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Kinderbücher zum 50. Jahrestag der Mondlandung
"Ein großer Schritt für die Mausheit"

Ob Sachbuch, Bilder- oder Hörbuch, zum 50. Jahrestag der Mondlandung sind eine Fülle von Kinderbüchern erschienen, die sich mit dem Mond und dem Weltraum beschäftigen. Auch Kinder- und Jugendbuchklassiker wurden wieder neu aufgelegt. In die Zukunft blickt ein Familiendrama mit politischer Dimension.

Von Dina Netz | 20.07.2019
Mehrere Cover zu Mondlandung
Viele Bücher führen zum Mond (Buchcover Carlsen, NordSüd, Moritz, DK, Überreuther, arsEdition / Hintergrund NASA)
Dem kleinen Drachen Kokosnuss und seinen Freunden Fressdrache Oskar und Stachelschwein Matilda plumpst am Strand der Dracheninsel eine Blechbüchse vor die Füße. Sie entpuppt sich als Raumgleiter, mit dem das grüne Männchen Bobby Putzipappele seinen ersten Alleinflug macht und sich verflogen hat. Natürlich bringen die drei Freunde Bobby zurück nach Hause.
"Kokosnuss öffnet die Außentür. Vor Aufregung kribbelt es in seinem Drachenbauch wie 1000 Ameisen. Vor ihm liegt der Weltraum. Er schaltet den Düsenantrieb ein und schwebt hinaus. Hier herrscht völlige Schwerelosigkeit, und er fühlt sich ganz leicht. Doch plötzlich kommt er sich winzig und verloren vor in den unendlichen Weiten des Universums."
Die Erlebnisse im All sind so originell und lustig, die inszenierte Lesung von Philipp Schepmann so lebhaft, dass es kein Wunder ist, dass "Der kleine Drache Kokosnuss im Weltraum" demnächst für 100.000 verkaufte Exemplare mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wird.
Seltsame Männchen als Anknüpfungspunkt
Seltsame Männchen kommen auch in John Hares "Ausflug zum Mond" vor. Unbekannte Wesen sind ein dankbarer Anknüpfungspunkt für Kinder, die mit der Entdeckung eines großen toten Steinhaufens nicht unbedingt etwas anfangen können.
Der US-amerikanische Grafikdesigner John Hare legt mit "Ausflug zum Mond" sein erstes Bilderbuch überhaupt vor, und dann gleich eines gänzlich ohne Text. Eine Gruppe Kinder in Raumanzügen besteigt darin ein gelbes Gefährt, das Ähnlichkeit mit einem amerikanischen Schulbus aufweist, aber im Weltraum schwebt. Alle Kinder drängeln in die Raumfähre, nur ein Junge mit einem Zeichenblock unter dem Arm trödelt hinter der Gruppe her. Hare erzählt ganz selbstverständlich von diesem "Ausflug zum Mond", wie er sich vielleicht eines Tages abspielen wird – so als wäre es ein Zooausflug. Diese Selbstverständlichkeit macht viel vom Charme seiner Geschichte aus.
Der Himmel ist schwarz
Auf dem Mond angekommen, laufen die Kinder brav hinter dem Lehrer her, springen mit großen Sätzen über Gräben, besteigen Krater und bestaunen die Schönheit der blau-grünen Erde in der Ferne. Ganz nebenbei kann man hier mit Kindern über komplexe Themen ins Gespräch kommen. Zum Beispiel darüber, dass man auf dem Mond wegen der geringeren Schwerkraft weiter springen kann als auf der Erde.
Den Mond hat Hare in Graustufen gemalt, die Raumanzüge sind weiß, der Himmel schwarz – die farbige Erde nimmt sich im Kontrast umso schöner aus. Der kleine Junge, der schon die ganze Zeit am Schluss der Gruppe trottete, beginnt die Erde zu zeichnen. Darüber nickt er ein, und als er aufwacht, ist seine Klasse weg. Nach einem kurzen Schreckmoment macht der Junge einfach weiter mit seinen Zeichnungen, auf die nun fünf eigenartige graue Männchen mit großen Kulleraugen aufmerksam werden. Nach einem weiteren Schreckmoment freundet man sich an, und die Mondmännchen dürfen sich die Kreiden des Jungen ausleihen und endlich einmal etwas Buntes malen.
Natürlich hat die Klasse den Mitschüler doch nicht auf dem Mond vergessen, aber in der kurzen Zeit allein hat er etwas Unvergleichliches erlebt – vielleicht ähnlich wie damals Neil Armstrong. John Hares Bilderbuch "Ausflug zum Mond" ist eine witzige und liebevoll gezeichnete Parabel darüber, dass Wunder nur dem zuteilwerden, der ihnen Zeit gibt und offen für sie ist.
