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Kinostart "Diplomatie"
Nazi-Besatzer und die Rettung von Paris

Die letzte Nacht der Nazi-Besetzung von Paris: Die Deutschen wollen alles zerstören. Ein schwedischer Diplomat versucht, das zu verhindern. Dieses Szenario des Bühnenstücks "Diplomatie" hat Volker Schlöndorff nun verfilmt.

Von Hartwig Tegeler | 27.08.2014
    Volker Schlöndorff posiert während der 64. Internationalen Filmfestspiele am 12.02.2014 in Berlin auf dem Fototermin zum Film "Diplomatie (Diplomacy)". Der Streifen läuft in der Sektion Berlinale Special Gala der Berlinale.
    Der Regisseur Volker Schlöndorff (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Filmszene:
    [Gebäude bricht zusammen. Stimme von Nordling:] Europa stand in Flammen.
    August 1944.
    Filmszene:
    Wir alle würden sterben. Die Alliierten waren gelandet und marschierten auf Paris zu.
    "Diplomatie" beginnt mit historischen Bildern des zerstörten Warschau.
    Filmszene:
    Die Deutschen wollten alles zerstören, alles dem Erdboden gleichmachen.
    Das hätte den Franzosen mit ihrer Hauptstadt auch passieren können. Die letzte Nacht der deutschen Besetzung von Paris. Der kommandierende deutsche General von Choltitz bereitet sich darauf vor, Hitlers Befehl zu erfüllen. Doch plötzlich steht der schwedische Generalkonsul von Paris, Raoul Nordling, in von Choltitz´ Hotelzimmer.
    Zwischen Dialog und Duell
    Über eine geheime Tapetentür ist er eingetreten. Er will den Nazi-General von seinem Vorhaben abbringen. Ein kontroverser Dialog, ein Duell, in dem es um alles geht, entspinnt sich. Und wir bekommen ein faszinierendes, intensives Kammerspiel zu sehen. Über Helden? Nein, sagt Volker Schlöndorff:
    "Also, Held, Antiheld? Für mich weder das Eine noch das Andere. Menschen, schwache Menschen!"
    Filmszene:
    Nordling: Was sind Sie nur für ein Mensch? Und warum das Ganze? Sie wissen genau, dass es sinnlos ist, Paris zu zerstören. Es wäre umsonst, vollkommen umsonst!
    Notre Dame ist vermint
    Schwache, und nie eindeutige, moralisch schwankende, wankende Figuren, die zeigt Volker Schlöndorff. In dieser Augustnacht ist alles vorbereitet für die Zerstörung der Stadt. Notre-Dame ist vermint, der Louvre oder der Eiffelturm, ebenso die Brücken über die Seine.
    "Sprengung der Brücken wird ein spektakuläres Hochwasser der Seine auslösen. Etwa wie das im Jahr 1910. Die herabstürzenden Steintrümmer werden den Fluss aufstauen. Der ganze Südosten von Paris wird schnell überflutet sein."
    Auch in der Bühnenvorlage, dem gleichnamigen Stück von Cyril Gély, spielten übrigens André Dussollier und Niels Arestrup die beiden Antipoden, die sich in einen komplexen verbalen Zweikampf begeben. Ohne Annäherung, ohne Verbrüderung.
    Volker Schlöndorff:
    "Die sind ja nie Komplizen. Die bleiben ja irgendwie doch Feinde."
    Filmausschnitt:
    Nordling: Sie wollen nicht der Realität ins Auge sehen.
    Von Choltitz: Welcher Realität? Ihrer oder meiner? - Die Tatsache, dass Paris zu zerstören, absurd ist. Absurd und teuflisch. - Also Ihre Realität."
    Tatsächlich wurde die französische Hauptstadt nicht zerstört. Was den General von Choltitz veranlasste, Hitlers Befehl zu ignorieren, ist historisch nicht eindeutig belegt. Insofern ist solch ein Satz des Generals sicher Fiktion:
    Filmausschnitt:
    Choltitz: Meine Pflicht ist es, meine Männer zum Sieg zu führen. Und zwar mit allen Mitteln. Alles andere ist vollkommen unwichtig.
