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Kipping will zusammen mit SPD und Grünen regieren

Die Linkspartei könnte den Grünen und der SPD das Koalitionsangebot gemacht haben, um in einem möglichen Fünf-, Sechs- oder auch Sieben-Parteien-System eine Koalitionsvariante als Orientierungspunkte für den Wähler zu bieten, sagt Stephan Klecha. Der Politikwissenschaftler ergänzt, dass in der Ankündigung auch "ein ganzes Stück taktischer Moment" stecke.

Stephan Klecha im Gespräch mit Bettina Klein | 07.08.2012
    Bettina Klein: Und wir kommen zur Innenpolitik: Die Linkspartei will ihr Verhältnis zu SPD und Grünen neu ordnen und wirbt nun ganz offensiv für ein Dreierbündnis nach der Bundestagswahl 2013, denn - so die Begründung - nur mit einer Beteiligung von links wird aus einem Regierungswechsel ein Kurswechsel, so die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, gestern in Berlin. Es liege nun an den Sozialdemokraten, ob 2013 eine linke Mehrheit in Deutschland regieren könne. SPD-Chef Gabriel hat die Offerte schon ganz konkret zurückgewiesen: Mit einer Partei wie der Linken könne man ernsthaft keine Koalitionsverhandlungen führen, so Gabriel. Es bleibt also so gesehen alles beim Alten. Mein Kollege Jonas Reese hatte gestern Abend Gelegenheit, mit den Politikwissenschaftler Stephan Klecha von der Uni Göttingen zu sprechen, und er hat ihn gefragt, wie ernst diese Offerte der Linkspartei überhaupt zu nehmen ist.

    Stephan Klecha: Nun, ich glaube, man kann drei Interpretationen anwenden. Eine böswillige wäre, dass die Partei in Anbetracht der zurückgehenden Umfragewerte eine Handlungsoption sucht, eine gutwillige wäre zu sagen, dass auf Dauer Protest, den die Linkspartei bisher sehr gut adaptiert hat, nicht dauerhaft trägt, zumal mittlerweile mit den Piraten eine doch beim Wähler relativ attraktive Alternative vorhanden ist. Und dann gäbe es, glaube ich, eine neutrale Interpretation, wo man sich einfach anschauen muss, dass in einem Fünf- oder Sechs-, vielleicht auch Sieben-Parteien-System wir in der Situation sind, dass Koalitionsoptionen und mögliche Koalitionsvarianten, die auch von den Parteien präferiert werden, wichtige Orientierungspunkte für den Wähler bieten. Und in einer solchen Situation, wenn man sich die letzten Umfragedaten anguckt, stecken wir ja momentan.

    Jonas Reese: Also die Interpretation, die SPD-Chef Gabriel da an den Tag gelegt hat, dass die Linkspartei von ihren inneren Querelen da nur ablenken will, die teilen Sie nicht?

    Klecha: Nein, die würde ich nicht unbedingt teilen. Man könnte da sicherlich darauf verweisen, dass es für diese Partei immer einfach ist, wenn sie einen politischen Gegner hat, der sie ausgrenzt. Und natürlich ist auf diese - wenn wir das als Koalitionsofferte werten wollen -, das fast schon reflexhafte Ausschließen einer Koalitionsoption seitens der SPD hat natürlich so einen Solidarisierungseffekt im Inneren. Aber das glaube ich nicht, ich glaube, das da wirklich sehr verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, die die Partei jetzt bewegen, sich auch als möglicher Regierungspartner ins Spiel zu bringen, wobei sicherlich da auch ein ganzes Stück taktischer Moment da drin ist, denn natürlich wissen die Parteivorsitzenden der Linken auch, dass die Bereitschaft bei den Sozialdemokraten oder auch bei den Grünen zu einem solchen Bündnis - sagen wir mal - relativ begrenzt im Augenblick immer noch ist.