Neuauflagen von Klassikern
Zum Jahrestag der Mondlandung sind einige Kinder- und Jugendbuchklassiker neu aufgelegt worden. Katrin Hahnemanns Biografie von Neil Armstrong zum Beispiel, oder der Doppelband von Hergés "Tim und Struppi auf dem Mond". Torben Kuhlmanns Bilderbuch "Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond" ist in einer Sonderausgabe erhältlich: mit Mause-Bügelflicken, neuen Bildern und einer Hintergrundgeschichte. Kuhlmanns aufwendig und detailverliebt illustriertes Buch ist eine der schönsten Veröffentlichungen zum Thema. Die Maus kann darin ihre Artgenossen nicht überzeugen, dass der Mond kein löchriger Käse, sondern eine Steinkugel ist. Da hilft nur: hinfliegen. Tut sie denn auch, wobei sie natürlich allerlei Hindernisse überwindet und Abenteuer erlebt. Nicht zuletzt muss sie sich der Menschen erwehren, die ihr ihr Raumfahrt-Wissen abknöpfen wollen. Der Hörverlag hat das Bilderbuch von Torben Kuhlmann als inszenierte Lesung herausgebracht, mit Bastian Pastewka in allen Rollen.
",Das ist ein kleiner Sprung für eine Maus, aber ein großer Schritt für die Mausheit. Hui!' Mit ungeahnter Leichtigkeit hüpfte Nils über die staubige Mondoberfläche. ,Ist das herrlich! Ich bin leicht wie ein Gummiball! Und hopp, und hopp!'"
Ein Bilderbuch als Hörbuch – das ist ehrgeizig und in der Umsetzung gelungen. Doch die beinahe ikonisch gewordenen Bilder, die Torben Kuhlmann von der spitznasigen, großohrigen Maus im Raumanzug auf dem Mond entworfen hat, vermisst man in der Hör-Fassung.
Kinder-Sachbuch: "Auf ins Weltall"
Zum Thema Raumfahrt haben Kinder jede Menge Fragen, die man als Laie kaum beantworten kann. Da können Sachbücher hilfreich sein. Diesen muss es allerdings gelingen, die komplizierten technischen und astrophysischen Sachverhalte kindgerecht aufzubereiten – das schaffen leider die wenigsten. "Auf ins Weltall" der britischen Astrophysikerin Sarah Cruddas ist eine Ausnahme. Das Buch ist zwar viel zu bunt illustriert, viel zu viele Informationen sind auf eine Seite gepackt. Dennoch sind Mark Ruffles Illustrationen zum Beispiel von der Mondlandefähre, dem Mondanzug oder dem Kontrollzentrum auf der Erde aufschlussreich, zumal sie immer durch genau die richtige Textmenge ergänzt werden. Cruddas gelingt es, in kurzen prägnanten Texten einzelne Themengebiete der Raumfahrt kindgerecht abzuhandeln, ohne zu viele Fachbegriffe zu verwenden, aber auch ohne die Komplexität der Sache herunterzuspielen. So erzählt Cruddas zum Beispiel, was die Astronauten auf dem Mond vorfanden:
"Kurz nachdem Armstrong den Mond betreten hatte, folgte ihm Aldrin, der den Anblick, der sich ihm bot, als ,überwältigende Ödnis' beschrieb. Die Landschaft war leer und grau, es gab keine Luft, der Himmel war schwarz. Die Astronauten waren die einzigen lebenden Wesen dort.
Da die Schwerkraft auf dem Mond viel geringer ist als auf der Erde, konnten die Astronauten trotz ihrer schweren Raumanzüge entspannt umherhüpfen. Sie sammelten Gesteinsproben für Wissenschaftler auf der Erde und führten Experimente durch. Sie sprachen sogar mit dem Präsidenten der USA, Richard Nixon, der ihnen gratulierte. Er sagte, dies sei das bedeutendste Telefongespräch, das je aus dem Weißen Haus geführt worden war."
Sarah Cruddas erzählt – in der deutschen Fassung von Birgit Reit – kenntnisreich und locker. "Auf ins Weltall" ist ein gut lesbares, informatives Kinder-Sachbuch über die Raumfahrt.
Wieso war die Mondlandung wichtig?
Wieso war das eigentlich so wichtig mit der Mondlandung, wieso war sie dieser "große Sprung für die Menschheit"? Das ist eine Frage, die Kindern, die ganz selbstverständlich mit Star Wars und Bildern von der ISS aufwachsen, gar nicht so einfach zu erklären ist. Die Autorin Kathleen Weise löst dieses Problem elegant mit ihrem Jugendbuch "Wenn wir nach den Sternen greifen". Ihre Ausgangsidee ist so simpel wie wirkungsvoll: Sie versetzt die Situation in die Zukunft - nicht der Mond wird erkundet, sondern die Astronauten gehen im Juli 2039 auf Mars-Mission. Weise erzählt ihre Geschichte aus der Perspektive einer Astronauten-Tochter: Ianthe ist 17, steht am Beginn einer vielversprechenden Karriere als Sängerin.
