Mittwoch, 24. April 2024

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Kinderbuchillustratorin
"Ich finde Janosch mittlerweile ganz toll"

Die Frankfurter Künstlerin Anke Kuhl wusste schon immer, dass sie Kinderbuchillustratorin werden will. "Bilderbücher und illustrierte Bücher waren immer das, was mich am meisten fasziniert hat," sagte sie im DLF. Zu ihren erfolgreichsten Werken gehört "Das ABC der Schadenfreude".

Anke Kuhl im Gespräch mit Ute Wegmann | 12.07.2014
    Die Kinderbuchillustratorin Anke Kuhl.
    Die Kinderbuchillustratorin Anke Kuhl. (dpa/picture alliance/Erwin Elsner)
    Ute Wegmann: Was arbeiten Leute in einer LaborAteliergemeinschaft? Man kann mit Kollegen Bücher machen oder sich einfach austauschen - über Gemaltes, Gezeichnetes, Geschriebenes. In Frankfurt am Main gibt es seit 1999 eine solche Gemeinschaft von Illustratoren, neun an der Zahl, unter ihnen Philip Waechter, Moni Port und der heutige Gast Anke Kuhl.
    Anke Kuhl, wie viel Austausch und Werkstattgespräch und Kritik findet im Labor statt?
    Anke Kuhl: Ja, also schon relativ viel. Das ist aber nicht immer gleich, es gibt da Schwankungen. Aber das war ja die Idee dieses Zusammenschlusses, dass man sich austauscht, und das, was man aus dem Studium kennt, gemeinsam auf Arbeiten gucken, der kritische Blick über die Schulter ... Bei Fragen und Unsicherheiten auf jemanden zugehen, das weiterzuführen, statt alleine zuhause zu sitzen und sich nicht weiterzuentwickeln, im Austausch mit Kollegen zu sein. Wir sind jetzt seit fast 16 Jahren dort zusammen in den Räumen. Und der Austausch ist je nach Lebenssituation mal stärker und mal schwächer, aber es ist immer ein Ansprechpartner greifbar, wenn man jemanden braucht. Und das ist sehr schön.
    Wegmann: Es gibt tatsächlich ein Gemeinschaftsprojekt: das KinderKünstlerKritzelBuch. In diesem Jahr ein Reisebuch für die Ferien. Jeder gestaltet mehrere Doppelseiten, die von den Kindern vervollständigt oder bearbeitet werden können, und die nicht mit Namen gekennzeichnet sind. Im Impressum findet man den Künstlervermerk. Das erscheint selbstlos und sehr gemeinschaftlich.
    Kuhl: Da ist ja ganz klar das Kind der Hauptgestalter, die Kinder sollen die Künstler sein, wir bieten ihnen eine Plattform, und wir treten zurück. Das Kind soll im Mittelpunkt stehen und nicht die Autoren sollen sich in Ruhm und Glanz zeigen.
    "Auszeichnung war ungeheure Motivation"
    Wegmann: Sie haben Kunstpädagogik an der Goethe-Universität in Frankfurt, Freie Bildende Kunst an der Gutenberg-Universität in Mainz und Visuelle Kommunikation in Offenbach am Main studiert. Inwieweit ergänzen sich die Studiengänge und welche Ausbildung dient Ihnen am meisten bei der Umsetzung eines Bilderbuches?
    Kuhl: Meine künstlerische Entwicklung und die Ausbildung zur Gestalterin hat in Offenbach stattgefunden, da hab ich auch am längsten studiert und meinen Abschluss gemacht. Das Jahr in Mainz war auch wichtig, da hab ich freie Kunst studiert, das war auch schon stilprägend. Das Jahr in Frankfurt - da war ich ein Semester, das hat auf meine jetzige Situation keinen Einfluss mehr. Das war mehr eine Orientierungsphase.
