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Kinofilm: "The Kindness of Strangers"
"Ich war die erste Dogma-Sister"

Die dänische Regisseurin Lone Scherfig gehörte als erste Frau zu den Dogma-Gründern um Lars von Trier. Mit „Italienisch für Anfänger“ hat sie einen großen Arthaushit gelandet. Ihr neuer Film erzählt eine ähnliche Geschichte in New York. Sie vermisse die Unschuld der Dogma-Zeit, sagte sie im Dlf.

Lone Scherfig im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 11.12.2019
Portrait Lone Scherfig
Die dänische Regisseurin Lone Scherfig (www.imago-images.de / Manuel Romano)
Sigrid Fischer: Ihr neuer Film "The Kindness of Strangers" erinnert etwas an Ihren großen Erfolg "Italienisch für Anfänger". Da solidarisieren sich auch die Verlierer der Gesellschaft. Jetzt haben Sie zum ersten Mal in den USA gedreht, wie wirkt sich ein anderes kulturelles Umfeld auf Ihre Arbeit aus?
Lone Scherfig: Für mich ist es einfacher und inspirierender an Orten zu drehen und Geschichten über Menschen zu erzählen, die ich nicht kenne. Es kommt mir vor, als ob ich woanders klarer sehe. Deshalb drehe ich so gerne in England und werde das hoffentlich wieder tun.
Erleichterung über "Obamacare"
Fischer: Lone Scherfig, das Amerika, das Sie uns im Film "The Kindness of Strangers" zeigen, ist ein Amerika der Suppenküchen und der Armen, die sich gegenseitig stützen. Der Film spielt heute, also im Trump-Amerika. Hatte die aktuelle Präsidentschaft irgendeinen Einfluss auf das Szenario?
Scherfig: Ich habe das Drehbuch direkt nach Obamas Gesundheitsreform geschrieben. Damals war in Amerika eine gewisse Erleichterung zu spüren. Aber über die Jahre, die wir gedreht haben, wurden die Probleme viel offensichtlicher und ernster. Für mich war klar, dass man darüber keine Witze machen kann. Und dass die Distanz, die man als jemand von außen hat, dem Film nicht unbedingt dienlich ist.
Fischer: Wenn Sie so viele Jahre gedreht haben, war die Finanzierung vermutlich schwierig?
Scherfig: Heute ist es nicht leicht, einen Film zu drehen, der nicht auf einem Buch oder einer Filmreihe basiert. Vor 30 Jahren war das viel einfacher. Als ich "Zwei an einem Tag" mit Anne Hathaway und Jim Sturgess gedreht habe, hatte ich das Gefühl, dass das eins der letzten großen, finanziell gut ausgestatteten Dramen ist. Der Film basierte allerdings auf einem erfolgreichen Buch. Aber ich dachte damals, das ist das Ende einer Ära.
Die Filmsprache ist umfangreicher als Dogma
Fischer: Vor 30 Jahren war das einfacher, sagen Sie. Vor knapp 25 Jahren haben Sie selbst eine Ära mitbegründet, die Dogma-Bewegung, die 1995 in Dänemark gestartet ist und viele Filmemacher inspiriert hat weltweit. Vermissen Sie diese Zeit?
Scherfig: Ich würde nicht sagen, dass ich nicht mehr dahin zurück könnte. Aber ich liebe das echte Kino, und drehe gerne kinogerecht, wo man den ganzen Werkzeugkasten benutzt und ich mein Handwerk einsetzen kann. Dogma ist dagegen so vereinfachend. Was ich aber vermisse, ist die Unschuld von damals, dass wir nicht ahnten, wie schwer das alles sein kann. Als wir mit "Italienisch für Anfänger" auf der Berlinale waren, wussten wir nicht, wie wichtig es für den Erfolg des Films war, dass er dort so gut aufgenommen wurde.
Fischer: Sie haben mit Dogma ein Stück Filmgeschichte geschrieben, und damit auch Dänemark zu einem international beachteten Filmland gemacht, viele Regisseure sind auch immer wieder dahin zurück gekehrt.
