Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Kinder mit Rebellenblut

Eine vergewaltigte Frau bedeutet im Kongo Schande für die Familie und die Gemeinde. Um Kinder, die durch Vergewaltigung entstehen, will sich deshalb kaum einer kümmern. Hilfsorganisationen versuchen, diesen Kreislauf der Gewalt durch Aufklärung und Familientherapie zu durchbrechen.

Von Rebecca Hillauer | 25.07.2013
    Das Trauma-Zentrum der Ortschaft Muresa im Ostkongo. Eine Stunde ist die junge Solange zu Fuß hierher gelaufen mit ihrer zweieinhalbjährigen Tochter auf dem Rücken. Nun sitzen beide im "Chambre d’ecoute", dem "Zuhör-Zimmer" der Sozialstation. Solange berichtet, wie sich die Beziehung zu ihrem Ehemann seit dem letzten Beratungsgespräch entwickelt hat.

    Vor drei Jahren, kurz nach ihrer Hochzeit, war Solange von bewaffneten Milizen entführt und vergewaltigt worden. Sie wurde schwanger, gebar eine Tochter. Für ihren Ehemann, berichtet sie, sei es nach wie vor schwierig, die Kleine anzunehmen.

    "Nach unserem letzten Beratungsgespräch war er ein bisschen freundlicher. Ich habe den Haushalt gemacht, gekocht und seine Wäsche gewaschen, und er ist aufs Feld gegangen. Und manchmal ist er nach Hause gekommen und hat mich freudig begrüßt. Das war herrlich! Aber dann ist meine Tochter krank geworden. Die Behandlung hat fast unser ganzes Geld verschlungen. Mein Mann hat gesagt: 'Vielleicht ist sie ja krank, weil sie Rebellenblut in sich hat.' Als er das sagte, war das wie ein Schock, und ich war sehr traurig."

    Eine vergewaltigte Frau bedeutet im Kongo Schande für die Familie und die Gemeinde. Ein durch Vergewaltigung entstandenes Kind führt allen diese Schande jeden Tag vor Augen. Die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der katholischen Kirche in Bukavu hat deshalb mit Unterstützung der Hilfsorganisation missio Trauma-Zentren für Vergewaltigungsopfer und ihre Angehörigen aufgebaut.
    Sozialarbeiterin Therese Mema:

    "Die meisten Frauen begreifen nach der Geburt, dass die Kinder keine Schuld daran haben, was passiert ist, und lieben ihre Kinder. Aber die Ehemänner und die Angehörigen sagen, das Kind muss weg. Viele Kinder landen dann auf der Straße. Wir haben angefangen, die Familien und Gemeinden für dieses Problem zu sensibilisieren. Wir erklären ihnen, dass viele dieser Kinder Diebe oder andere Kriminelle werden. Wir können das verhindern, wenn wir ihnen eine gute Bildung mitgeben. Schließlich sind sie die kommende Generation im Kongo."

    Die massenweisen Vergewaltigungen im Kongo begannen, als nach dem Völkermord in Ruanda vor fast zwanzig Jahren viele der Mörder über die Grenze in den benachbarten Ostkongo flüchteten. Inzwischen gibt es unzählige, auch kongolesische Rebellengruppen, die nachts oder bei Morgengrauen die Menschen in den Dörfern überfallen, entführen, vergewaltigen und oft auch töten. Solanges Ehemann musste hilflos mit ansehen, wie die Rebellen seine Frau verschleppten. Solange hofft, dass er mit der Zeit vergessen und ihre kleine Tochter lieb gewinnen kann.

    "Früher hat er nie mit ihr gespielt – aber seitdem wir zur Beratung gehen, schon. Manchmal, wenn ich die Hausarbeit mache, kümmert er sich um sie. Ich bin dann ganz glücklich. Ich fühle mich wie im Paradies, wenn er mein Kind in den Arm nimmt."