    Wegmann: "Ene mene Muuh" - Abzählreime - 2002 - Ihr erstes Bilderbuch. Im gleichen Jahr erhielten Sie das Troisdorfer Bilderbuchstipendium, zwei Monate Unterstützung und Künstlerwohnung in Troisdorf und Ahrenshoop, und konnten so "Cowboy will nicht reiten" realisieren, das 2003 im Carlsen Verlag publiziert wurde und jetzt neu aufgelegt wird. Wie wichtig war diese Anerkennung?
    Kuhl: Ich glaube, die war sehr wichtig. Für mich als Berufsanfängerin war das eine ungeheure Motivation, es gab auch eine große Aufmerksamkeit dafür. Außerdem hat sich daraus eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Carlsen Verlag ergeben. Ich habe dann nicht nur "Cowboy will nicht reiten" veröffentlicht, sondern es haben sich viele Projekte daran angeschlossen. Auch gemeinsam mit dem Fischer Verlag hatte ich dann eine sehr regelmäßige Zusammenarbeit, die mir mein Einkommen sicherte.
    Wegmann: Gibt es ein Schlüsselerlebnis oder eine Begegnung, die zu dem Entschluss geführt hat, Bilderbuchillustration als Beruf zu wählen?
    Kuhl: Das werde ich gern gefragt. Ich glaube, die meisten Illustratoren, die das hauptberuflich machen, werden die gleiche Antwort geben: Das man das schon immer machen wollte. Ich hab als Kind schon Bücher mit vielen Bildern immer mit dem Gedanken angeschaut: So was will ich auch mal machen. Natürlich ist einem als junger Mensch noch nicht ganz klar, wie das aussehen könnte und wo man seinen Platz findet. Aber Bilderbücher und illustrierte Bücher waren immer das, was mich am meisten fasziniert hat.
    Wegmann: Welche Bücher besaßen Sie als Kind?
    Kuhl: Einerseits bin ich in einem Elternhaus groß geworden, wo ganz viel Wert auf illustrierte schöne Bücher gelegt wurde, auf Comics und vor allem die Illustrationskultur der Siebzigerjahre, Tomi Ungerer, F.K. Waechter, Autoren des Diogenes Verlages. Illustratoren, die ein übergreifendes Verständnis haben, die nicht nur für Kinder illustrieren, sondern eine größere Leserschaft im Auge haben. Das waren Tomi Ungerer, F.K. Waechter , Edward Gorey, das waren die Bücher, die ohnehin bei uns rumlagen. Aber darüber hinaus hab ich unheimlich oft meine Nase in Lexika gesteckt, welcher Art auch immer. Hauptsache, da waren Bilder drin, auf Qualität habe ich nicht geachtet. Ich hatte zum Beispiel einen völlig zerfledderten Bildwörterduden aus den Sechzigerjahren, der mich faszinierte, weil alles drin war. Wenn ich wissen wollte, wie etwas gezeichnet wurde, musste ich nur nachschlagen. Eine ganze Welt in einem Buch, das fand ich toll. Aber auch Gemäldesammlungen, die gab es auch bei uns. Mit alten Schinken drin, das hab ich alles aufgesaugt. Und ganz klar hat mich das Bild immer mehr interessiert als der Text.
    "Wenn man total übertreibt, kippt es ins Komische"
    Wegmann: Sie haben eine Vielzahl eigener und fremder Texte bebildert, Cover gestaltet, Kapitelvignetten gemalt. Bilder für Bücher von James Krüss, Rolf-Bernhard Essig, die leider früh verstorbene Hilke Rosenboom - hier sind nur wenige genannt.
    Ein Buch aus dem Jahr 2009 fällt dennoch aus dem Rahmen. Text: Wilfried von Bredow, Politikwissenschaftler und Militärsoziologe, der Titel "Lola rast", der Verlag Klett Kinderbuch. Der Untertitel verweist auf das, worauf wir gefasst sein müssen: "... und andere schreckliche Geschichten". Sieben Geschichten mit gar nicht artigen, netten Kindern, die unter Umständen für ihr Fehlverhalten bestraft werden. Hart, wie im Falle Lolas, die völlig rücksichtslos gegenüber anderen, mit ihrem Laufrad unterwegs ist. Zum Schluss heißt es:
    "Jetzt müsst sie halten! Aber ach!
