Dienstag, 19. März 2024

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Kinostart: Die Geliebten Schwestern
"Ein paar Briefe habe ich auch neu erfunden"

Dominik Grafs neuer Film "Die Geliebten Schwestern" erzählt eine Ménage à trois zwischen dem Dichter Friedrich Schiller und zwei mittellosen adligen Schwestern. Welche Erzähltricks er anwendet und warum der ARD-Krimi Tatort Daumenlutschfernsehen ist, verrät er im Deutschlandfunk.

Dominik Graf im Gespräch mit Sigrid Fischer | 29.07.2014
    Dominik Graf
    Der Filmregisseur Dominik Graf (dpa / picture alliance / Martin Schutt)
    Sigrid Fischer: Am Ende Ihres Films "Die Geliebten Schwestern" erfahren wir, dass eine der beiden aus der Ménage à trois mit Friedrich Schiller, für die es wohl Indizien gibt, dass Caroline alle Spuren verwischt hat. Auf welches Material konnten Sie sich also stützen?
    Dominik Graf: Das ist natürlich auch ein bisschen ein Erzählertrick. Sie hat schon einiges verbrannt, und ich wollte den Film ursprünglich damit anfangen, dass sie als alte Frau den Kamin füllt mit Erinnerungsstücken. Aber so viel war es dann doch nicht. Man kann auch an vielen Punkten sich die Briefe, die verloren gegangen sind, zwischen den anderen Briefen denken, weil die ja immer darauf Bezug nehmen und antworten und fragen und so. Wie man es beim Mailen heute auch kann.
    Fischer: Das heißt, Sie hatten vor allem Briefmaterial von den Dreien zur Verfügung?
    Graf: Ja, und auch sehr lang, und manchmal gar nicht auf den Punkt kommend und so weiter.
    Basis sind Briefwechsel
    Fischer: Was schreiben die so, etwas davon sehen wir ja, umständlich sagen Sie, aber vielleicht haben Sie das auch für den Film ein bisschen -...?
    Graf: Zurechtgelegt sozusagen, und manchmal auch ein paar Briefe neu erfunden. Was natürlich völlig unzulässig ist, aber es geht nicht anders. Aber es gibt dann auch diese unglaublich schönen Stellen, wie die, die auch vorkommt im Film, wie der Schiller von seinem Tisch spricht, den er dann nach Rudolstadt wendet, so wie die Mohammedaner nach Osten beten. Das hat eine hohe Zitatfähigkeit, sagen wir mal.
    Fischer: Sie, Dominik Graf, sind im Abspann als alleiniger Drehbuchautor genannt, das kommt, wenn ich nicht irre, so gut wie nie vor?
    139-Minuten Kinofassung
    Graf: Nein. Ich hab meine ersten Filme selber geschrieben, fand das absolut grauenhaft, was dabei rauskam, und hab mir geschworen: Das machste nie wieder. Das war für mich auch eine sehr mühselige Arbeit. Ich habe dann das Glück gehabt, sehr, sehr gute Drehbuchautoren, junge, über die Jahre zu entdecken, und hatte das Gefühl, ich muss das gar nicht können, ich brauche auch keinen Dramaturgen, das machen die schon alles selber. Jetzt war es aber der Fall, dass ich irgendwie das Gefühl hatte, für das, was ich mir drunter vorstelle, das kann nur ich in dem Fall. Es kann aber auch sein, dass ich es gar nicht kann, und dann lass ich es auch wieder bleiben.
    Fischer: Sie drehen meistens im 90- oder 100-Minutenformat, hier war der lange epische Atem gefragt - 170 Minuten lang war die Berlinalefassung, ins Kino kommen 139 Minuten. Verändert das die Arbeitsweise?
    Graf: Also, ich bin in einer Zeit groß geworden, wo die größten Filme welche waren, die nicht unter 200 Minuten zu haben sind. Und die hatten auch die Chance, die eigene Ansicht aufs Leben durch die Länge und diesen Epos zu ändern, zu verschieben, einen was Neues erfahren zu lassen. Man kommt anders raus, als man rein gegangen ist. Je mehr das Kino Konfektionsware ist, zeitlich, um so enttäuschender war es für mich immer.
