Dienstag, 16. April 2024

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Kinderarmut
"Die meisten Alleinerziehenden sind kurz vor dem Burn-out"

Viele Kinder von Alleinerziehenden wachsen in Armut auf. Für Christine Finke, Mutter dreier Kinder, war das Geld nach der Scheidung "sehr, sehr knapp". "Ganz viel zu arbeiten ist aber nicht die Heillösung", sagte sie im Dlf. Kindererziehung brauche auch Zeit. Man müsse Alleinerziehende deshalb entlasten.

Christine Finke im Gespräch mit Sina Fröndrich | 29.12.2017
    Eine Frau schiebt am 04.02.2013 einen Kinderwagen über den Raschplatz in Hannover (Niedersachsen).
    Christine Finke: "Musste schon so am 20. des Monats gut überlegen, was zu essen ich denn noch kaufe für die Kinder" (picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Sina Fröhndrich: Viele Kinder, die in Armut aufwachsen, sind nicht selten Kinder von Alleinerziehenden. Denn Mutter oder Vater können nur schwer Vollzeit arbeiten, damit fehlt es an Geld. Und wenn sie Vollzeit arbeiten, fehlt es an Zeit. Was Alleinerziehenden helfen würde, das habe ich mit Christine Finke besprochen. Sie hat drei Kinder, 8, 11 und 17, ist alleinerziehend und bloggt über ihren Alltag. Als Autorin verdient sie Geld, das läuft ganz gut - das war aber nicht immer so. Ich wollte wissen, wie knapp es bei ihr finanziell schon mal geworden ist.
    Christine Finke: Es war über Jahre sehr, sehr knapp, also wir haben - zum Glück gibt es das ja - Wohngeld bezogen als aufstockende Leistung, aber ich musste schon so am 20. des Monats gut überlegen, was zu essen ich denn noch kaufe für die Kinder und habe auch wirklich ernsthaft erwogen, bei Die Tafel e.V. vorbeizuschauen, um so unseren Lebensmittelvorrat zu decken.
    "Meine Kinder hatten keine speziellen Wünsche mehr"
    Fröhndrich: Und welche Investitionen schiebt man dann vielleicht erst mal auf und sagt, nee, das geht jetzt nicht?
    Finke: Alles, was einen selber betrifft, ehrlich gesagt. Also Schuhe müssen die Kinder trotzdem haben, die können Sie auch vom Discounter kriegen oder von Freunden gebraucht, aber Essen muss sein und Dinge, die für mich gewesen wären - und das machen viele Alleinerziehende so -, sind dann echt hinten runtergefallen. Also ein Friseurbesuch für mich ist nicht, gibt es Pferdeschwanz. Haare färben macht man selbst. Eine neue Brille, na ja, kann noch warten. Zähne, Zahnarzt, Zahnprophylaxe, mh mh, 100 Euro zu teuer. Also diese Dinge.
    Porträt von Christine Finke
    Die alleinerziehende Mutter und Autorin Christine Finke (Christine Finke / Anna Gladkova)
    "Schwierig, wenn Geburtstagseinladungen zu anderen Kindern kamen"
    Fröhndrich: Und fällt es Ihnen schwer oder ist Ihnen das schwergefallen, wenn Ihre Kinder nach dem 20. dann mal spezielle Wünsche hatten, die ein bisschen kostspieliger waren, zu sagen, du, geht gerade gar nicht?
    Finke: Das Schlimme ist, meine Kinder hatten keine speziellen Wünsche mehr, die wussten, wir haben kein Geld für alles. Also es eher im Gegenteil so: Wenn ich dann später sagte, als wir wieder ein bisschen mehr Geld hatten, komm, ich kauf euch ein Eis, haben die gesagt, was, können wir uns das überhaupt leisten, Mama, bist du sicher?
    Von daher, das einzig Schwierige, wirklich Schwierige war in der Zeit, als wir so wenig Geld hatten, wenn Geburtstagseinladungen zu anderen Kindern kamen, denn da ist schon die Regel so, also zehn Euro ist normal, dass das Geschenk kostet, das erwarten auch die anderen Kinder, und wenn man dann drei Kinder hat und einen Haufen Geburtstage kommen, dann tun 50, 80 Euro für sowas richtig weh.