    Da rast sie weiter. Und dann: Krach!
    Das Kind ist wirklich ganz verrückt!
    Ein Laster hat sie platt gedrückt."
    Sie haben eine sehr gute Lösung gefunden, diesen Schrecken zu bebildern, in dem sie es wörtlich nehmen und eine platte Lola auf die Straße zeichnen, da liegend wie der tote Jesus am Kreuz.
    Was aber haben Sie gedacht, als die Verlegerin Sie bat, den Text zu bebildern?
    Kuhl: Also mit der LOLA-Geschichte hatte ich gar keine Schwierigkeiten, es war auch die Ausgangsgeschichte, die von Verlegerin und Autor feststand. Ich hab direkt gedacht, das kann man so überziehen. Ich würde es gar nicht, wie Jesus am Kreuz bezeichnen, sondern sie sieht ja wie ein Abziehbild aus, als könnte man sie nachher wieder ablösen. Mir war klar, wenn man das total übertreibt, kippt es ins Komische und dann kann man das auch aushalten. Dann ist es nicht mehr moralisch oder seltsam. Man musste das eben ausloten bei den anderen Geschichten, sieben insgesamt, wo funktioniert das, wo eben nicht. Es gab durchaus Geschichten, die wir wieder rausgenommen haben. Es gab da Grenzen. Bei der LOLA war es vertretbar. Es ist eine reale Gefahr, aber man geht damit so um, dass das Kind darüber lachen kann.
    Wegmann: Und das gelingt auch vor allem dank Ihrer Bilder. Auf dem Buch steht: "Mit drolligen Bildern von Anke Kuhl". Hat man sich nicht dagegen immer gewehrt, dass Dinge, die man tut, drollig genannt werden und damit abgewertet?
    Kuhl: Für mich ist das ein angestaubtes Wort und die Brücke zum Struwwelpeter, der die Grundlage für das Bilderbuch war. Es ist die Sprache, die in diese Zeit passt. Es ist augenzwinkernd gemeint.
    "Ich fang immer mit den Augen an"
    Wegmann: Kugelrunde Augen kennt man als Kindchenschema aus anderen Bilderbüchern oder auch aus der Werbung. Bei Ihren Figuren ist das aber irgendwie anders. Der Weißanteil ist sehr groß, keine Iris, nur gepunktet die Pupille, die Augen sind nicht niedlich kindlich, sondern eher eindringlich, starr. Wie kamen Sie zu diesem Typus?
    Kuhl: Ich kann gar nicht anders. Ich find alles andere so unbefriedigend. Maurice Sendak, Die Wilden Kerle, die haben ja auch diese riesen Kulleraugen, auch Ungerer macht oft diese kugeligen Augen, das waren die Bilder, die mich als Kind sehr angesprochen haben. Und ich weiß noch genau, dass ich als Kind Janosch gehasst habe, und die geschenkten Bücher mit Ekel weggelegt habe. Ich hab mich immer so geärgert, weil das so kleine hellblaue Kreise waren, die keinen Ausdruck hatten. Tolle Zeichnungen, aber kein Blick, kein Ausdruck. Ich brauch diesen Ausdruck. Ich find Janosch mittlerweile ganz toll, und nehme das heute anders wahr als als Kind, und ich gibt viele Zeichner, die ich verehre, die keine Kugelaugen zeichnen, klar, finde ich Axel Scheffler toll, der auch Kugelaugen zeichnet, aber ich könnte viele andere nennen. Die Blickrichtung muss erkennbar sein. Das ist mir wichtiger als vieles andere. Ich fang auch immer mit den Augen an, zuerst steht der Blickkontakt zwischen zwei Figuren und dann mach ich das andere. Augen haben eine zentrale Bedeutung. Ich finde verrückt, was man mit einer kleinen Manipulation an den Augen an einem Bild verändern kann. Oder auch die Bilder in Gemäldegalerien, wo man stehen kann, wo man will und der Blick der Figur verfolgt einen. So etwas finde ich bis heute ein riesiges Wunder.
