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Kinofilm "Ida"
Vom Leben einer Jüdin im Polen der 60er-Jahre

Die junge Novizin Anna und ihre Tante Wanda stehen im Mittelpunkt des Films "Ida", mit dem Pawel Pawlikowski ins Polen der 60er-Jahre zurückgekehrt ist. Mit großer Sensibilität legt er Bruchstellen und Wunden bei der Reise in die Vergangenheit bloß.

Von Jörg Taszman | 09.04.2014
    Der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski (L) mit der Schauspielerin Agata Trzebuchowska (R), die die Ida verkörpert, beim Internationalen Marrakesch Filmfestival am 3. Dezember 2013.
    Regisseur Pawel Pawlikowski und die Schauspielerin Agata Trzebuchowska, die die Ida verkörpert. (Guillaume Horcajuelo /dpa)
    Polen 1962. Die junge Novizin Anna, die als Waise in einem Kloster aufwuchs, steht kurz davor, ihr Gelübde abzulegen. Allerdings soll sie vorher noch ihre Tante Wanda aufsuchen, von der sie bisher nichts wusste. Und dann steht sie vor der Tür von Wanda, die ihr im Morgenmantel öffnet, schnell noch einen Liebhaber verabschiedet. Wanda begrüßt sie ebenso herzlich wie spöttisch. Und Anna erfährt von ihr, dass sie Jüdin ist und eigentlich Ida Lebenstein heißt.
    Regisseur Pawel Pawlikowski erzählt von Beginn an eine starke, komplexe Geschichte. Er findet dafür in schönen Schwarzweißbildern und ruhigen Kameraeinstellungen auch eine passende Umsetzung.
    Pawel Pawlikowski: "Als ich das Drehbuch schrieb, stellte ich mir die Geschichte wirklich in Schwarzweiß vor und im Bildformat von 4:3 vor. Ich hielt es einfach für die relevanteste Form und das idealste Format. Es evozierte Erinnerungen aus meiner frühesten Kindheit, aber auch Schwarzweiß Fotografie. Auch meine Erinnerungen sind in Schwarzweiß. Es war für mich eine natürliche, spontane Entscheidung."
    Meisterhaft und formvollendet erzählt Pawel Pawlikowski vom Nachkriegspolen. Wanda ist im Stalinismus zu einer knallharten Richterin geworden, die viele "Volksverräter" an den Galgen brachte. In Ida sieht sie das Ebenbild ihrer jüngeren Schwester, die ermordet wurde. Die beiden so unterschiedlichen Frauen begeben sich auf eine schmerzvolle Reise zurück in ihre Familiengeschichte. Dabei geht es dem Regisseur nach eigenen Aussagen weniger um eine Reflexion zum schwierigen und komplexen polnisch-jüdischen Verhältnis. Pawel Pawlikwski beleuchtet unterschiedliche Aspekte des polnischen Alltags in den 60er-Jahren, will jedoch nicht nur in der Vergangenheit verharren.
    Pawel Pawlikowski: "Ich wollte erreichen, dass sich der Zuschauer wie in einer dauerhaften Gegenwart fühlt. Der Film dreht sich um viele Dinge, auch um universelle Themen. Ich wollte, dass man das Ganze wie eine Meditation empfindet. Das Schwarzweiß, die Stille des Blicks halfen mir dabei, gegen das reine Erzählen einer Geschichte anzufilmen. Mir ging es darum, eine ruhige und zeitlose Perspektive zu schaffen. Der Film sollte so einem Gebet so nahe wie möglich kommen."
    Reise in die Vergangenheit
    Mit großer Präzision und Feinfühligkeit legt der Filmemacher Bruchstellen und Wunden bei der Reise in die Vergangenheit bloß. Für die meisten Polen geht es nach dem Zweiten Weltkrieg und dem darauf folgenden Stalinismus einfach nur um das Überleben. Das lästige Stöbern in der Vergangenheit stört da nur. In den Häusern von Juden leben plötzlich katholische Polen. Auch in den Kneipen mag sich kaum jemand an die Vertriebenen und Ermordeten erinnern. Pawel Pawlikowski filmt das fast beiläufig, aber genau dadurch umso prägnanter. Er ist kein Filmemacher mit einer "Message" sondern evoziert subtil beim Zuschauer Fragen.
    Pawel Pawlikowski: "Es geht darum, nicht gleich mit einer These aufzuwarten oder etwas zu illustrieren. Man sollte sich auf ein bekanntes Terrain begeben, das etwas aussagt. Dabei geht es nicht nur um polnische Geschichte, oder das polnisch-jüdische Verhältnis, sondern auch um Jazz. Ida verliebt sich in diesen Musiker und nicht physisch, sondern mehr in seine Musik. Sie ist völlig verzaubert von diesem einen Stück von Coltrane, dass für sie zu einer transzendentalen Erfahrung führt."
    Trotz des vielen Grau, der kaputten und nasskalten Straßen ist "Ida" kein deprimierender Film. Pawel Pawlikowski erinnert auch an das pralle Leben in den dunklen Hotels, an den Jazz und eine gewisse Hoffnung auf neue Zeiten. Ida Lebenstein/Anna muss sich am Ende entscheiden, welches Leben sie fortführen will und zu welchen Identitäten sie stehen wird. Den Zuschauer hat sie da längst erobert.