    Geschichtenerzähler Schlöndorff
    Für Volker Schlöndorff bietet diese mit Fiktion gefüllte historische Leerstelle aber die Gelegenheit, das Geschehen in einem umfassenderen Bild zu zeichnen. Was, wenn nicht das wäre die Aufgabe eines Geschichtenerzählers? Und sich beispielsweise die Frage zu stellen, wie sich das Gute und das Böse in solch einer extremen Situation verdichten, durchdringen; die Grenzen vielleicht gar verwischen. Es wäre nämlich zu kurz gegriffen, den verbalen Kampf in "Diplomatie" auf den Kampf zwischen dem Humanisten und dem befehlshörigen Preußen zu reduzieren.
    Nein, meint Regisseur Volker Schlöndorff, auch Nordling, der schwedische Konsul, sei nicht einfach ein guter Mensch, der retten will, die Menschen, das Kulturerbe, die Stadt:
    "Um das zu erreichen, ist er bereit zu jeder Skrupellosigkeit."
    Filmausschnitt:
    Nordling: Ihre Kinder und die der Überlebenden werden für immer mit dem Hakenkreuz gezeichnet sein, so wie bestimmt Leute, die heute den Gelben Stern tragen. Sie können ja große Reden führen, Herr Choltitz.
    Selbstverständlich hegen wir mehr Sympathien für den Mann, der für das Überleben von Paris kämpft, als für den Nazi-General. Der war in den Jahren zuvor an der Judenvernichtung in Osteuropa beteiligt. Der Film spricht das explizit an. Was Schlöndorff aber auch vorführt, ist ein Männerkampf.
    Volker Schlöndorff:
    "Der eine will den anderen in die Knie zwingen. Nämlich der Konsul den General. Und der General hat nur einen Begriff, der hat nur seinen Stolz. Der will sich nicht in die Knie zwingen lassen."
    Als der deutsche General in seinem Zimmer mitten im verbalen Austausch mit dem Konsul einen Anfall bekommt, reicht der ihm die lebensrettenden Herztabletten. Menschliche Geste? Oder kühle Berechnung, den Gegner für sich einzunehmen. Doch den interessiert am Ende nichts, außer seine Familie.
    "Wissen Sie, was Sippenhaft bedeutet. Es ist ein Erlass; er kam einen Tag, bevor ich hierher abkommandiert wurde. Ab sofort müssen sich unsere Familien für uns verantworten. Wenn Paris nicht gesprengt wird, werden meine Frau und meine Kinder verhaftet, eingesperrt und hingerichtet."
    Bei Volker Schlöndorff ist die drohende Sippenhaft der Dreh-, der Angelpunkt, der dem Konsul ermöglicht, den General - in der fiktiven Realität des Films - von der Zerstörung Paris´ abzuhalten. Nordling gibt vor, die von Choltitz Familie zu können. Die Größe dieses Films "Diplomatie" zeigt sich am Ende darin, dass er die barbarischen Zeiten des Krieges so zeigt, dass der Gute das Gute nur erreichen kann, indem er trickst, lügt, betrügt, vormacht und alles Gute in sich aufgeben muss. Es ist eine ziemliche komplexe, widersprüchliche Geschichte, die uns Volker Schlöndorff hier erzählt.
    Volker Schlöndorff, geboren 1939 in Wiesbaden, ging von 1955 an in Frankreich zu Schule, studierte in Paris, arbeitete bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville als Regieassistent. Es gibt kaum einen deutschen Filmemacher, der nicht nur in seinem Leben, sondern auch in seinem Werk so frankophil ist wie Volker Schlöndorff. Etwa in Filmen wie "Der Unhold", "Der Neunte Tag" oder "Das Meer am Morgen".