    Wegmann: Den Effekt finde ich ganz interessant, dass sich bei Ihren Figuren nichts Niedliches einstellt. Die Erwachsenen sind alle Normalos, die Kinder haben immer etwas Freches, Renitentes.
    Kuhl: Da bin ich schon geprägt, durch die Waechter Kegelchen, die immer was angestellt haben und aufmüpfig waren. Für mich ist ein frech aussehendes Kind extrem positiv besetzt. Früher wurde ich von Verlagen schon mal darauf hingewiesen, ob's nicht ein bisschen freundlicher sein könnte, ob die nicht ein bisschen netter gucken könnten und niedlicher sein könnten, dann ist es für mich wie ein Widerspruch. Denn für mich sind Kinder niedlich, die frech oder böse oder motzig gucken. Es gibt doch nichts Niedlicheres als die Katze von Tomi Ungerer in "Kein Kuss für Mutter", mit ihrem Motzgesicht. Das ist so lustig einfach. Die möchte man in den Arm nehmen.
    Wegmann: Im Jahr 2010 erscheint das Sachbuch "Alles Familie. Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten". Text: Alexandra Maxeiner, eine Kollegin aus dem Labor. Dafür erhielten Sie 2011 den DJLP. Der Untertitel verrät, dass es um Familien und Familienstrukturen geht, unter anderem um Patchworkfamilien, um Adaption, um Regenbogen-Familie, aber auch um vererbte Merkmale und wie man miteinander lebt: Versöhnlich oder streitend, laut oder leise, als Familie, die im eigenen Mief sitzt oder einen, die ständig lüftet.
    In was für einer Familie leben Sie, Anke Kuhl?
    Kuhl: Meine Familie besteht aus meinem Mann, meinen beiden Kindern und einer Katze. Es wird viel gelacht bei uns und es dreht sich ganz viel um Geschichten. Es geht viel ums Sprechen, Geschichten erzählen, beobachten ....
    "Die alten Meister interessieren mich sehr"
    Wegmann: Comicartige Panels haben Sie gezeichnet. Die Sprechblasen enthalten oft den Witz der kurzen Ausführungen. War es schwierig, für ein Sachbuch einen Ton zu finden?
    Kuhl: Interessanterweise war es nicht schwierig. Ich weiß, dass ich früher Sachbuchillustration nicht so interessant fand. Ich ab nur im allerschlimmsten Notfall mal Schulbuch gemacht, weil mich das immer sehr gelangweilt hat. Aber mit diesem Sachbuch, das durfte ja witzig sein, da war dann plötzlich gar kein Halten mehr. Plötzlich fand ich das nicht mehr langweilig, weil man in so witzigen Situationen denken darf. Es war auch ein Ballwechsel mit der Autorin, wir haben beide in beiden Bereichen mitgemischt - sie hatte Bildideen, Monika Osberghaus hatte Bildideen und ich hab beim Text mitgemischt. Das ist eine Art zu arbeiten, die mir liegt ...
    Wegmann: Ein zweites Sachbuch folgt 2012: "Alles lecker. Von Lieblingsspeisen, Ekelessen, Kuchendüften, Erbsenpupsen, Pausenbroten und anderen Köstlichkeiten."
    Welches Tier frisst was! Es geht aber auch um Politisches, um Biolandwirtschaft gegen Massentierhaltung und Billigprodukte, oder um Länderspezifisches (wo isst man Honigameisen, Heuschrecken, Klapperschlange. Dann gibt es ein schönes Bild: Eine Frühstückstafel – Aufsicht auf Riesentisch: Rundherum sitzen die Kinder, jedes hat einen anderen Teller vor sich.
    Was ich gelernt habe: Dass man in sehr vielen Teilen der Welt, in den meisten mit den Händen isst! Haben Sie das gewusst vorher?
