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Kinokritik
"Feuerwerk am helllichten Tag"

Yinan Diaos Film "Feuerwerk am hellichten Tag" wurde auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Es ist ein Film über das China von heute, über eine Gesellschaft im extremen Wandel, und moralischen Verfall bei gleichzeitiger rasanter technischer Modernisierung.

Von Rüdiger Suchsland | 19.07.2014
    Der chinesische Filmemacher Diao Yinan bei der Verleihung des Goldenen Bären für seinen Film "Ein Feuerwerk am hellichten Tag" in Berlin.
    Der chinesische Filmemacher Diao Yinan bei der Verleihung des Goldenen Bären für seinen Film "Ein Feuerwerk am hellichten Tag" in Berlin. (AFP/Johannes Eisele)
    "Der Tote heißt Lang Shi Yun - hier sind seine Ausweise und seine blutverschmierte Kleidung."
    "Überall gibt's Leichenteile, als hätte es welche geregnet. Überall in der ganzen Provinz."
    Alles beginnt wie ein ganz normaler Krimi. "Tatort" in China. Eine Leiche wird gefunden, und obwohl sie zerteilt ist, schnell identifiziert. Die Polizei ermittelt, verschiedene Menschen sind verdächtig, darunter auch eine Frau, die Witwe des Toten. Dann versiegen die Untersuchungen im Sand.
    Jahre später setzt dieser Film dann nach einer guten Viertelstunde wieder ein, und beginnt noch einmal von vorn. Und alles hat sich verändert. Der ganze Charakter des Films hat sich zu einer Sozialstudie gewandelt. Sie spielt irgendwo im landschaftlich gesichtslosen Nordosten Chinas, der kargen Kohleregion, die von Fördertürmen und Geröllhalden geprägt ist, durchzogen von Transporttrassen der Bahn. Es ist dort kalt und windig, und weil der Film nicht nur meist nachts, sondern auch vor allem im Winter spielt, sind Straßen und Häuser oft schneebedeckt. Aber die Gefühle sind um so hitziger, die Leidenschaften glühen so still wie dauerhaft vor sich hin.
    "Spar Dir Deine Erklärungen!"
    "Ich will Dir nur helfen."
    "Black Coal, thin Ice", "Schwarze Kohle, dünnes Eis" hieß dieser Film des chinesischen Regisseurs Daio Yinan im Februar, als er bei der Berlinale, für viele überraschend, aber keineswegs unverdient den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele gewann. Jetzt kommt er unter dem Titel "Feuerwerk am helllichten Tag" heraus, der recht treffend die etwas bizarre Poesie dieses Films verdichtet, seine Widersprüchlichkeit, mit der hier Extreme verbunden werden.
    Kulturkritisch, aber nicht nostalgisch
    Denn "Feuerwerk am helllichten Tag" ist ein Film über das China von heute, über eine Gesellschaft im extremen Wandel, und moralischen Verfall bei gleichzeitiger rasanter technischer Modernisierung. Das dünne Eis ist auch eine soziale Metapher.
    Die Haltung des Regisseurs ist erkennbar kulturkritisch, aber nie nostalgisch. Keiner sehnt sich hier nach irgendwelchen alten Zeiten zurück. Es geht um präzise Beobachtungen und Bestandsaufnahmen und hierin, im kühlen Blick auf das Abgründige, verbunden mit der Sympathie für die Menschen, mit ihren Schwächen, ist Daio Yinan seinen Kollegen des chinesischen Gegenwartskinos, insbesondere dem Neorealismus der "Sechsten Generation" im Gefolge des berühmten Jia Zhang-ke erkennbar verbunden.
    So ist "Feuerwerk am helllichten Tag" zugleich ein Film über individuelle Menschen in dieser Gesellschaft. Da ist zuallererst Liao Fan, der Polizist, der am Anfang ermittelt. Wir wissen, dass er gerade eine Scheidung hinter sich hat. Bald darauf scheitert er auch beruflich: Nach einer fehlgeschlagenen Verhaftung wird er vom Dienst suspendiert, muss sich als Tagelöhner verdingen und trinkt zu viel. Nach dem Zeitsprung setzt der Film damit wieder ein, dass seine ehemaligen Kollegen ihn um Mithilfe bitten. Aus der zerstückelten Leiche vom Anfang ist eine rätselhafte Mordserie geworden, und die Witwe weiterhin verdächtig. Er soll als eine Art Privatdetektiv verdeckt ermitteln, sprich sich an die geheimnisvolle Schönheit heranmachen, die in einer Reinigung arbeitet.
    Moderne Spielart des Detektiv-Genres
    Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Der Ermittler verliebt sich in sein Zielobjekt, wie einst Robert Mitchum in Veronica Lake - ein Detektiv auf Abwegen und eine Femme Fatale von nebenan. In deren Leben gibt es - wenig überraschend - noch einen anderen Mann. Und es gibt immer neue Morde, auch welche, die mit scharfen Eiskufen verübt werden, die in dieser Gegend jeder Zweite über den Schultern trägt.
    So verbinden sich sozialer Realismus und Melodram zum fast klassischen Film-Noir aus China, einem aufregenden, visuell sehr ansprechenden Licht-Schatten-Spiel, das auch vom moralischen Zwielicht handelt.
    "Das war als ob man mit einem Lebenden Toten zusammen ist. Ich wollte vor ihm flüchten. Ich hab's nicht geschafft."
    Dies ist also das leider zu seltene Beispiel eines Films, in dem Form und Inhalt einander ganz entsprechen. Eine moderne Spielart des Detektiv-Genres, spannend bis zum Schluss und so poetisch wie ein Klassiker der französischen "Schwarzen Serie".
    Bilder sind es nicht zuletzt, die von diesem hervorragenden Film bleiben: Eislaufen bei Nacht. Sex in der Kabine eines Riesenrads. Ein menschliches Auge in der Nudelsuppe eines Billigimbisses. Ein Schlafender an einer Straße im Schnee. Und ein "Feuerwerk am helllichten Tag" - so wie der deutsche Titel dieses Films höchst poetisch lautet.