Sie, ihre 14-jährige Schwester Sanja und ihre Mutter leiden sehr darunter, dass der Vater in wenigen Tagen in ein Raumschiff steigen und erst in drei Jahren zurückkehren wird. Wenn überhaupt. Alle leiden auf ihre Weise – Ianthe hält die Fassade einigermaßen aufrecht, die Mutter ertränkt ihren Kummer in Alkohol, und Sanja opponiert offen. Kurz vor dem Abflug des Vaters brechen die lange unterdrückten Konflikte auf. Letztlich geht es um menschliche Grundfragen: Welche Opfer bringt man für seine Träume? Wie weit müssen andere zurückstecken, wenn es sich bei dem Traum um eine bedeutende Forschungsmission handelt?
Familiendrama mit politischer Dimension
Der Vater hat lange einfach vorausgesetzt, dass die Familie sich seinen Träumen unterordnet. Nun sind seine Töchter Jugendliche, die ihre eigenen Pläne haben und ihm ihre vaterlose Kindheit vorwerfen.
"Sein Blick bohrt sich in meinen, und zum ersten Mal wird mir klar, dass Pa einfach nicht versteht, dass nicht jeder so mutig ist wie er. Ich glaube, weil er niemanden so richtig braucht, begreift er einfach nicht, dass wir ihn brauchen."
Kathleen Weise erzählt ihre Geschichte nicht nur als Familiendrama, sondern gibt ihr auch eine politische Dimension. Die Marsmission ist umstritten, viele wünschen sich, dass das Geld dafür lieber in soziale oder ökologische Projekte investiert werden sollte. Sanjas Freund gehört der militanten "First-Mother-Bewegung" an, die die Erde retten und und den Marsflug sabotieren will. Die politischen Überzeugungen ziehen also einen weiteren Graben durch die Familie.
"Wenn wir nach den Sternen greifen" hat ein paar Längen und ist hier und da etwas schludrig formuliert. Trotzdem ist es ein wichtiges Jugendbuch zum Thema, weil es die Mondlandung einmal nicht als historisches Ereignis feiert, sondern die Fragen, die sich jetzt an die Erkundung des Weltraums knüpfen, problematisiert. Kathleen Weise theoretisiert zudem nicht im luftleeren Raum, sondern hat mit ihrer "Astro-Familie" sehr überzeugende Charaktere für die Austragung dieser auch heute schon virulenten Konflikte geschaffen.
Ingo Siegner: "Der kleine Drache Kokosnuss im Weltraum"
Gelesen von Philipp Schepmann
cbj audio, München. 1 CD. 50 min Laufzeit. 8,99 Euro.
John Hare: "Ausflug zum Mond"
Moritz Verlag, Frankfurt am Main. 48 Seiten, 14 Euro. Ab 4 Jahren
Torben Kuhlmann: "Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond"
NordSüd Verlag, Zürich. 128 Seiten, 23 Euro. Ab 5 Jahren
Torben Kuhlmann: "Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond"
Inszenierte Lesung mit Musik mit Bastian Pastewka
Der Hörverlag, München. 1 CD, Laufzeit 47 Minuten, 12,99 Euro. Ab 5 Jahren
Sarah Cruddas: "Auf ins Weltall. Die Geschichte der Raumfahrt"
Mit Illustrationen von Mark Ruffle
Aus dem Englischen von Birgit Reit
Verlag Dorling Kindersley, München. 192 Seiten, 16,95 Euro. Ab 9 Jahren
Katrin Hahnemann: "Neil Armstrong. Der erste Mensch auf dem Mond"
Mit Illustrationen von Uwe Mayer
arsEdition, München. 98 Seiten, 12,99 Euro. Ab 10 Jahren
Kathleen Weise: "Wenn wir nach den Sternen greifen"
Ueberreuter Verlag, Berlin. 224 Seiten, 16,95 Euro. Ab 14 Jahren
Hergé: "Tim und Struppi auf dem Mond"
Aus dem Französischen von Ilse Strasman. Carlsen Verlag, Hamburg. 128 Seiten, 20 Euro
Steve Smallman: "Wenn ich groß bin, werde ich Astromaus"
Aus dem Englischen übersetzt von Nadine Mannchen
Loewe Verlag, Bindlach. 24 Seiten, 12,95 Euro. Ab 4 Jahren
Jeanne Willis/Briony May Smith: "Sternenstaub – Glaub an dich und du findest den Weg zu den Sternen"
Loewe Verlag, Bindlach. 32 Seiten, 12,95 Euro. Ab 4 Jahren
James Carter/Aaron Cushley: "Das große Weltall – Die Geschichte der Raumfahrt"
Aus dem Englischen von E. M. Hofmann
360 Grad Verlag, Schriesheim. 32 Seiten, 12,90 Euro. Ab 5 Jahren
Hannah Pang/Thomas Hegbrook, Thomas: "Der Mond. Mystische Geheimnisse und wissenschaftliche Fakten"
Aus dem Englischen von E. M. Hofmann
360 Grad Verlag, Schriesheim. 176 Seiten, 20 Euro. Ab 11 Jahren
Matthias Arnold: "Leo und die Abenteuermaschine – Leo und die Mondlandung"
e.T.Media Verlag, Oranienburg. 1 CD, Laufzeit 63 min. 9,90 Euro.