Scherfig: Und wir leben alle dort: Susanne Bier, Thomas Vinterberg, Lars von Trier, auch Anders Thomas Jensen, der einige Dogma-Drehbücher geschrieben hat. Wir wohnen alle circa fünfzehn Autominuten voneinander entfernt. Aber keiner von uns hat je wieder so gearbeitet. Aber ich glaube, Dogma hat uns wirklich dabei geholfen, uns als Regisseure zu entwickeln. Weil man seine eigene Stimme gefunden hat. Und an der Dänischen Filmschule haben sie eine Zeitlang Dogmafilme gedreht, weil es jungen Regisseuren geholfen hat, herauszufinden, wer sie sind. Aber ich kann auch Regisseure verstehen, die das abgelehnt haben, denn warum soll man nur auf den acht mittleren Tasten des Klaviers spielen? Die Filmsprache ist viel umfangreicher.
Wir haben noch länger mit Lone Scherfig gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs im englischen Original
Fischer: Hat Dogma ihren filmischen Stil nachhaltig geprägt?
Scherfig: In die Dogmaregeln war ja das Reinheitsgelübde eingebaut, das man unterzeichnet hat. Da denke ich schon oft dran. Dass man der Geschichte und den Schauspielern vertraut und den Dingen, die einzigartig sind und nicht formelhaft. Wir haben ja auch unterschrieben, dass wir keine Genrefilme drehen. Das habe ich auch im Prinzip nie getan. Es gibt Elemente von Komödie und Romanze in meinen Filmen, aber im Prinzip sind es doch eher Genre-Hybride.
Filmszene aus "The Kindness Of Strangers".
Filmszene aus "The Kindness Of Strangers". (Alamode Film)
Fischer: "The Kindness of Strangers" ist ein Ensemblefilm. Was mögen Sie daran bzw. was sind die Herausforderungen dabei?
Scherfig: Ensemblefilme sind schwierig, weil sie dem Publikum viel abverlangen. Man muss soviele Figuren kennen lernen, bevor man überhaupt versteht, warum die alle im gleichen Film sind. Und weil sie sich hier ja fremd sind, muss man sie entdecken und sehen, wie sie sich begegnen. Ich habe dieses Konstrukt ja schon öfter gewählt, man kämpft immer damit, nicht zu viel einführende Erklärungen zu geben. Ich habe große Angst davor, Leute zu langweilen. Die Gefahr besteht aber, wenn nicht sofort klar wird, wer was will und warum er es nicht bekommt. Das ist inzwischen etwas leichter geworden, weil das Fernsehen diese Struktur auch oft benutzt, dadurch sind die Leute daran gewöhnt, mehr Einführung zu bekommen.
Ich hatte viele Chancen
Fischer: Sie, Lone Scherfig, drehen so alle drei bis vier Jahre einen Film. Fühlen Sie sich von der Diskussion über Frauenquoten beim Film, über mehr weibliche Regie überhaupt betroffen?
Scherfig: Ich habe mich wirklich nicht zu beklagen, weil ich immer gearbeitet habe. Dieses Problem war mir nie sehr bewusst. Ich dachte immer, wenn ich nicht gut behandelt wurde, dann, weil ich nicht gut war, und nicht, weil ich eine Frau bin. Ich hatte aber auch viele Chancen, Männer wie Lars von Trier haben mir sehr geholfen und haben mich sehr unterstützt in meiner Karriere. Ich hatte aber auch meist männliche Hauptfiguren in meinen Filmen, vielleicht hatte ich deshalb keine Finanzierungsprobleme. Ich war die erste Dogma-Sister, wir haben eine große Serie in Dänemark gedreht – 11 männliche Regisseure, und ich war Nummer 12. Sie haben mir Ausrüstung, Geld, Freiheit gegeben, ein Büro, Vertrauen, Ratschläge. Es gab keine Kontrolle, sie mochten, was ich gemacht habe. Ich hatte damals eine kleine Tochter, die haben sie toll aufgenommen, sie hatte ihren eigenen kleinen Schreibtisch. Auch heute noch stehen im Zentropa-Studio überall Kinderwagen herum, auf den Toiletten gibt es seit 20 Jahren gratis Tampons. Und es haben dort auch immer sehr erfolgreiche Frauen gearbeitet. Hinter jedem Lars von Trier Film stehen starke Produzentinnen, auf die sie sich verlassen.