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Kinderhospiz
Mehr als ein Abschiedsort

Gerade einmal 14 Kinderhospize gibt es in Deutschland. Eine dieser Einrichtungen ist die "Sternenbrücke" in Hamburg. Hier versuchen Seelsorger, Schmerztherapeuten und Trauerbegleiter den bis zu zwölf kleinen Patienten und ihren Angehörigen den Aufenthalt zu erleichtern. Vor allem Rituale spielen dabei eine wichtige Rolle.

Von Sarah Zerback | 10.02.2015
    Eine Kinder- und eine Erwachsenenhand halten gemeinsam eine rote Blume fest.
    Anders als bei Erwachsenenhospizen sind Kinderhospize nicht nur für die allerletzte Lebensphase gedacht. (imago / epd)
    Mittagszeit im Kinderhospiz. Fast alle Tische in dem hellen Speisesaal sind belegt, ein kleiner Junge rast mit seinem Bobbycar am Büffet vorbei. Tanja Kroß kann gerade noch ausweichen, stellt eine Schüssel mit püriertem Gemüse vor Tochter Ronja und fängt an die Neunjährige zu füttern. Sie leidet an einer seltenen Stoffwechselerkrankung und muss rund um die Uhr betreut werden.
    "Ich glaube, die Mamas haben eher selten Zeit für sich, aber das ist hier auch ganz schön, dass man auch mit den Schwestern absprechen kann: Was möchte ich gerne selber machen und was möchte man gerne abgeben für die Zeit.
    Obwohl man auch schnell merkt, dass einem das auch fehlt. Dass wenn man das abgibt, das nach einer gewissen Zeit das zurückkommt und man möchte es gerne wieder selber machen. Weil hier die Zeit da ist, die im Alltag ja oft fehlt."
    Nach dem Essen kann die zweifache Mutter ein wenig entspannen, während ein Pfleger Tochter Ronja in den sogenannten Snoezelenraum bringt und sie behutsam auf das große Wasserbett legt, zum entkrampfen vom ständigen Sitzen im Rollstuhl. Das Licht ist hier gedimmt, Farbdrehscheiben projizieren blau-gelbe Sterne auf Wände und Decke – das Markenzeichen der "Sternenbrücke".
    Lebensfreude durch Schmerztherapie
    Hospizleiterin Ute Nerge setzt sich dazu. Für ihren Einsatz wurde die 56-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Ihr geht es darum, das Lebensende der kleinen Patienten so würdevoll und schmerzfrei wie möglich zu gestalten.
    "Kein Mensch muss in irgendeiner Form Schmerzen aushalten. Sie sehen das ja an unseren Kindern, die sind nicht alle ohne Schmerzen gekommen, aber jetzt sind sie schmerzfrei und dann wird es immer laut und dann spielen sie wieder und dann haben sie wieder Freude an Dingen. Und das ist etwas, was Schmerztherapie bewirken kann, Lebensfreude zu schenken."
    Im Zimmer nebenan versucht Martina Felix gerade herauszufinden, was Tochter Julia so unruhig werden lässt. Die 16-Jährige hat das RETT-Syndrom, eine schwere geistige und körperliche Behinderung, die angeboren und nicht heilbar ist. Mutter Martina schiebt ihr ein Kissen in den Rücken, damit sie aufrecht in ihrem Gitterbett sitzen kann, spricht unentwegt mit Julia, auch wenn sie nicht sicher sein kann, was zu ihr durchdringt.
    "Auf der einen Seite sollte man sie nicht unterschätzen – aber ich habe keine Ahnung, was sie versteht. Wenn ich sie jetzt frage: Hast du Hunger, hast du Durst? Erst wenn sie es visuell erfasst, dann weiß sie, was ich von ihr will.
    Ich sehe es an ihren Augen, ich höre wie sie lautiert. Wenn sie zum Beispiel dunkel brummt wie ein Bär, dann geht es ihr gut. Andere denken: Oh Gott, was ist das dann. Aber jetzt – da passt ihr irgendwas nicht."
    Der Tod als ständiger Begleiter
    Waschen, Wickeln, Arzttermine – für die alleinerziehende Mutter ist das ein Fulltime-Job, Zeit für einen Beruf bleibt da nicht. Doch sie beklagt sich nicht, ist dankbar für die gemeinsame Zeit, auf die ihr bei Julias Geburt keiner der Ärzte Hoffnung gemacht hatte. Der Gedanke an ihren Tod begleitet sie seitdem jeden Tag.
    "Also für uns ist der Tod nichts Schlimmes, nichts Schlimmes mehr, nichts Bedrohliches mehr. Im Gegenteil, man wird sich bewusst: Wir leben, aber irgendwo gehört auch der Tod dazu. Und den Spruch von Frau Nerge finde ich so schön: Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben."
    Abschied nehmen in aller Ruhe
    Wann dieses Leben zu Ende gehen wird, das weiß niemand. Viele der Kinder und Jugendliche kommen jahrelang regelmäßig hier hin, einige nur in der allerletzten Lebensphase. Um dann Abschied zu nehmen, dafür gibt es in der "Sternenbrücke" einen speziellen Raum. Der erinnert mit seinen Topfpflanzen und der ockerfarbenen Sofalandschaft an ein gemütliches Wohnzimmer. Nur das sogenannte Abschiedsbett, bunt bemalt und beklebt mit Sternen, verrät den eigentlichen Zweck.
    "Also das ist ein Kühlbett. Das habe ich so bauen lassen. Das hat eine Kühlfunktion und so können die Kinder bis zu fünf Tage hier aufgebahrt sein. Und am zweiten Tag machen wir eine Haube oben drauf, durchsichtig. Die Eltern sagen immer, wenn die Kinder dann hier so liegen: Ist so ein bisschen wie bei Schneewittchen, unsere Kinder sehen so kostbar aus, wenn sie da drin liegen."
    Wichtige Elemente der Trauerarbeit
    Eine Stereoanlage, die auf Wunsch die Lieblingsmusik spielt, Kerzen und ein Fotoalbum, in dem sich die Familien verewigen können: Um den Abschied vom eigenen Kind so erträglich wie möglich zu machen, hat sich Ute Nerge einiges einfallen lassen. Denn Rituale wie diese, so sagt sie, seien für die Trauerarbeit sehr wichtig.
    "Das müssen wir lernen, dass die Erinnerung, die wir hinterlassen den Menschen, die bleiben wieder auf die Beine helfen. Denn es ist so, den eigenen Tod, den stirbt man nur, mit dem Tod eines anderen muss man leben."