    "Kindererziehung braucht nun mal auch Zeit"
    Fröhndrich: Jetzt ist ja Geld das eine, und es scheint in der ein Politik so ein Allheilmittel zu gelten, nämlich dass man im Prinzip dafür sorgen möchte, dass Frau Vollzeit arbeiten kann, und dann muss man im Umkehrschluss natürlich auch mehr Kinderbetreuung organisieren, längere Kita-Öffnungszeiten, mehr Ganztagsbetreuung. Würde Ihnen das denn helfen, hilft Ihnen das?
    Finke: Also sagen wir mal so: Das Angebot schadet nichts. Ich finde es gut, wenn in die Richtung was gemacht wird, aber der Ansatz von der Politik, speziell jetzt von der SPD, die sonst auch viele gute Ideen hat, dass alle Eltern möglichst Vollzeit arbeiten sollen, auch Alleinerziehende, den halte ich für falsch, und das tun auch viele Experten. Denn Kindererziehung braucht nun mal auch Zeit.
    Das sagt auch die Bertelsmann-Studie, die sich eingehend mit Alleinerziehenden und ihren Problemen beschäftigt hat, und gerade Trennungskinder haben ja oft einen besonderen Bedarf noch nach Kuscheln, Nähe, Trauerverarbeitung, das ist nicht ganz so einfach. Also die kann man nicht den ganzen Tag irgendwo verwahren.
    "Ganz viel zu arbeiten ist nicht die Heillösung für alles"
    Fröhndrich: Das heißt also, Sie hätten vielleicht auch, als es besonders knapp war, Vollzeit arbeiten müssen, dass Sie finanziell über die Runden kommen, aber sagen gleichzeitig, eigentlich ist es nicht das, was die Kinder brauchen.
    Finke: Leider ja. Also ich habe immer gerne Vollzeit gearbeitet und würde das nach wie vor gerne tun, ich sehe aber nicht, wie es möglich wäre. Also was man alles nebenbei so machen muss, was die Kinder betrifft, speziell, wenn sie dann auch noch in die Schule kommen. Im Kindergarten ist es eigentlich noch einfach, und in der Krippe, da hat man ja … 8 bis 17 Uhr im Idealfall kann man sie dort abgeben, die sind glücklich, aber so ein Schulkind hat dann doch noch mal andere Bedürfnisse, und ganz viel zu arbeiten ist nicht die Heillösung für alles.
    "Entlastung im Haushalt würde enorm helfen"
    Fröhndrich: Wenn dann mehr Kinderbetreuung und Vollzeitarbeit nicht das ist, was Ihnen helfen würde, was würde Ihnen denn im Alltag helfen? Was belastet Sie am meisten, wo wünschen Sie sich Entlastung?
    Finke: Am meisten belastet mich und auch viele Alleinerziehende diese ständige Sorge, dass man nicht alles gebacken kriegt, was man als Aufgabe so vor sich liegen hat. Man macht ja eigentlich drei Jobs in einem: Man macht den Haushalt, man macht Kindererziehung, und man ist berufstätiger Elternteil im Idealfall, falls man einen Job hat. Und Entlastung zum Beispiel im Haushalt würde enorm helfen.
    Also ich habe mal überlegt, wenn man den Frauen freistellen würde, ob sie eine Mutter-Kind-Kur haben möchten oder ob sie eine Haushaltshilfe haben möchten, was ungefähr dasselbe kostet, wenn man sich das mal ausrechnet, dann könnte man wunderbar Entlastung im Alltag schaffen.
    Denn so eine Kur ist zum Beispiel von der Krankenkasse, die kann man alle zwei Jahre machen, wenn man überlastet ist und alle vier Jahre als normalüberlastete Person. Die dient der Prävention, und Prävention ist bei den meisten Alleinerziehenden schon längst passé. Die sind mehr oder weniger kurz vor dem Burn-out durch die dauerhafte Überlastung. Also sprich lange Rede, kurzer Sinn: Entlastung im Alltag würde helfen.
