Freitag, 19. April 2024

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Kinderpornografie und Kunst
"Das Entscheidende ist immer der Kontext"

Inwieweit betrifft die geplante Gesetzesverschärfung zur Kinderpornografie auch die Kunst? Droht Malerei und Fotografie die Kriminalisierung? Felix Krämer, Kurator am Frankfurter Städel, bezweifelte dies im DLF. Er rechnet nicht damit, dass bald im Gefängnis landet, wer etwa Caravaggio ausstellt.

Felix Krämer im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 28.09.2014
    Burkhard Müller-Ullrich: Während der NSU-Prozess lehrt, dass das Strafrecht nichts nützt, wenn die Polizei nicht richtig ermittelt, wird das Sexualstrafrecht jetzt so verschärft, dass die Polizei viel mehr Arbeit bekommt. Wer zum Beispiel kleine Kinder hat, die bei hohen Temperaturen auch mal nackt im Garten toben, kommt an der Staatsanwaltschaft gerade noch vorbei, wenn er von den Kindern Bilder macht. Wenn aber auch noch Nachbarskinder auf dem Bild sind, dann kann es schwierig werden. Dann braucht man eine Einverständniserklärung von deren Eltern. Und wie ist das jetzt in Sachen Kunst? - Felix Krämer ist Kurator für Malerei und Fotografie am Frankfurter Städel, und ich habe ihn gefragt, ob nicht die Darstellung des Leibes als Träger und Erwecker von Emotionen und Trieben eine Hauptaufgabe der Kunst ist.
    Felix Krämer: Ich glaube, das Entscheidende ist einfach immer der Kontext, in dem Bilder gezeigt werden, in dem Bilder entstehen und in dem sie rezitiert werden.
    Müller-Ullrich: Ja. Und man kann ja nun nicht argwöhnen, dass Leute ins Museum gehen, um sich sexuell aufzugeilen, denn sonst könnte auch Courbets "L'Origine du monde" gar nicht an der Wand hängen.
    Krämer: Das Museum und der Museumsraum ist in der Regel ja ein kuratierter Bereich und das kann schon unterschiedliche Intentionen sozusagen bei den Machern, aber auch bei denjenigen, die sich die Bilder anschauen, auslösen. Die Reaktion des Publikums hat man natürlich nicht zu hundert Prozent im Griff. Das wäre ja auch schrecklich. Aber es ist entscheidend, wie man die Bilder kommentiert, in was für einem Rahmen man sie bringt, und das ist natürlich ein völlig anderer Bereich als das Internet, über das jetzt primär ja diskutiert wird.
    Müller-Ullrich: Und welche Auswirkungen hat es, wenn keine Ausnahmen für die Kunst, für die Museen vorgesehen werden?
    Krämer: Ich bin kein Jurist. Ich sehe das aber relativ entspannt. Es gibt ja eine ganze Reihe von Bildern, die auch in öffentlichen Sammlungen hängen. Prominentestes Beispiel ist, glaube ich, Caravaggios Amor in Berlin, wo niemand ernsthaft verlangt, dass ein solches Bild, obwohl das deutliche sexuelle Konnotation hat - es ist auch ein Kind dargestellt -, da verlangt niemand ernsthaft, dass das Bild abgehängt werden müsste.
    Müller-Ullrich: Noch nicht!
    Krämer: Noch nicht, und ich glaube auch nicht, dass das kommt.
    Müller-Ullrich: Aber bei anderen Bildern gibt es schon heftige Diskussionen. Es ist sogar schon mal eine Ausstellung von Balthus in letzter Zeit abgesagt worden, einfach weil man sich nicht mit den Strafrechtsfolgen beschäftigen wollte.
    Krämer: Ich weiß nicht, ob wollte. Ich glaube, in dem spezifischen Fall - die Ausstellung musste ja abgesagt werden, wie Sie sagen - hätte man im Nachhinein vieles anders gemacht. Auch in dem Fall: Natürlich ist dann die öffentliche Debatte - - Ich hatte das damals bei Kirchner auch. Das war im Frühjahr 2010, als die Fälle in der Odenwaldschule bekannt wurden. Jetzt war das mit der Balthus-Ausstellung in dem Zusammenhang mit Edathy, wo es so eine zeitliche Koinzidenz gab.
    Müller-Ullrich: Ja, es war sogar noch ein bisschen vor Edathy.
    Krämer: Dann haben Sie das genauer im Blick. Aber die Diskussion, die sich dann entflammte, da gab es doch eine zeitliche Übereinstimmung. Ich glaube, auch da ist es dann entscheidend, wie präsentiert man das, und die Ausstellung ist ja gar nicht eröffnet worden, und im Nachhinein hätte man sicherlich vieles anders gemacht.
    "Kunst kann nur provozieren, wenn sie auch Grenzen hat"
    Müller-Ullrich: Sie befürchten nicht, dass sozusagen die um sich greifende Prüderie, die natürlich auch in diesen Strafrechtsverschärfungsmaßnahmen liegt, dazu führt, dass man das, was man normalerweise als Kunst betrachtet, nicht weiter so sehen darf?
    Krämer: Ich befürchte das nicht, nein.
    Müller-Ullrich: Und die Funktion der Kunst, zu provozieren, das heißt, ganz unabhängig von sexuellem Erregungspotenzial etwas abzustrahlen, was nach Transgression riecht, ist das nicht auch gerade dadurch dann gefährdet, dass man jetzt auf der Staatsanwaltsschiene geritten kommt und sagt, das muss weg?
    Krämer: Na ja, gut. Die Persönlichkeitsrechte und Ähnliches - das gab es ja in der Vergangenheit auch - und eine zusätzliche Sensibilisierung für diese Thematik, die sehe ich durchaus positiv. Und diese Posing-Bilder, um die es jetzt ja auch geht, das hat ja mit Kunst nicht viel zu tun. Wir bewegen uns jetzt zeitlich sicherlich eher in einem Umfeld, was stärker sozusagen konservativ geprägt ist, aber dass da die Kunst dann auch wieder gegen rebelliert. Die kann aber auch nur rebellieren, wenn sie entsprechende Grenzen hat.
    Müller-Ullrich: Wie wirkt sich das neue Sexualstrafrecht auf Kunstausstellungen und in Museen aus - das waren Antworten von Felix Krämer. Er ist Kurator für Malerei und Fotografie am Städel-Museum in Frankfurt am Main.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.