigentlich mein Alltag inszeniert ist? Wo hört die Inszenierung für diese Kinder auf? Was ist für dieses Kind noch authentisch? Und wie wachsen Kinder in ihrer Identität auf in diesen entscheidenden Jahren, wenn es immer eine Identität ist, die vor einer medialen Öffentlichkeit dann auch inszeniert wird?"
    Ausmaß umstritten
    Wie viele minderjährige YouTube-Stars aber gibt es? YouTube gehört zu Google, und bei Google Deutschland ist Sabine Frank zuständig für Verbraucher- und Jugendschutz:
    "Unsere Zahlen sind so, dass wir bei den Top 1000 eher von Promillebereichen reden als ganz Relevanten, die da oben sind. Das mag in anderen Ländern anders sein, aber das ist das Phänomen, was wir in Deutschland haben. Das heißt nicht, dass es nicht wichtig ist darüber zu reden, aber ich glaube, wir müssen schon auch mal feststellen, das ist im Moment kein Massenphänomen."
    "Es geht um Kinder, die als Marke inszeniert werden für kommerzielle Dinge." Medienforscher Rosenstock misst die Reichweite minderjähriger YouTube-Stars anders als die Google-Frau. "Und das brauchen wir nicht zu verharmlosen, denn wenn unter den zehn bekanntesten YouTubern bei Mädchen zwei von minderjährigen Kindern sind, also unter zwölf Jahren, dann ist das für uns ein relevantes Feld. Und dann wird damit auch Geld verdient."
    Kinder als Werbeträger
    "So, ihr Hübschen, die Lamiya ist wieder vom Kindergarten da...."
    In "RosisLife" filmt Mama Rosi ihren Alltag mit Mann und drei Kindern, fast 100 Millionen Mal wurden die Videos angesehen.
    Dieses Video hier ist knapp 16 Minuten lang und über sechs Minuten davon nutzt Mama Rosi ihre minderjährige Tochter, um Werbung zu machen für eine Puppe: "Ich habe eine kleine Überraschung für die Lamiya: Sie darf nämlich die neue Baby Born Soft Touch Girl Baby bespielen..."
    Gesetze mangelhaft umgesetzt
    Wer ist verantwortlich dafür, dass hier das Wohl der Kinder gewahrt wird? Google-Frau Frank sagt: "Verantwortlichkeiten liegen da eindeutig, das ist genauso wie beim privaten Fernsehen, bei den Kanalbetreibern."
    Also bei den Eltern. YouTube würde Eltern auf die Besonderheiten der Arbeit mit Kindern hinweisen. Die bestehenden Gesetze reichten aus, müssten nur besser durchgesetzt werden, sagt die Google-Frau.
    "Elternrechte in Deutschland viel zu hoch geschätzt"
    Medienpädagoge Rosenstock reicht das nicht: YouTube und andere Plattformen könnten für Kinder ein wertvoller Ort fürs Lernen, für ihre Kreativität und für die Selbstfindung sein. Aber die visuelle Präsenz Minderjähriger auf Plattformen wie YouTube müsse engere Grenzen haben:
    "Und diese Grenzen sollten immer die Interessen des Kindes berücksichtigen und nicht die Interessen der Eltern. Ich finde, dass die Elternrechte in Deutschland viel zu hoch geschätzt werden. Ich glaube, dass wir wirklich hier, wenn es um Kinderarbeit geht, viel stärker auch die Kinderrechte in den Vordergrund stellen sollten."