    Am anderen Tag fährt Sozialarbeiterin Mema in ein weiteres Dorf, nach Mwanda. Für die rund 80 Kilometer braucht der Jeep fast vier Stunden. Nebenstraßen sind nicht asphaltiert, sie sind steinig und haben tiefe Löcher. Im Trauma-Zentrum von Mwanda will Therese Mema mit Vumilia sprechen, die ebenfalls von Rebellen brutal vergewaltigt wurde und danach ein Kind zur Welt gebracht hat – einen Sohn. Das macht einen großen Unterschied aus:

    "Wenn ein Kind nach einer Vergewaltigung geboren wird, dessen Vater getötet, brandgeschatzt und alles gestohlen hat, was eine Familie besaß – von dieser Familie zu verlangen, dass sie dieses Kind aufzieht, ist nicht leicht. Es ist einfacher, wenn das Kind ein Mädchen ist. Denn wenn das Mädchen später einmal heiratet, bekommt die Familie ein Brautgeschenk für sie. Aber ein Junge: Er wird nach unserer Tradition eines Tages den Besitz seiner Eltern erben und den Namen des männlichen Familienoberhaupts tragen. Die Männer sagen dann: Wie kann das sein, obwohl er nicht mein Sohn ist? Niemals!"

    Zudem fürchten die Männer, die Söhne würden eines Tages auf die Suche nach ihren leiblichen Vätern gehen – und sich dann womöglich den Rebellen anschließen. Vumilias Sohn ist erst 9. Seine Haut ist schwarz wie die vieler Ruander, viel dunkler als die der meisten Kongolesen. Nachbarn und Kinder aus dem Dorf hänselten ihn, er sei ein Rebellenkind. Vumilia hat ihm deshalb erzählt, sein leiblicher Vater sei tot.

    "Mein Ehemann akzeptiert den Jungen überhaupt nicht. Deswegen ist auch unsere Beziehung schlecht. Wenn ich ihn zum Beispiel um Geld für Kleidung bitte, sagt er: 'Du hast mit einem anderen Mann geschlafen und bist mit den Rebellen gegangen. Sollen sie dir doch Kleider kaufen.' Dann streiten wir. 'Die Nachbarn meinen auch, du bist nicht gut genug für mich', sagt er. Dann verschwindet er und geht zu anderen Frauen."

    Wie viele vergewaltigte Frauen wollte Vumilia abtreiben, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Doch die Ärzte und Sozialarbeiter weigerten sich: Ihr katholischer Glaube und das kongolesische Gesetz verbiete das, sagten sie. Doch so schwer die vergangenen Jahre waren: Vumilia sagt, sie sei heute froh darüber, nicht abgetrieben zu haben. Mit ihrem kleinen Sohn lebt sie in einer Hütte aus Bananenzweigen. Ihr Mann schaut immer dann bei ihr vorbei, wenn er erfahren hat, dass Vumilia eine Spende von der Sozialstation oder einen Tagelohn bekommen hat.

    "Dann sagt er immer: 'Dein Sohn wird niemals irgendetwas von mir erben. Dafür sorge ich. Schließlich bin ich nicht sein Vater.' Wenn er das sagt, gehe ich mit meinem Sohn vor die Tür und spiele mit ihm, damit er die bösen Worte schnell wieder vergisst."

    Die Sozialstationen in Muresa und in Mwanda bilden ein Modellprojekt. Es umfasst Mikrokredite für die Mütter, um ihre Familien zu unterhalten. Die Kinder bekommen eine Geburtsurkunde und die kongolesische Staatsangehörigkeit, damit sie zur Schule gehen. In einer Kindertagesstätte können sie zudem mit Kindern aus dem Dorf spielen. Das sei, betont Therese Mema, sehr wichtig.

    "Die meisten Kinder, die nach einer Vergewaltigung geboren werden, sind traumatisiert. Manche lachen nie, andere sind immer ganz still. Das ist so, weil sie und ihre Mütter von der Gemeinschaft ausgegrenzt worden sind. Wenn sie aber mit anderen 'normalen' Kindern aufwachsen, können sie ihre schlimmen Erlebnisse vergessen. Und sie lernen, dass sie die gleichen Rechte wie alle anderen haben und keine Außenseiter sind."