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Kino-Doku "Station to Station"
Ein Hoch auf die Freiheit

Vor zwei Jahren fuhr Doug Aitken in einem Zug quer durch die USA. Mit im Waggon waren zahlreiche Künstler-Kollegen, darunter Patti Smith und Olafur Eliasson. Unterwegs entstanden neue Werke, entlang der Route fanden Konzerte und Happenings statt. Nun ist ein Doku-Film über diese wahrhaft kunstvolle Reise entstanden.

Von Änne Seidel | 13.07.2015
    Blick auf Bahngleise
    Die einzige Enttäuschung kommt am Ende des Films - wenn man sich fragt: Verdammt, warum war ich nicht dabei? (picture alliance / Uwe Gerig)
    Zwei Flamenco-Tänzerinnen vor offenem Zugfenster im Gegenlicht. Hochhackige Schuhe trommeln auf den dünnen Blechboden des Waggons.
    "Diese beiden Frauen habe ich in New Mexico getroffen. Ich wusste, dass es dort in der Wüste so eine Art Flamenco-Subkultur gibt. Und als wir mit dem Zug dort vorbeikamen, dachte ich mir: Wow, vielleicht gibt es hier draußen jemanden, den wir in unser Projekt einladen könnten und der so richtig einen raushaut!"
    Ein paar Film-Sequenzen später verausgabt sich Sonic-Youth-Gründer Thurston Moore auf seiner Gitarre.
    "Er war einfach perfekt für dieses Projekt. Für Thurston war es eine willkommene Abwechslung zu den immer gleichen Konzerten in den immer gleichen Hallen. Es gab da diesen unglaublichen Moment: Er spielt im fahrenden Zug, dann fängt der Zug an, diese Geräusche zu machen, man hört wie die Eisen quietschen. Und Thurston beginnt, gegen diesen Rhythmus anzuspielen."
    "Ich wollte die Künstler provozieren, ihre gewohnte Komfortzone zu verlassen"
    Zwei Szenen, gleich zu Beginn von "Station to Station", die gut illustrieren, worum es Multimedia-Künstler Doug Aitken geht, bei diesem Projekt.
    "Station to Station ist aus einer Notwendigkeit heraus geboren. Ich wollte eine alternative Plattform für Kultur schaffen, eine Plattform zum Experimentieren. Ich wollte die Künstler provozieren, ihre gewohnte Komfortzone zu verlassen und 'was Neues auszuprobieren."
    Der Film ist dabei weit mehr als eine Dokumentation dieser Kunst-Reise. Aitken nutzt den enormen Fundus an überwältigenden Bildern, an kraftvollen Songs und Geräuschen, die er unterwegs gesammelt hat, und bastelt daraus ein eigenständiges audiovisuelles Kunstwerk. 62 extrem aufwendig arrangierte Sequenzen – in nur 70 Minuten Film. Ziemlich viel Input, ziemlich viel Bewegung – und das nicht nur, weil permanent ein Zug quer durchs Bild rauscht. Aber das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Macher dieses Films kaum ein Interview lang still sitzen mag.
    "Wir sitzen jetzt hier in diesem Raum und sprechen in ein Mikrofon. Und ich würde mir wünschen, wir könnten einfach spazieren gehen und uns dabei unterhalten. Ich weiß nicht, ich mag die Bewegung. Und ich finde, wir sollten Bewegung als etwas verstehen, mit dem wir kreativ arbeiten können."
    Und doch: Es gibt auch die ruhigen, poetischen Momente in "Station to Station". Zum Beispiel wenn Maler und Fotograf Ed Ruscha philosophierend durch eine karge Wüstenlandschaft streift.
    "Das hier ist immer noch, mehr oder weniger, unentdecktes Land. Und wenn es überhaupt irgendeinen Nutzen hat, dann den, dass es deinen Kopf von der Stadt befreit. Das hilft dir, die wirklich wichtigen Geschichten zu finden. Denn nur darum geht es doch in der Kunst."
    "Für mich ist das eher so was wie Freiheit"
    Was ist Kunst? Wie gelingt Fortschritt? Wie sieht die Zukunft aus? Alles Fragen, die anklingen in "Station to Station". Aber immer dann, wenn es droht zu abstrakt zu werden, steht eine Figur parat, die dem Film ihre Leichtigkeit zurückgibt. Ein Flaschen-Künstler, inmitten seiner Flaschen-Baum-Skulpturen: eine Eisenstange als Stamm, bunte Flaschen als Zweige.
    "Ich war nie ein Künstler. Ach verflucht, ich mache einfach das, worauf ich Bock hab'. Keine Ahnung, ob das Kunst ist oder nicht. Ich hab's jedenfalls nie dafür gehalten. Für mich ist das eher so was wie Freiheit."
    "Station to Station" feiert diese Freiheit. Die Freiheit, verrückt zu sein, sein Leben dieser merkwürdigen Flaschenkunst zu widmen, auch wenn die niemals ihren Weg in die großen Museen und Galerien dieser Welt finden wird. In diesem Film sind alle Protagonisten gleich, egal ob renommiert oder völlig unbekannt, denn sie haben alle eines gemeinsam: Sie sind in Bewegung, erschaffen etwas Neues und gestalten so die Zukunft.
    Doug Aitken: "Zukunft, das ist für mich Diskussion, und die Frage: Was tun wir? Und inwiefern trägt das, was wir tun, zur Zukunft bei? Ich glaube, in vielerlei Hinsicht ist das heute der Wert von Kultur. Wir leben in einer so kapitalistischen, so kommerzialisierten Gesellschaft. Da ist die Kultur der letzte Platz für's radikale Experimentieren."
    "Station to Station" ist ein großartiger Film über eine berauschende Reise, über eine gelebte Utopie. Einziger Haken: Die Enttäuschung am Ende, wenn man sich fragt: Verdammt, warum war ich nicht dabei?