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Kinderarzt und Heilpädagoge
Wie Hans Asperger in den Nationalsozialismus verstrickt war

Der Autismus-Forscher Hans Asperger war ein geachteter Kinderarzt in Wien, als die Nazis an die Macht kamen. Bisher ging man davon aus, dass er ein distanziertes Verhältnis zu ihnen hatte - sogar Kinder vor ihnen schützte. Neue Forschungsergebnisse zeigen jedoch: Asperger war an der Kinder-Euthanasie des Nationalsozialismus beteiligt.

Von Hans Rubinich | 31.05.2018
    HANDOUT - Datum und Ort der Aufnahme unbekannt: Der Wiener Arzt und Autismus-Forscher Hans Asperger (1906-1980). Asperger hat laut einer Studie eine Rolle bei der Ermordung von behinderten Kindern in der Nazi-Zeit gespielt. Nur SW, bestmögliche Qualität. (Zu dpa «Studie: Autismus-Pionier Asperger in NS-Euthanasieprogramm involviert») Foto: MedUni Wien/Josephinum/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits |
    Der Wiener Arzt und Autismus-Forscher Hans Asperger (1906-1980) (MedUni Wien/Josephinum)
    "Asperger war ein guter Kinderarzt. Seine zwei Töchter sind auch Kinderärzte geworden", sagt Waltraud Häupl, als Kind war sie Patientin von Hans Asperger.
    "Und damit ich ja nicht krank werde, bin ich unter die Höhensonne vom Dr. Asperger gekommen. Die habe ich immer noch vor mir. Ich bin auf einer Liege gelegen, da musste ich schön brav liegen. Und er war ein ganz ein Lieber. Und später als Arzt in der Universitäts-Kinderklinik, wenn er Zeit gehabt hat, war er immer bei den Kindern und hat ihnen Adalbert Stifter vorgelesen."
    Waltraud Häupl studierte in Wien Malerei, Grafik, Kunstgeschichte und Geschichte und wurde Lehrerin. Ende der 1990 Jahre erfuhr sie durch eine Fernsehsendung von Kindern, die in der Wiener Jugendfürsorge-Anstalt "Am Spiegelgrund" der NS-Kinder-Euthanasie zum Opfer fielen, darunter auch ihre kleine Schwester Annemarie. Ihr Tod treibt Waltraud Häupl an, mehr darüber zu erfahren, was "Am Spiegelgrund" passiert ist. Sie recherchiert und dokumentiert ausführlich die Krankengeschichten und den Tod der 789 Kinder. Zwei weitere Bücher erscheinen 2008 und 2012.
    Bisherige Geschichte Aspergers "nicht haltbar"
    Auch der Medizinhistoriker Dr. Herwig Czech schätzt ihre Arbeit sehr. Er hat nun eine Studie vorgelegt. Ergänzend zu den Arbeiten von Waltraud Häupl hat er die Rolle des Autismus-Forschers Hans Aspergers untersucht und inwieweit er an der NS-Kinder-Euthanasie beteiligt war.
    Aspergers Karriere beginnt 1935. Für die nächsten Jahrzehnte leitet er die heilpädagogische Abteilung der Kinderklinik an der Universität Wien.
    Czechs Ergebnisse zeichnen nun ein Bild, das stark abweicht von dem, wie eine breite Öffentlichkeit Hans Asperger bisher wahrgenommen hat.
    "Ich habe begonnen die Archivalien, die so nahe lagen, zu sichten. Und was dabei zutage gekommen ist, dass die herkömmliche Geschichte von Hans Asperger ist, jemand, der sich herausgehalten hat, der sich am Rande des Nationalismus bewegt hat, aber immer in einer inneren und äußeren Distanz, der vielleicht sogar ein Widerstandskämpfer war. Zumindest Kinder, die er unter seiner Obhut geschützt hat, vielleicht gerettet hat vor dem NS-Regime, dass diese Geschichte insgesamt nicht haltbar ist."
    Ganz im Gegenteil. Hans Asperger hat vielmehr den Nazis angedient und war an der NS-Kinder-Euthanasie beteiligt. Herwig Czech erklärt, wie er zu diesen Ergebnissen gekommen ist.
    "Der wichtigste Quellenbestand sind die Akten aus Hans Aspergers Abteilung selbst. Es ist ganz interessant, dass es bis vor ganz kurzer Zeit als verschollen galt. Es hieß, dass ein Bombentreffer diese Akten vernichtet hätte. Tatsächlich sind sie im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrt und können dort konsultiert werden und sie sind soweit ich das sehen kann, auch vollständig erhalten."
    "Asperger war keine zentrale Figur der Kindereuthanasie"
    Nachzulesen ist in den Akten zum Beispiel, dass der Kinderarzt Hans Asperger am 17. Juli 1941 die dreieinhalbjährige Hertha Schreiber in die Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" in Wien überweist. Er schreibt, das Mädchen leide an einer schweren Persönlichkeits-Störung, an einem motorischen Rückstand und bei ihr läge eine Idiotie vor.
    "Er spricht von einer nötigen dauerhaften Unterbringung am Spiegelgrund. Er spricht davon, dass das Kind eine unerträgliche Belastung für die Mutter darstellen muss, die noch für gesunde Kinder zu sorgen hätte. Daraus geht zumindest deutlich hervor, dass er nicht damit gerechnet hat, dass das Kind zurückkommt."
