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Kino-Neustarts
Von einer Affäre, Beat-Literatur und den Nachwirkungen eines Amoklaufs

Mit "Le Passé - Das Vergangene" geht diese Woche der neue Film des iranischen Oscarpreisträgers Asghar Farhadis in den Kinos an den Start. Genauso wie John Krokidas' "Kill Your Darlings", der auf die Anfänge des Literatenzirkels Beat Generation blickt, sowie das deutsche Filmdrama "Staudamm" von Thomas Sieben.

Von Jörg Albrecht | 29.01.2014
    Le Passé - Empfehlenswert!
    Die fast erwachsene Lucie ist wenig begeistert davon, dass ihre Mutter Marie einen neuen Partner hat und es ganz so aussieht, als ob sie nun zum dritten Mal heiraten wird. Samir, den Neuen, kann Lucie einfach nicht ausstehen. Im Gegensatz zu Ahmad, Maries Nochehemann, dem sie ihr Herz ausschüttet. Der Iraner ist nach Paris zurückgekehrt, um endlich - vier Jahre, nachdem er und Marie sich getrennt haben – die Scheidungspapiere zu unterzeichnen.
    Wie schon in Asghar Farhadis Film "Nader und Simin" ist die Trennung eines Paares auch hier nur der Ausgangspunkt für eine vielschichtige, raffiniert erzählte und bewegende Geschichte. Farhadis größtes Talent ist seine Empathie. Ihm gelingt es, sich in die Figuren seiner Patchwork-Familie einzufühlen – und so kann auch der Zuschauer nachempfinden, warum sie wie handeln.
    "Deine Mutter möchte mit ihm zusammenleben. Sie hat das Recht zu leben, mit wem sie will."
    "Mit wem sie will? Auch wenn der Typ ein Kind hat und eine Frau im Koma?"
    Wie gesagt: Eigentlich wollte Ahmad nur einen Schlussstrich unter seine Ehe ziehen. Und nun sind seine Vermittlungskünste und sein Einfühlungsvermögen gefragt. Denn das Koma und den vorausgegangenen Selbstmordversuch von Samirs Frau lastet Lucie vor allem ihrer Mutter an und der Affäre, in die sie sich gestürzt hat. Eine Affäre, die jetzt sogar auf dem Prüfstand steht. Denn die Geschehnisse der Vergangenheit lassen sich nicht so einfach wegdiskutieren.
    "Du stehst zwischen deiner Frau und mir."
    "Und das ist dir heute plötzlich bewusst geworden?"
    "Nein. Das spür ich schon seit Langem. ... Ich fülle die Leere aus, die deine Frau hinterlassen hat.Wer hat die Leere in deinem Leben, die ich ausfüllen soll, hinterlassen?"
    "Niemand."
    "Bin ich nicht dazu da, um deine gescheiterte Ehe zu vergessen?"
    Sie sind rar – die Geschichten im Kino, in denen zwischenmenschliche Beziehungen so authentisch und komplex geschildert werden, dass sie aus einem zunächst unspektakulären Stoff einen außergewöhnlichen Film machen. "Le Passé – Das Vergangene" ist ein solcher Film.
    Kill Your Darlings: Empfehlenswert!
    " ... Ein Trunk gefällig?"
    "Du hast im Zimmer Alkohol?"
    "Was hältst du von einem wirklich furchtbar schmeckenden Chianti?"
    "Ich trinke nicht."
    "Erstsemester?"
    "Ja."
    "Fabelhaft. Ich liebe, was zum ersten Mal passiert. Ich will ein Leben, das aus ersten Malen besteht. Das Leben ist nur interessant, wenn es groß und breit ist ... "
    Zwei junge Studenten, die später zu einem Autorenzirkel gehören sollten, der als "Beat Generation" die amerikanische Literatur revolutionieren wird. Der Eine - Allen Ginsberg - gilt als einer ihrer Köpfe, der Andere - Lucien Carr - ist heute fast vergessen. In seinem Spielfilmdebüt "Kill Your Darlings" hat John Krokidas beide in den Mittelpunkt gerückt: zwei junge Männer, die sich 1944 an der New Yorker Columbia Universität begegnen.
    Reime und Versmaße interessieren sie nicht. Die Gruppe, der auch Jack Kerouac und Williams S. Burroughs angehören, will nicht nur mit den literarischen Traditionen brechen. Sie will sich auch gegen gesellschaftliche Konventionen auflehnen. Dass der Weg der Rebellion steinig sein würde - damit haben sie gerechnet. Nicht aber mit dem Einfluss, den ihre Familien, Freundschaften und Liebesbeziehungen auf ihr Leben haben.
    "Kill Your Darlings" fängt perfekt die Aufbruchsstimmung ein mit einer Kamera, die immer nah an den Figuren ist. Ein überzeugendes Ensemble, unter anderem Daniel Radcliffe als Allen Ginsberg, ist ein weiterer Pluspunkt dieses atmosphärisch dichten Porträts einer Jugend in Aufruhr.
    "Staudamm" - Enttäuschend!
    "Du bist wegen Peter hier, oder?"
    "Was für ein Peter?"
    "Peter Wagner. Der Junge, der in der Schule."
    "Ja. Woher weißt du das?"
    "Die meisten, die von woanders herkommen, sind wegen ihm hier."
    Wegen dieses 17-jährigen, der mit einer Waffe in seine Schule gestürmt ist und zahlreiche Mitschüler und Lehrer getötet hat. Der Film "Staudamm" lässt an die Ereignisse von Winnenden denken. Er erinnert aber weder an einen Amoklauf an sich, noch stellt er ihn oder seine Vorbereitung nach. Regisseur Thomas Sieben ist an den Folgen, den Nachwirkungen interessiert. Dazu lässt er einen von Friedrich Mücke gespielten Anwaltsgehilfen an den Ort des Geschehens reisen. Er soll bei der örtlichen Polizei Akten abholen - viele Monate nach der Tat.
    Ja, "Staudamm" hatte die Chance, ein wichtiger, bemerkenswerter Film zu sein. Doch dazu hätte sich Thomas Sieben nicht auf ein Zweipersonen-Stück mit eingebauter Liebesgeschichte fokussieren dürfen. Unbeteiligter, anfangs Desinteressierter trifft auf Überlebende. Was das folgenschwere Ereignis aber mit den Menschen aus dem kleinen Ort gemacht hat, streift der Film allenfalls.
    Die beiden einzigen Szenen, in denen der Protagonist unmissverständlich aufgefordert wird, seine Heimreise anzutreten, wirken einfach nur platt. So verschenkt Thomas Siebens "Staudamm" sein Thema trotz ordentlicher Ansätze.