Donnerstag, 18. April 2024

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Kinderpornografie
Opferverband: Kein Recht auf Nacktfotos von fremden Kindern

Der Opferverband "Eckiger Tisch" hält die Definition von Kinderpornografie für zu eng gefasst. Sein Sprecher Mathias Katsch sagte im Deutschlandfunk, das Fotografieren sei eine Form, Macht über den kindlichen Körper auszuüben. Auch bei Bildern von nackten Kindern handele es sich um Missbrauch.

Mathias Katsch im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.02.2014
    Dirk-Oliver Heckmann: Parteiübergreifend ist man sich in Deutschland einig: Die Gesetze, die müssen überprüft werden. Auch der Handel mit solchen Fotos, die jenseits der klassischen Pornografie liegen, müsse künftig unter Strafe gestellt werden. Bundesjustizminister Heiko Maas von der SPD hat eine entsprechende Prüfung angekündigt, wie gerade gehört. Darüber wollen wir jetzt sprechen mit Matthias Katsch. Er ist Mitbegründer des Eckigen Tischs, und das wiederum ist eine Initiative von Geschädigten an deutschen Jesuiten-Einrichtungen. Er selbst war Schüler am Berliner Canisius-Kolleg. Guten Morgen, Herr Katsch.
    Matthias Katsch: Schönen guten Morgen.
    Heckmann: Herr Katsch, Fotos haben auch eine Rolle gespielt beim Missbrauchsskandal an den Jesuiten-Einrichtungen. Welche? Können Sie das darlegen?
    Katsch: Ja. Sowohl in Berlin die beiden Serientäter, die in den 70er-Jahren unter anderem auch mich missbraucht haben, haben viel und gerne fotografiert, als insbesondere im Aloisius-Kolleg in Bonn hat der langjährige Missbrauchstäter und Schulleiter und Internatsleiter über Jahrzehnte hin ausgiebig Kinder fotografiert, und zwar auch in inszenierten Szenen. Und wie das gerade in dem Beitrag aus Rumänien deutlich wird: Das erfordert einen Aufwand, und den Kindern ist das in dem Moment erst mal gar nicht bewusst, was geschieht. Aber wenn man dann später als Heranwachsender oder als Erwachsener diese Bilder betrachtet, dann kommt die Scham und dann durchschaut man das. Dieses Fotografieren ist offensichtlich ein Versuch, auch Macht auszuüben über den kindlichen Körper, und die Reproduzierbarkeit auch jetzt in Zeiten des Internets lässt das zu einer fortdauernden missbräuchlichen Verwendung dieser Kinder werden.
    Heckmann: Und wie gelingt diesen Leuten das, Kinder auf diese Art und Weise zu missbrauchen? Das muss man ja nun auch sagen: Das ist ein Missbrauch!
    Katsch: Ja. In der gleichen Weise wie auch die Täter, die körperlichen sexuellen Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen begehen, indem sie sie verführen, in ihre Spiele einbeziehen, manipulieren, ihr Umfeld manipulieren, und dann sind die Kinder in einer Lage, aus der sie in dem Moment auch nicht heraus können. Der Erwachsene nutzt seine Macht als Manipulator voll aus und der Übergang vom "ich fotografiere dich", "ich filme dich" zu "ich fass dich an oder tue dir Schlimmeres an", der ist dann oftmals auch fließend bei diesen Tätern.
    Heckmann: Staatsanwaltschaft und Kriminalisten sagen ja auch, aller Erfahrung nach haben Leute, die über sogenanntes legales Material verfügen, auch illegales, nämlich Erzeugnisse kinderpornografischen Inhalts. Trifft sich das mit Ihrer Beobachtung?
    Katsch: Die Statistiken sprechen dafür. Ich würde das auch für die Täter, die ich kennenlernen musste, entsprechend bejahen. Aber noch mal: Ich glaube, auch das Material, was jetzt scheinbar und auch mit einer gewissen zynischen Frechheit von dem Täter Edathy als legal bezeichnet wird, ist bereits grenzverletzend und ist bereits ein Missbrauch der Schamgefühle, der Selbstwertgefühle, der Würde dieser Kinder und Jugendlichen.
    "Es gibt kein Recht darauf, nackte Aufnahmen von fremden Kindern zu besitzen"
    Heckmann: Trotzdem, jenseits dessen: Würden Sie sagen, dass dieses sogenannte legale Material, was heute in Deutschland jedenfalls noch legal ist, zu erwerben und auch zu verkaufen, dass das als eine Art Einstiegsdroge fungieren kann?
    Katsch: Das würde ich so sehen, ja, zumal da ja das Geschäft mit der harten Kinderpornografie naturgemäß im Illegalen stattfinden muss. Wenn Sie heute auf eBay gehen, Sie können auch dort solches Material scheinbar legal erwerben oder ersteigern, und letztlich ist das ein Anfüttern und eine Kontaktmöglichkeit zwischen den Anbietern der harten Kinderpornografie und den Interessenten. Es bleibt nicht dabei, bei dem Betrachten dieser Nacktfotos, es geht weiter. Und die Prävention, über die man ja die ganze Zeit spricht oder die man im Bereich des sexuellen Missbrauchs anstrebt, die muss einfach hier früher einsetzen. Es gibt kein Recht darauf, nackte Aufnahmen von fremden Kindern zu besitzen. Was sollte das rechtfertigen?