    Kuhl: Nein, nicht in der prozentualen Verteilung,
    Wegmann: Ich glaube, 80 Prozent essen mit den Fingern.
    Kuhl: Weniger als 10 Prozent mit Besteck. Da sieht man mal, wie egoman man denkt, dass das, was man macht, das Normale ist, das ist aber gar nicht der Fall.
    Wegmann: Mir sind nie Parallelen zu alten Meistern aufgefallen. Nur hier gibt es ein Bild, das an Pieter Bruegel: Schlaraffenland (1567) erinnert. Ein Bild nach einer Völlerei!
    Kuhl: Die alten Meister interessieren mich schon sehr, finden aber weniger Einzug ins Bilderbuch, sondern eher in die freie Malerei.
    Wegmann: "Alle Kinder. ABC der Schadenfreude" – 2011.
    Das haben Sie mit Ihrem Mann Martin Schmitz-Kuhl gestaltet. Es geht in die Richtung des Lola-Buches. Ein Zweizeiler auf der linken Seite, eine Bildtafel mit 5-9 Kindern, im Mittelpunkt immer ein Außenseiter, ein Verlierer. Es folgt einem Muster: Er wird bedroht oder ist am Ende tot.
    Zwei Zweizeiler las ich am Anfang, noch zwei will ich den Hörern als Appetizer mitgeben.
    Alle Kinder gehen zum Friedhof. Außer Hagen, der wird getragen.
    Alle Kinder stehen am Abgrund. Außer Peter, der geht noch'n Meter.
    Gedeckte Farben, karges Umfeld, im Mittelpunkt die Kinder und der Verlierer.
    Haben Sie einen Hang zum Skurrilen, oder zum schwarzen Humor?
    Kuhl: Da hab ich auf jeden Fall ne Vorliebe. Ich würde aber sagen, dass ich tatsächlich erst in den letzten sieben Jahren das auch im Bilderbuch ausleben kann. Und das hat viel mit dem Zusammentreffen mit Monika Osberghaus zu tun, die diese Seite gesehen hat in meinen Zeichnungen, die andere gar nicht sehen wollten, und sie das fördert. In einem unserer ersten Gespräche sagte sie: Ich glaube, du könntest ganz anders, wenn man dich lassen würde. Da sie auch so eine Vorliebe hat, ist das auf fruchtbaren Boden gefallen. Ich kann das dort ausleben und das ist schön. Zum Thema Vorbilder: Uns war durchaus bewusst, von Edward Gorey gibt es ein ganz gruseliges ABC, das ich als Kind sehr geliebt habe, ich konnte gar nicht verstehen, das andere das schrecklich fanden. Das war für mich ein schönes Bilderbuch. Obwohl da Kinder im Rinnstein enden. Ich hab nicht hinterfragt, ob das zu grausam ist oder nicht. Ich denke sowieso, dass man Kindern mehr zumuten kann, als das gern mal dargestellt wird. Ich kann es aber auch verstehen, wenn Leute sagen, mir geht das zu weit. Es ist eine Humorfrage und es gibt Leute, deren Grenzen da deutlich überschritten werden. Das kann ich gut akzeptieren. Ich hab nicht den Anspruch Bücher zu machen, die den Geschmack aller bedienen.
    "Eigentlich Nonsensreime"
    Wegmann: Einen James-Krüss-Text will ich erwähnen: "Es war einmal ein Kind" (2011).
    Es war einmal ein Kind, das spielte mit dem Wind.
    Der Wind war ihm zu kalt, da spielte es im Wald.
    Der Wald war ihm zu dumpf, da spielte es im Sumpf.
    Beim Sumpf war's ihm zu kahl, da spielt es mit dem Ball.
    Der Ball, der rollte weg, da spielte es im Dreck.
    Der Dreck ließ sich nicht greifen, da schlug das Kind den Reifen usw..
    Ein Endlosreim über ein Kind, das sich langweilt, Abwechslung sucht, oder den richtigen Ort oder ein Spiel oder Freunde überhaupt. Ein Kreislied.