    Reese: Ist das nicht auch etwas ein riskantes Manöver von Kipping, weil es ja noch fraglich ist, ob überhaupt die ganze Partei dahinter steht?

    Klecha: Na ja, das ist in der Tat ein Problem. Also wir konnten ja heute sehr unterschiedliche Reaktionen feststellen, selbst Leute, die dem sogenannten Reformerlager zugerechnet werden, sagen, also eine solche Option käme jetzt im Augenblick zur Unzeit. Auf der anderen Seite: Wenn man einkalkuliert haben sollte, dass ja die bewusste Ablehnungsreaktion kommen würde, dann wäre das Risiko relativ begrenzt.

    Reese: Wie beurteilen Sie die Arbeit der neuen Parteiführung Kipping/Riexinger, die sind ja jetzt seit zwei Monaten im Amt?

    Klecha: Ich habe den Eindruck, dass die vor allen Dingen sehr damit beschäftigt sind, nach innen zu wirken, weil auf dem Parteitag in Göttingen ist ja schon aufgefallen, dass es doch mehr als nur eine Konfliktlinie in der Partei gibt, und insbesondere nach den doch sehr verheerenden Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Saarland war das nun alles andere als berauschend, ist die Partei, glaube ich, in einer Situation, wo sie sehr mit Wunden lecken beschäftigt ist, und da versuchen die beiden Parteivorsitzenden gegenwärtig Integrationsangebote zu machen. Ob das funktioniert, das wird sich, glaube ich, erst in einem halben, Dreivierteljahr endgültig herausstellen.

    Reese: Auf der anderen Seite war die Reaktion der SPD heute sehr eindeutig. Parteichef Gabriel hat das Bündnis sofort kategorisch ausgeschlossen. War das denn clever von ihm, so rigoros abzusagen, oder wäre es klüger gewesen, sich diese Option auch noch offenzuhalten?

    Klecha: Na, die Sozialdemokraten stecken ein bisschen in einem Dilemma, weil es gibt natürlich unverändert noch eine Perspektive auf eine rot-grüne Mehrheit, soweit ist das in den Umfragen - lassen wir die Piraten unter fünf rutschen, lassen wir die FDP plötzlich unter fünf rutschen -, dann rückt eine rot-grüne Mehrheit natürlich in Reichweite. Wenn man dann mit einer rot-rot-grünen Option spielt, dann sorgt das natürlich dafür, dass Wähler, die taktieren - und davon gibt es durchaus einige -, sich natürlich entscheiden werden, in dem Fall zu sagen, dann kann man eben auch die linke Alternative wählen, das ist die eine Geschichte, warum man das ausschließt, und das Zweite ist, für größere Teile der Sozialdemokraten, aber auch der Grünen, ist nach wie vor ein Bündnis mit der Linken insbesondere auf Bundesebene sehr schwer vorstellbar.

    Reese: Am Ende kann dann aber die SPD wieder als Juniorpartner in einer Großen Koalition enden und wäre dann natürlich auch ein bisschen der Verlierer des Spiels.

    Klecha: Ja, das ist aber genau das Dilemma, in dem natürlich die Sozialdemokraten im Augenblick stecken, weil die drohende Kulisse einer Großen Koalition, gar einer Festschreibung der Großen Koalition als Juniorpartner, da sind die Erfahrungen aus dem letzten Mal natürlich geradezu traumatisch. Und es wird abzuwarten sein, wie die Sozialdemokraten aus diesem strategischen Dilemma, in dem sie stecken, herauskommen wollen. Das scheint mir im Augenblick auch unlösbar zu sein, zumal man das ja auch in Verbindung bringen muss mit den möglichen Aspiranten für die Kanzlerkandidatur, die ja auch ihrerseits bestimmte Profile haben, von denen vielleicht das eine oder andere Profil jetzt nicht unbedingt für ein rot-rot-grünes Bündnis steht.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.