    "Leider oft illusorisch, dass sich andere Menschen mitkümmern"
    Fröhndrich: Jetzt war es ja früher so, dass Familien früher auch anders funktioniert haben. Also es gibt ja auch den Ausspruch, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Ist das bei uns in der Gesellschaft zu wenig verankert?
    Finke: Absolut, finde ich, ja. Und es wäre eine große Entlastung, wenn mehr Menschen Zeit hätten, sich auch um Kinder zu kümmern aus der Nachbarschaft oder aus dem Freundeskreis, aber Zeit haben ganz wenig Leute, auch andere Familien leiden ja unter Zeitmangel, und von daher ist so der Wunsch, dass andere Menschen sich mitkümmern, leider oft illusorisch.
    Also die Großeltern haben ja auch keine Zeit mehr. Die sind dann selbst noch berufstätig oder schon alt und krank oder, wenn Sie Glück haben, sind sie nicht alt und krank und können noch reisen, sodass die Alleinerziehenden oft ganz alleine mit einem sind, speziell, wenn der Ex-Partner sich nicht kümmert.
    "Dafür sorgen, dass Geldstress aus den Familien genommen wird"
    Fröhndrich: Jetzt würde ich noch mal gerne auf einen Punkt zu sprechen kommen, das sind die Unterhaltszahlungen. Sie haben auch gerade den Ex-Partner angesprochen. Das ist ja ein wesentlicher Geldstrom, und nicht immer zahlt der andere Elternteil. Ist es denn richtig - das ist ja auch umstritten -, dass der Staat dann hier einspringt mit dem Unterhaltsvorschuss?
    Finke: Also es ist nicht nur so, dass nicht immer zahlt der andere Elternteil, der zahlt in 25 Prozent der Fälle nur zuverlässig und regelmäßig das, was er sollte. 50 Prozent der Alleinerziehenden bekommen gar keinen Unterhalt vom Ex-Partner, und 25 weitere nur selten oder zu wenig. Na klar, man kann diese Familien nicht alleine lassen. Der Staat zahlt in irgendeiner Form immer und sei es in Form von Sozialhilfe oder eben, wie ich es bekam, Wohngeld. Dabei kriege ich sogar den Mindestunterhalt für die Kinder.
    Also von daher finde ich eigentlich den Gendanken, der in der Politik jetzt aufkommt, entweder eine Kindergrundsicherung oder wie auch immer man das nennt, es gibt auch von den Grünen eine andere Idee - wie heißt das noch -, Familienbudget. Also da muss man dafür sorgen, dass der Geldstress aus den Familien genommen wird, denn über Jahre in Armut zu leben, ist für die Kinder schädlich. Das weiß man aus Studien. Also das hat leider für das ganze Leben Folgen, und die Kinder können ja nichts dafür.
    "Da hat man überhaupt kein Mitspracherecht"
    Fröhndrich: Noch einen Punkt, den ich noch mal aufgreifen würde, ist die Düsseldorfer Tabelle, die ja die Unterhaltszahlungen berechnet, und da werden jetzt 2018 die Einkommensgrenzen raufgesetzt, was dafür sorgt, dass einige Ex-Partner ein bisschen weniger Unterhalt zahlen müssen. Wie nachvollziehbar ist denn diese Düsseldorfer Tabelle aus Ihrer Sicht?
    Finke: Das habe ich mich anlässlich dieser neuen Zahlen auch gefragt. Ich finde, das ist ein Skandal. Also eine andere Alleinerziehende, die ich kenne, twitterte dann das Familienministerium an und fragte, wie denn diese Tabelle überhaupt zustande kommt. Ja, und jetzt wissen wir, dass das eigentlich nichts mit dem Familienministerium zu tun hat, also das wird nicht politisch entschieden, sondern das macht ein Gremium aus Familiengerichten und wird dann eben im Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, so und so wird es gemacht, fertig, aus.
    Völlig intransparentes Verfahren, da hat man überhaupt kein Mitspracherecht, und das finde ich echt skandalös. Also dass jetzt der Mindestunterhalt angehoben wurde für Kinder, die nur Mindestunterhalt beziehen, ist okay, aber wenn dann der Vater etwas mehr zahlen könnte oder die Mutter, dass diejenigen jetzt weniger bekommen, das geht nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.