    Eine schöne Mischung aus gemalten Fantasiewesen, Tieren, Nixen und Supermännern und Katzen und Alten. Die beiden Textzeilen auf den Doppelseiten sind gut im Bild miteinander verbunden. Sehr farbenfroh illustriert.
    Zwei von Ihnen bebilderte Bücher stehen im Juli auf den Besten7.
    Gideon Samson: "70 Tricks, um nicht baden zu gehen." Die Geschichte eines wasserscheuen Jungen, der versucht, dem Schulsport zu entkommen und gleichzeitig seine Angst vor dem Ertrinken überwindet, in dem er Rituale einführt. Zum Beispiel im Bus immer auf dem 5. Platz auf der linken Seite zu sitzen.
    Sie haben Kapitelvignetten der anderen Art gezeichnet. Blau ist ohnehin die vorherrschende Farbe, blau ist auch die Schrift und sind auch die Vignetten. Man könnte die 16 Bilder wie ein Daumenkino lesen und erfasst dadurch den Kern der Geschichte. Der Junge, der sich zögerlich in Kapitel 1 dem Startblock nähert, sich nicht traut, ins Wasser fällt, unbeholfen, und zum Schluss selbstbewusst einen Kopfsprung absolviert. Das ist ganz toll mal ganz anders.
    Kuhl: Das war genau meine Intention, dass sich das wie ein Film durch das Buch zieht, und dass man eine Entwicklung darin hat.
    Wegmann: Das zweite Buch: "Höchste Zeit, Herold!" - Herold ist ein toller Typ, aber ist er auch ein toller Vater, der pünktlich zum Geburtstagsfest der Tochter erscheint, und zwar mit Geschenk. 13 Abenteuer muss er bestehen, um die Tochter zu erreichen. Man muss ihn sich in einer Art Ritterrüstung vorstellen, eng anliegend, mit Basketballschuhen und Armschonern. Er macht sich auf den Weg. Wir hören einen Ausschnitt.
    Lesung: Anke Kuhl HEROLD
    Wegmann: Das war Anke Kuhl. Sie las den Anfang von "Höchste Zeit, Herold". Gereimte Sechszeiler, herrlich bunte, verrückte Doppelseiten. Herold im Kampf mit allem Möglichem. Aber die Abenteuer sind weniger gefährlich, vielmehr abgedreht und lustig. Wird Anke Kuhl sanfter?
    Kuhl: Ach, das ist interessant, dass Sie das als sanft bezeichnen. Es sind ja eigentlich Nonsensreime und die ganzen Situationen und Wesen und Prüfungen sind aus der Freude am Reim entstanden. Was gepasst hat, wurde eingebaut. Was sich an skurrilen Welten ergibt, überrascht mich dann selber. Herold sollte eine Figur sein, die absurd übermenschliche Kräfte hat, er sollte in Situationen kommen, wo man dachte, da kann es keinen Ausweg mehr geben, und er aber spielerisch eins nach dem anderen löst. Das sollte sich abgrenzen zu der Aufgabe, die ihn wirklich in Bedrängnis bringt. Er kann die riesigsten Steinbrocken aus dem Weg räumen, durch Feuerschächte gehen, ohne dass er verunsichert wird, aber gerät in seelische Nöte, pünktlich zum Geburtstag der Tochter mit Geschenk zu erscheinen.
    Antworten auf 101 Kinderfragen
    Wegmann: Ob es ihm gelingt, verraten wir nicht. Wir wagen noch einen Blick in den Herbst. Das Klett Kinderbuch wird ein Aufklärungsbuch herausgeben. "Klär mich auf!" Die Sexualpädagogin Katharina von der Gathen hat mit Grundschulkindern ein Projekt zum Thema Sex gemacht, und ihre auf Zettel geschriebenen Fragen beantwortet.
    Zum Beispiel: "Was macht am Sex Spaß?"
