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Kino
Wenn eine Lawine zur Familienkrise führt

Eine Schneelawine wird zum Auslöser einer Ehekrise. So beginnt der neue Film des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund. "Höhere Gewalt" changiere zwischen Drama und Satire, meint unsere Kritiker Rüdiger Suchsland.

Von Jörg Albrecht | 19.11.2014
    Nur einige wenige Takte Vivaldi – und schon befindet sich ein Filmemacher im Kreise erlauchter Kollegen wie Kubrick, Scorsese oder Bergman. Sie alle haben auf die Symbolkraft klassischer Musik in ihren Filmen vertraut, um eine besondere Stimmung zu erzeugen. Aus demselben Grund bringt Regisseur Ruben Östlund die markanten Takte aus Vivaldis Vier-Jahreszeiten-Zyklus – hier übrigens gespielt mit einem Akkordeon – gleich mehrfach in seinem Film "Höhere Gewalt" zum Erklingen.
    Es sind unheilkündende Klänge. Unterlegt mit Geräuschen von Lawinensprengungen sorgen sie für eine bedrohliche Atmosphäre in einem Wintersportort in den französischen Alpen. Dort verbringt eine schwedische Familie – die Eheleute Ebba und Tomas sowie ihre beiden Kinder – die Ferien. Es ist der zweite Urlaubstag. Alle vier sitzen auf der vollbesetzten Terrasse eines Restaurants, als Panik ausbricht.
    " ... Was war das? ... Tomas, ist das eine Lawine?"
    "Ja, aber eine kontrollierte. Was für gewaltige Kräfte das sind!"
    "Aber ist das sicher?"
    "Ja, die wissen schon, was sie tun."
    "Für mich sieht das nicht kontrolliert aus. ... Papa! Papa! ..."
    Obwohl der Lawinenabgang glimpflich ausgeht und sich nur eine Wolke aus Schneestaub über die Terrasse legt, wird das Ereignis zum Auslöser für eine fundamentale Vertrauens- und Ehekrise. Ebba zeigt sich vom Verhalten ihres Mannes irritiert. Denn während sie und die Kinder Schutz unter einem Tisch gesucht haben, ist Tomas vor der Gefahr geflohen.
    "Hier kann man ganz deutlich sehen, dass jemand wegläuft, oder? Und man kann sogar Deine Skistiefel sehen... "
    "Ja gut. Es sieht aus, als würde ich weglaufen. ..."
    Ebba spricht es nicht aus, aber für sie steht fest: Tomas hat nur an sich gedacht, nicht aber an seine Familie. Für Regisseur Ruben Östlund ist die Beinahe-Katastrophe der Anlass, existenzielle Fragen zu stellen. Er beleuchtet das geschlechtsspezifische Verhalten von Frau und Mann in Ausnahmesituationen.
    "Nicht nur du bist ein Opfer. Ich bin es auch. Ich bin ein Opfer meiner Instinkte."
    Tomas muss sich eingestehen: Der Beschützerinstinkt hatte gegen seinen Überlebensinstinkt keine Chance. Selbstvorwürfe und Scham sind die Konsequenzen in dieser subtilen Beziehungsstudie, deren stilistische Strenge an die Filme von Michael Haneke erinnert. Überraschend – wenn auch nicht immer überzeugend – sind die eingestreuten komischen Momente. "Höhere Gewalt" ist ein zwischen Drama und Satire changierender Film, der bis zum – leider etwas unbefriedigenden – Schluss fesselt.
    "Höhere Gewalt": empfehlenswert.
    "Für einen Schweden bist du ein Integrationserfolg. Das ist kein Geheimnis... Wir brauchen Leute wie dich hier: mustergültige, voll integrierte Einwanderer."
    Weil Einwanderer Nils – ein ruhiger, unauffälliger Mann um die 60 – immer mustergültig mit seinem Schneepflug die verschneiten norwegischen Straßen räumt, wird er in seinem Ort zum Bürger des Jahres gewählt. Das ist der wenig spektakuläre Anfang von "Einer nach dem anderen" von Hans Petter Moland, der nach seinem passablen Film "Ein Mann von Welt" diesmal auf ganzer Linie enttäuscht. Selbst der sonst so verlässliche Stellan Skarsgård kann einer uninspirierten Rächergeschichte, deren Titel bereits alles sagt, kein eigenes Gesicht geben. Regisseur Moland eifert angestrengt amerikanischen Vorbildern nach: von "Dirty Harry" bis "Fargo". Erst räumt sein Nils den Schnee aus dem Weg, dann sämtliche Männer, die für den Tod seines Sohns verantwortlich sind.
    "Ich habe schon einen gewissen Jappe getötet, einen Ronaldo und einen Strike. ..."
    Komplettiert wird die substanzlose Groteske durch zwei, drei lachhafte Szenen mit einem krächzenden Bruno Ganz als albanischem Gangsterboss.
    "Einer nach dem anderen": enttäuschend.
    "Ich brauche eine Liste." "Eine Liste?"
    "Ja. Mit den Lügen, die wir erzählen werden. Falls ich eine vergesse."
    Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund und ist im Film "Ein Schotte macht noch keinen Sommer" das unerschöpfliche Reservoir für witzige Situationen. Gleich drei kleine Naseweise haben Abi und Doug aufgezogen. Und denen impft das Paar ein, auf dem 75. Geburtstag von Dougs Vater so zu tun, als seien sie eine glückliche Familie. Denn der schwerkranke Mann soll geschont werden und auf gar keinen Fall erfahren, dass die Eheleute schon seit einiger Zeit getrennt voneinander leben. Dabei hat der die Farce längst durchschaut.
    "Ich kann eins und eins zusammenzählen."
    "Dann weißt du ja, dass sie sich scheiden lassen. Die wurschteln sich da schon irgendwie durch... Papa hatte eine Affäre mit einer paralympischen Leichtathletin mit nur einem Fuß!"
    "Ich glaube, ich muss die Einzelheiten nicht alle wissen."
    Was als unbedarft-heitere Familienkomödie beginnt, wird mit einer gar nicht so lustigen Wendung aufwarten, mit schwarzem Humor, aber auch mit Rührseligkeiten, die als Lebensweisheiten verpackt werden. So richtig überzeugen kann diese Mischung nicht, unterhaltsam aber ist sie.
    "Ein Schotte macht noch keinen Sommer": akzeptabel.