    Fischer: Ihr Vater war Schauspieler, Ihre Mutter Kabarettistin und Autorin – hatten Sie schon als Kind die Leidenschaft fürs Kino?
    Graf: Nein, die kam bei mir ganz spät, erst in der Studentenzeit. Ich fand, - von zu Hause vorgeprägt, meine Eltern haben sich über die Filme, in denen mein Vater gespielt hat, immer lustig gemacht im Nachhinein – ich fand Kino ein bisschen doof, langweilig, bemüht oft. Im Filmklub in der Schule war dann Cocteau, ich hab mich gelangweilt wie verrückt. Und eigentlich kamen erst die 1970er- und die späten 1970er, als ich gemerkt habe, was das Kino kann.
    Kino hat Visionskraft
    Fischer: Dominik Graf, Sie haben sich als Regisseur irgendwann abgewandt vom Kino, nachdem Ihr Film "Die Sieger" 1994 kommerziell die Erwartungen unterlief. Aber so manchmal drehen Sie doch wieder fürs Kino: "Der Felsen", "Der rote Kakadu", "Die Geliebten Schwestern". Was war passiert damals?
    Graf: Ich hab danach einfach das Gefühl gehabt, ich kann nicht machen, was ich will, ganz ehrlich gesagt. Filme wie "Die Sieger" werden nicht mehr gefördert, die gibt es nicht mehr. Autoren wie der Günter Schütter, die eine Extremität haben in dem, was sie erzählen, müssen zwangsläufig in die Genrekonfektionsware ins Fernsehen. Als Zuschauer hat mir das Kino nicht mehr so gefallen, und ich habe mich dann davon zurückgezogen.
    Fischer: Analysieren Sie hinterher, warum Sie den Publikumsgeschmack nicht getroffen haben? Wie man heute ja in den Foren schnell lesen kann, etwa beim Tatort?
    Graf: Das wird Sie vielleicht enttäuschen, aber eigentlich frag ich mich das nicht, nein. Ich kann nicht sagen, es ist mir egal, weil jeder Nackenschlag tut natürlich weh. Das ist ja klar. Aber das Verständnis, was man hat, von dem, was man dem künstlerischen Medium, mit dem man arbeitet, zutraut, das verändert sich nicht dadurch, dass einem dreimal gesagt wird: Das sollst du aber nicht machen. Im Gegenteil. Dazu hat das Kino, obwohl es inzwischen so ein Fossil ist, in sich eine zu große Visionskraft als Medium, dass man das Gefühl hat, auch wenn das keiner sehen will, ich pump das trotzdem noch mal mit aller Energie in die Filmröhre hinein.
    Fischer: Sie haben eben gesagt, Sie hatten nach "Die Sieger" das Gefühl, im Kino können Sie nicht machen, was Sie wollen. Jetzt haben Kritiker immer das Gefühl, dass gerade Fernsehredakteure sehr viel reinreden, die Freiheit beschneiden und die Ergebnisse deshalb auch entsprechend lau ausfallen.
    Fernsehdefizite liegen in den oberen Etagen
    Graf: Ich kann nur immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen, dass die Diskussionen mit den Redakteuren immer eher sogar das Besondere und das Abwegigere befördern an bestimmten Stellen und dass man mit den Kreativen unglaubliche Dinge hat stemmen können. Ehrlich gesagt auch bei meinen Polizeirufen. Die Probleme in den Fernsehsendern liegen deutlich in den oberen Etagen. Die liegen da, wo die Redakteure selber nicht mehr frei sind, was sie machen können, wo sie einen inneren Druck auf sich selbst ausüben, der aber ein Druck von oben ist und der die berühmte Schere im Kopf und die Vorstellung, was man alles nicht machen sollte, so in die Redaktionen hinein puscht, dass dann echte Defizite dabei herauskommen. Aber ich habe es auf meine Sachen bezogen im Inhaltlichen noch nicht erlebt. Ich habe "Im Angesicht des Verbrechens" so machen können, wie ich es wollte und wie es im Buch stand. Die Defizite kamen später. Die kamen in dem Moment, wo das Fernsehen merkt, dass es gar nicht weiß, was es mit einem solchen Programm eigentlich anfangen soll.