    Antwort: Wenn zwei Menschen Lust aufeinander haben, wollen sie sich auch körperlich möglichst nahe sein. Sie küssen, streicheln und spüren sich. Sex ist dann für Erwachsene wie ein Abenteuer: Da gibt es am ganzen Körper unbekannte Gebiete zu entdecken oder auch immer wieder vertraute Stellen aufzusuchen. Mal lässt der eine sich vom anderen führen, mal rasen beide gemeinsam durch die Gefühle. Das alles kann viel Spaß machen!
    Klare Sätze, respektvoll, verständlich - Antworten auf 101 Kinderfragen. Ist Sex witzig? Warum wachsen Brüste? Gibt es verschiedene Penisse? 212 Seiten geballte Informationen, sehr gut erklärt. Anke Kuhl, Sie haben bei Ihren eine Seite umfassenden heiteren Bildern die Originalzettel mit Fehlern mit eingearbeitet. Was war das Spannenden an diesem Projekt?
    Kuhl: Tatsächlich haben die Zettel schon so eine Faszination und eine Qualität an sich. Die Zettel waren ja die Grundlage, die Karten, die Katharina von der Gathen gesammelt hat. Und wir haben überlegt, was machen wir jetzt für ein tolles Buch daraus. Dann wurde uns klar, dass die Karten an sich das schon strukturieren. Man musste keine Kapiteleinteilung vornehmen, die sind so direkt die Fragen, die zielen so ins Schwarze, da muss man nichts dazu kommentieren, didaktisch aufbereiten, die stehen einfach ungeordnet in dem Block. Es war ganz spannend zu sehen, es geht nicht um das Illustrieren eines Textes einer Autorin und ich stell meine Illustrationen dazu und das tritt in Dialog, sondern drei Elemente treten in Dialog. Die Antworten sind wichtig, die Illustrationen stehen auf einer anderen Ebene, aber eigentlich hätten die Kinder als Autoren mit auf den Umschlag gesetzt werden müssen. Diese Dreierkonstellation fand ich total spannend.
    Wegmann: Gibt es ein Lieblingsbild?
    Kuhl: Am liebsten illustriert habe ich die Frage: Wer war der erste Mensch, der Sex hatte? Mit dem Adam, der laut nach Eva ruft. Es gab Fragen, die waren ganz spannend, aber schwierig zu illustrieren und andere Fragen, die weniger spannend waren, zu denen man aber schöne Bilder machen konnte.
    Wegmann: Zum Beispiel bei: Kann man beim Sex sterben? DA haben sie ein schönes Bild gemacht: Der Mann auf dem Totenbett, interessanterweise ein Mann, den die Frau beweint. Interessanterweise findet meine Tochter, das sei das schlimmste Bild, sie ist neun Jahre alt und sie findet das nicht witzig.
    Bücher der Sendung:
    Kinder Künstler Reisebuch, LaborAteliergemeinschaft FFm, Verlag Beltz & Gelberg
    Anke Kuhl: Ene mene muuh, Fischer Schatzinsel
    Anke Kuhl: Cowboy will nicht reiten, Carlsen Verlag, 32 Seiten
    Wilfried von Bredow/Anke Kuhl (Ill): Lola rast, Klett Kinderbuch, 32 Seiten
    Alexandra Maxeiner/Anke Kuhl: Alles Familie, Klett Kinderbuch, 32 Seiten
    Alexandra Maxeiner/Anke Kuhl: Alles lecker, Klett Kinderbuch, 32 Seiten
    Martin Schmitz-Kuhl/Anke Kuhl: Alle Kinder. ABC der Schadenfreude, Klett Kinderbuch
    James Krüss/Anke Kuhl (Ill): Es war einmal ein Kind, Boje Verlag, 32 Seiten
    Gideon Samson/Anke Kuhl (Vignetten): 70 Tricks, nicht baden zu gehen, Gerstenberg Verlag, 137 Seiten
    Anke Kuhl: Höchste Zeit, Herold!, Klett Kinderbuch, 32 Seiten
    Katharina von der Gathen/Anke Kuhl(ILL): Klär mich auf!, Klett Kinderbuch, 212 Seiten