Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Kinderhilfswerk Arche
"Auch die emotionale Armut lösen"

"Es ist eine Schande." Wolfgang Büscher vom Kinderhilfswerk Arche hat im Dlf scharf kritisiert, dass viele doppelt berufstätige Familien nicht über die Runden kämen. Abgesehen von der materiellen Armut müsse man auch die emotionale Armut angehen und den Kindern Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten vermitteln.

Wolfgang Büscher im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 29.12.2017
    Kinder stehen in einem Kindergarten in Hamburg.
    "Kinder sind nicht nur Zukunft, Kinder sind vor allen Dingen Gegenwart": Büscher warnt davor, dass Kinder keine Perspektive haben werden, "wenn wir ihnen nicht jetzt und heute helfen" (dpa-Bildfunk / Christian Charisius)
    Sina Fröhndrich: Es fällt armen oder ärmeren Kindern sicher nicht immer leicht, selbstbewusst zu sein, sich zu behaupten. Vor allem auch, weil viele Kinder mit Geschenken überschüttet werden, wie jetzt an Weihnachten. Weil viele Kinder Wert auf Marken legen, weil Geld von Anfang an im Leben von Kindern eine Rolle spielt.
    Wie also können wir Kinder stärken, bei denen es materiell an vielen Stellen mangelt, wie können sie selbstbewusst aufwachsen? Das weiß Wolfgang Büscher vom Kinderhilfsprojekt Arche in Berlin. Herr Büscher, Hauptsache, man hat überhaupt Schuhe, Hauptsache, man geht nicht barfuß, das sagt ein Mädchen, das selten neue Schuhe bekommt. Wie oft begegnen Ihnen in der Arche Kinder, so stark sind?
    Wolfgang Büscher: Ja, das schon. Bei uns hat ein Junge mal gesagt: "Ich bin nicht arm, ich habe nur kein Geld." Und das hat es schon getroffen. Aber diese ganze Geschichte, da müssen wir auch auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Geld ist natürlich notwendig, um Kindern zu helfen. Es heißt immer wieder, na ja, warum brauchen die Kinder Markenklamotten. Das sagen in der Regel die Eltern der Kinder, die Markenklamotten besitzen. Aber was ganz wichtig ist: Wir müssen unsere Kinder stärken, wir müssen zeigen, du bist wer, du kannst was, du hast was drauf. Das ist ein ganz elementarer Punkt.
    Da sind vor allen Dingen die Schulen gefragt. Und in der Regel müssen sich die Kinder auf die Schulen einstellen, aber es ist wichtig, dass die Schulen sich auf die unterschiedlichen Kinder einstellen. Und viele unserer Kinder, die finanziell arm sind, kommen ja auch aus bildungsfernen Familien. Und wenn sie dann keine Förderung von ihren Eltern bekommen können brauchen sie unser aller Hilfe. Und sie werden es zurückzahlen, wenn sie dann ein selbstbestimmtes Leben führen.
    Kinder in ihren Fähigkeiten bestärken
    Fröhndrich: Und wie versuchen Sie, die Kinder stark zu machen?
    Büscher: Wir versuchen hier natürlich, praktisch zu helfen, indem wir mit den Kindern und Jugendlichen einfach in die Kleiderkammer gehen. Aber wichtig ist, dass wir die Kinder direkt unterstützen. Wir machen das immer über den Filter Eltern. Wir schaffen irgendwelchen Schwachsinn wie Bildungspakete, Herdprämien. Was nützen einhundert Euro im Rahmen eines Bildungspakets für ein Kind, das das das ganze Jahr über zur Verfügung hat?
    Was wir brauchen, sind mehr Lehrer. Wir brauchen mehr Sozialarbeiter, wir brauchen mehr Psychologen, die Zeit haben, auf die Kinder einzugehen, zum Beispiel in einer Kita, in einer Schule. Nur dann können wir die Kinder stark machen. Wir in der Arche machen es so, dass wir die Stärken der Kinder herauszufinden versuchen: Ein Kind kann gut singen, ein Kind kann gut Fußball spielen, ein Kind kann gut tanzen. Und wenn es merkt, guck mal, da kann ich etwas, dann werden auch häufig in der Schule die Leistungen ansteigen.
    "Wir müssen Jobs schaffen, von denen Familien leben können"
    Fröhndrich: Es gibt ja viele arme Kinder, die Eltern haben, die arbeiten. Wie wichtig ist es denn da, oder beziehungsweise, wie schwierig ist das vielleicht auch für ein Kind nachzuvollziehen, dass die Eltern arbeiten gehen, aber es reicht trotzdem nicht zum Leben?
    Büscher: Ich finde das eigentlich eine Schande in einem System wie Deutschland. Da gehen zwei Eltern arbeiten und haben dann nicht genügend Geld zur Verfügung. Warum gehen die meisten Menschen arbeiten? Weil sie letztendlich von ihrer Arbeit Lohn auch leben wollen und leben müssen. Wir können nicht einfach hingehen und sagen, na ja, da zahlen sie irgendwelchen Leuten mit Überstunden und Ähnlichem vier Euro letztendlich netto in einer Stunde. Wir müssen Jobs schaffen, von denen Familien auch von leben können. Das ist einfach wichtig.
    Aber ganz wichtig ist, nicht nur die finanzielle Armut zu lösen, sondern die emotionale Armut. Denn die Eltern verlieren die Perspektive, wenn sie langfristig wenig Geld haben. Und diese mangelnde Perspektive, die können sie auch an ihre Kinder weitergeben. Und die Kinder lernen eigentlich schon das Verlieren. Die Kinder sind die Loser von morgen, wenn wir ihnen nicht jetzt und heute helfen. Wir haben in Deutschland keine Ressourcen wie Kohle, Gold oder Ähnliches. Wir haben nur die Ressource Kind, und wir vergessen, wir verlieren drei Millionen Kinder im Jahr, wenn wir uns nicht heute und jetzt hinsetzen und den Kindern helfen. Denn Kinder sind nicht nur Zukunft, Kinder sind vor allen Dingen Gegenwart.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.