    Fischer: Aber auf dem Sonntagabend, 20.15 Uhr, Tatort, Polizeiruf, dass da kein Druck drauf liegt, das glaub ich nicht.
    Graf: Ach, schauen Sie, so ein Tatort, der hat doch per se seine 9,5 Millionen Zuschauer, die hat er einfach. Warum soll man das nicht benutzen, um mit diesen 9,5 Millionen, die deswegen ja nicht abspringen, oder höchstens mal auf 9,45 rutschen, warum soll man da nicht Sachen ausprobieren, die sonst noch nicht ausprobiert worden sind?
    Tatort als Daumenlutscherfernsehen
    Fischer: Ja, egal, was der Tatort anstellt, er hat diese hohe Quote. Warum springen die Zuschauer eigentlich nicht ab, die sitzen da jeden Sonntag?
    Graf: Man wird sehen, wie lange das dauert. Man hatte auch mal weniger Zuschauer. Dass die Jungen da mitmachen, die das quasi als Daumenlutscherfernsehen, als Erinnerung an ihre Kindheit toll finden, deshalb muss das ja alles so lahm sein, wie die Tatorte damals waren, sonst kriegen auch die Jungen einen Schatten, einen Schreck. Das hat sich jetzt auf dieser Höhe eingependelt, wird aber nicht so bleiben, wenn man es nicht pflegt. Wenn man es kaputtmacht, wenn man es tot tritt mit Banalitäten und standardisierten Dramaturgien und Vorschriften, wird es irgendwann sterben. Dann wird das Jammern groß sein: Wie konnte das passieren?
    Skepsis bei amerikanischen Serien
    Fischer: Sie haben Ihren Mehrteiler "Im Angesicht des Verbrechens", den die ARD mangels Quote in den Sendezeitenkeller verbannt hat, eben schon angesprochen. Würden Sie sich nach dieser Erfahrung mit noch mal an so was wagen? Die US-Serien werden ja zur Zeit so hochgelobt, sollten wir uns mehr in der Richtung engagieren in Deutschland?
    Graf: Ich bin bei diesen amerikanischen Serien etwas skeptisch. Also, die 90er-Jahre mit den Gründungsserien "X-Files" und "Homicide", die finde ich noch grandios. Ab den 2000ern ist das für mich zu sehr Dramaturgiegetrickse. Da sitzen - so wie wir hier - in einem Kabuff wahrscheinlich vier Autoren, die ständig so wie Kartenspieler: Dann macht der das! Nein, dann ist das! Der Vater von dem, das hat keiner erwartet, das muss bei Minute ... Und so kriegen Sie eine Dramaturgie-Peitsche dahinter, die viele dieser Serien als einzelne Folge für mich irrsinnig unfilmisch machen. Weil sie keinen Atem wirklich entwickeln. Das hat mich bei "Im Angesicht des Verbrechens auch so fasziniert, mit den Verästelungen und so. Wenn ich so ein Buch noch mal in die Hand kriege, sofort. Die Frage ist nur, ob es noch einmal finanziert wird. Weil das war, glaube ich, programmintern, in den oberen Etagen wird das als Katastrophe gewertet.
    Graf, Dominik
    Geboren 1952 in München. Der Regisseur studierte von 1974 bis 1979 an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Für seinen Abschlussfilm "Der kostbare Gast" wurde er mit dem Bayerischen Filmpreis für die beste Nachwuchsregie ausgezeichnet. 1988 erhielt er für "Die Katze" den Bundesfilmpreis. Graf hat rund 50 Filme für Fernsehen und Kino gedreht. Er war mehrfach Gast der Berlinale, unter anderem mit "Der Felsen", "Der Rote Kakadu", "Im Angesicht des Verbrechens". Lebensgefährtin ist Caroline Link (Oscar für: Nirgendwo in Afrika).
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.