    Mahnmal für die Opfer der Euthanasie-Anstalt "Am Spiegelgrund" auf dem Gelände des heutigen Otto-Wagner-Spitals in Wien
    Mahnmal für die Opfer der Euthanasie-Anstalt "Am Spiegelgrund" auf dem Gelände des heutigen Otto-Wagner-Spitals in Wien (imago stock&people)
    Zwei Monate später verstirbt das Mädchen an einer Lungenentzündung, so die offizielle Todesursache. Auch ein weiteres Mädchen soll Asperger in die Anstalt "Am Spiegelgrund" überwiesen haben. Allerdings schränkt Herwig Czech auch ein:
    "Man muss auch betonen: Hans Asperger war keine zentrale Figur der Kindereuthanasie in Wien. Hans Asperger hat sich tatsächlich, soweit es sozusagen ohne Gefahr für seine Karriere ging, herausgehalten. Er ist der Partei nicht beigetreten. Er hat sich selbst nicht als Nationalsozialist verstanden, aber er hat sich in diesem nazifizierten Milieu sozusagen seit 1930 bewegt und ein Fisch im Wasser. Er wurde von den Nationalsozialisten auch mit zunehmender Dauer sozusagen als immer zuverlässiger Weggefährte oder Mitläufer wahrgenommen und er war auch mit den Tätern am Spiegelgrund beruflich sehr eng vernetzt. Und es war ein offenes Geheimnis, dass diese Tötungen stattfinden. Zum Teil wussten das ja sogar Eltern von behinderten Kindern, dass Tötungen stattfinden. Es gab sogar Eltern, die auf die Ärzte zugekommen sind und gefragt haben ganz vorsichtig: Ist es nicht möglich, dass mein Kind erlöst wird oder solche Dinge."
    "Das heißt, wenn sogar die Bevölkerung das weiß, es wäre sehr überraschend, wenn Ärzte, die direkt damit befasst sind und auch die durchführenden Ärzte persönlich kennen, wenn sie das nicht gewusst haben sollten. Das halte ich für völlig ausgeschlossen", ergänzt der Medizinhistoriker Professor Volker Roelcke von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Er hat mit Herwig Czech zusammen gearbeitet.
    "Es gibt noch eine weitere Episode, die meiner Ansicht nach sehr schwer wiegt. Und zwar war er als Gutachter der Stadt Wien für die Belange der Heilpädagogik, Teil einer Gutachter-Kommission. Und diese Kommission, das waren sieben Personen, und Hans Asperger war derjenige Experte mit dem heilpädagogischen Expertenwissen, mit der heilpädagogischen Autorität. Diese Kommission hat sämtliche Patienten einer Kinderabteilung einer psychiatrischen Anstalt durchgesiebt, durch begutachtet mit dem expliziten Ziel, die Kinder in Kategorien einzuteilen. Wer sozusagen noch in die Schule gehen könnte, wen man in einer Anstalt noch fördern konnte und wer eben als hoffnungsloser Fall, als bildungsunfähig, der Kinder-Euthanasie zuzuführen wäre."
    Nach 1945 setzt Hans Asperger seine Karriere unbehelligt fort
    Insgesamt 35 Kinder sortiert die Kommission aus. Daran war Hans Asperger beteiligt, wie die neuen Forschungsergebnisse belegen.
    "Das Interessante und sehr irritierend Beunruhigende an diesen Fällen ist ja gerade, dass auch hochkarätige Wissenschaftler, gute Ärzte gute Dozenten unter bestimmten Kontexten bereit sind die Menschen, die ihnen anvertraut sind, Patienten oder Versuchspersonen zu schädigen bis hin zur Tötung, um Forschung durchführen zu können."
    Die Präparate und die Gehirne der getöteten Kinder werden zu Forschungszwecken aufbewahrt. Von ihnen erhoffen sich Wissenschaftler Aufschluss über Missbildungen des zentralen Nervensystems.
    "Also die eigentliche Forschung an diesen Präparaten fand zum überwiegenden Teil erst nach 1945 statt. Aber die wirkliche wissenschaftliche Verwertung des Spiegelgrund -Opfer beginnt Anfang der Fünfzigerjahre, von 1952 an, etwa zieht sich bis in die frühen Achtzigerjahre. Insgesamt gibt es sicher an die 30 Publikationen, die nachweislich auf Opfer der Kindereuthanasie am Spiegelgrund beruhen."
    Nach 1945 setzt Hans Asperger seine Karriere unbehelligt fort. Von 1957 bis 1962 leitet er die Innsbrucker Kinderklinik, 1957 wird er Professor für Pädiatrie in Innsbruck und 1962 in Wien. 1964 wird er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Heilpädagogik. Seine Theorien zur Heilpädagogik stuft der Medizinhistoriker Herwig Czech kritisch ein.
    "Er hat beharrt auf einer sehr biologistischen Sichtweise, die zwar nie in den extremistischen Erbdeterminismus der NS- Rassenhygiene ganz abgedriftet ist. Dass es so etwas wie ein biologisches Schicksal gibt, so etwas wie geborene Verbrecher und Prostituierte, wenn man so will. Wir sehen in seiner Auffassung von sexuellem Missbrauch gegenüber Mädchen beispielsweise, wo er der Meinung war, dass Opfer von Missbrauch im Grunde immer so etwas wie eine Erlebnis-Bereitschaft mitgebracht haben, als eine angeborene Neigung dazu, missbraucht zu werden. Und ich glaube, die Diskussion wird sich notwendigerweise von dieser Frage der Kinder-Euthanasie der Beteiligung am Nationalsozialismus verbreitern müssen in eine Frage der Geschichte der Heilpädagogik insgesamt."