    Heckmann: Jetzt ist es ja auch so, dass Politiker von Union, SPD, Grünen und Linken sagen: Ja, wir müssen das Strafrecht an dieser Stelle verschärfen. Auch der Verkauf von Bildern mit nackten Kindern soll möglicherweise künftig unter Strafe stehen. Die Frage ist: Weshalb erst jetzt? In vielen anderen Ländern ist das längst in Kraft.
    Katsch: Gut! Das weist natürlich darauf hin, wir fordern das schon lange: Wir brauchen eine Aufarbeitung der Hintergründe der sexuellen Gewalt in Deutschland, nicht nur in kirchlichen Einrichtungen, sondern auch in anderen Milieus, und dazu würde unter anderem auch gehören, dass man den langjährigen Kampf derjenigen, die die Interessen der Betrachter solcher Fotos höher gewichten als die Interessen der missbrauchten Kinder, dass man das mal nachzeichnet. Wir haben solch eine Aufarbeitung immer noch nicht. Wir fordern das seit Langem, dass es eine unabhängige Kommission gibt, die in alle Richtungen sich anschaut, ...
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, da steckt Absicht dahinter, oder ist das eher eine Lücke, die sich aufgetan hat?
    Katsch: Ich vermute, dass es tatsächlich ein absichtsvolles Schlupfloch bedeutet, dass man da offengelassen hat. Aber das wird sich vielleicht beim Gang in die Archive und wenn man die Beteiligten an den verschiedenen gesetzgeberischen Reformen sich dann auch in der Vergangenheit mal anguckt, vielleicht ja auch klären lassen.
    Heckmann: Was führt Sie zu dieser Vermutung?
    Katsch: Weil die Stimmen derjenigen, die verharmlosen, die sagen, da entsteht doch kein Schaden, da geschieht ja niemandem etwas, die sind nach wie vor da, im Augenblick vielleicht etwas leiser geworden. Die haben sich in den Ursprüngen der Grünen-Bewegung, in den liberalen Kreisen in den 60er-, 70er-Jahren formiert und haben natürlich versucht, Einfluss zu nehmen auf die Gesetzgebung in Deutschland.
    Heckmann: Was ich interessant fand, Herr Katsch, gestern an der Stellungnahme von Heiko Maas, dem Justizminister von der SPD, war, dass er gesagt hat, ja, das werden wir prüfen, ob der gewerbsmäßige Handel mit solchen Nacktbildern, wo Kinder und Jugendliche zu sehen sind, unter Strafe gestellt werden soll. Gewerbsmäßiger Handel, das heißt für mich, dass im Prinzip auf die Verkäufer geschaut wird, dass der Verkauf von solchen Bildern verboten werden soll, aber nicht der Kauf, denn wenn man solche Bilder bezieht, betreibt man ja keinen gewerbsmäßigen Handel. Diese Formulierung deutet doch darauf hin, dass man offenbar nur auf die Verkäuferseite schaut?
    Katsch: Offenbar, und ich finde, da greift man wieder zu kurz. Mir muss mal jemand erklären, welche Rechtfertigung es gibt für einen erwachsenen Menschen, Nacktaufnahmen von fremden Kindern zu besitzen, und zwar welche Rechte dort höher geschätzt werden als das Rechtsgut, das hier offenbar verletzt wird mit diesen Bildern, nämlich die Menschenwürde der dargestellten Kinder.
    Heckmann: Letzte Frage, Herr Katsch. Die Nachrichten kommen in wenigen Minuten auf uns zu. Der unabhängige Beauftragte für den sexuellen Missbrauch - das ist der Herr Rörig -, der ist derzeit nur kommissarisch im Amt, und die Bundesregierung lässt sich Zeit mit der Neuberufung eines Nachfolgers. Was schließen Sie daraus? Wie ist das zu interpretieren?
    Katsch: Ich kann daraus nur entnehmen, dass offensichtlich das Thema in seiner Bedeutung immer noch nicht richtig angekommen ist in der Politik in Berlin, und ich fordere dringend die Handelnden auf, da für Klarheit zu sorgen. Wir sehen, wie wichtig es ist, eine unabhängige Stelle, einen unabhängigen Beauftragten zu haben, weil, wie in diesem Falle sehr deutlich, die Verwicklungen bei dem Thema durchaus auch mal in die Politik hineinreichen können. Und wenn wir Vertrauen schaffen wollen, wenn wir das Thema auch in der Öffentlichkeit halten wollen, wenn der Skandal mal vorbei ist, dann braucht es jemanden, der sich unabhängig und professionell mit dem Themenfeld sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt beschäftigt. Ich hoffe, dass es da jetzt schnell zu einer Klärung kommt. Wir brauchen einen unabhängigen Beauftragten, der vom Parlament gestärkt in die Gesellschaft hineinwirken kann.
    Heckmann: Matthias Katsch war das live hier im Deutschlandfunk. Er ist Mitbegründer des Eckigen Tischs, und das wiederum ist eine Initiative von Geschädigten an deutschen Jesuiten-Einrichtungen. Herr Katsch, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Bereitschaft, hier ein Interview zu geben.
    Katsch: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.